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Literatur - Die Macht der Erinnerung: Anthony Doerrs "Die Tiefe"


Literatur
Die Macht der Erinnerung: Anthony Doerrs "Die Tiefe"

Von dpa
12.12.2017Lesedauer: 3 Min.
In seinen Kurzgeschichten erzählt der Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr in starken Bildern von Vergehen und Neubeginn.Vergrößern des BildesIn seinen Kurzgeschichten erzählt der Pulitzer-Preisträger Anthony Doerr in starken Bildern von Vergehen und Neubeginn. (Quelle: C.H. Beck Verlag./dpa)
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Berlin (dpa) - Der amerikanische Schriftsteller Anthony Doerr ist bei uns durch seinen Roman "Alles Licht, das wir nicht sehen" bekannt geworden. Die voluminöse Kriegsgeschichte, die größtenteils in Saint-Malo spielt, war vor allem in den USA ein sensationeller Erfolg und brachte Doerr den Pulitzer-Preis ein.

Die etwas eigenwillige Komposition der Geschichte mit vielen knappen Kapiteln erinnert daran, dass sich Doerr zunächst als Kurzgeschichtenschreiber einen Namen machte. Insofern ist es gut, dass nun auch deutsche Leser die Gelegenheit haben, den Autor in seiner Paradedisziplin kennenzulernen.

Der C.H.Beck Verlag hat den Erzählband "Die Tiefe" veröffentlicht. In der amerikanischen Version heißt er "Memory Wall". Doch die Titelgeschichte wurde vom deutschen Verlag bereits im vergangenen Jahr ausgekoppelt und als eigenständige Novelle publiziert. "Memory", also Erinnerung, ist aber auch das Leitmotiv für die sechs Geschichten des aktuellen Erzählbandes.

Ganz besonders gilt das für die beste Geschichte des Bandes, "Nachwelt". Ihre Hauptfigur Esther ist eine deutsche Jüdin, die als kleines Mädchen auf wundersame Weise dem Holocaust entkam und in die USA flüchten konnte. Heute ist Esther 81 Jahre alt und sieht ihrem Tod entgegen. Schon seit langem leidet sie an Epilepsie. Nun sind die Anfälle so stark geworden, dass sie in einem halbwachen Bewusstseinszustand schwebt zwischen Traum und Wirklichkeit. Erinnerungen werden wach an ihre Hamburger Kindheit in einem jüdischen Waisenheim. Sie waren zwölf Mädchen, aber nur sie überlebte. Ein Retter erwählte sie, verhalf ihr zur Flucht. Warum gerade sie, warum nicht die anderen? Doerr nimmt den Leser mit in die stetige Wellenbewegung der Erinnerungen, die kommen und gehen, manchmal in realistischen, klaren Szenen, dann wieder in wilden Traumsequenzen, bis wir in die Gegenwart zurückgespült werden.

Erinnerung ist auch das Leitmotiv der Erzählung "Memel". Ein kleiner Junge ist durch einen tragischen Unglücksfall Vollwaise geworden und siedelt aus den USA zu seinem Großvater nach Litauen über. In dieser ihm völlig fremden ländlichen und archaischen Welt versucht er, mit dem Verlust seiner Eltern fertig zu werden und einen eigenen Weg der Trauer zu finden. Der melancholische Grundtenor, der hier zum Tragen kommt, findet sich auch in den anderen Storys wieder.

"Dorf 113" spielt in China. Hier geht es um das Verschwinden einer alten Kultur in den Sturzfluten der Moderne. Ein riesiger Stausee soll entstehen. Er wird zahlreiche Dörfer und Äcker verschlingen. Die Dorfbewohner sollen in weit entfernte Neubaugebiete umgesiedelt werden, so auch die alte Samenhüterin, deren Sohn Li Qing ausgerechnet einer der Ingenieure des gigantischen Staudammprojekts ist. Eine ruhige, wehmütige Geschichte, die in starken Bildern über Zerstörung und Neubeginn erzählt.

Doerr ist ein Meister der Metapher. Ihnen vor allem verdanken seine Erzählungen ihren fast magischen Charakter. Allerdings wandelt er dabei auf einem schmalen Grad, wird manchmal allzu deutlich. In der Geschichte über den Staudamm bezeichnet er etwa den Samen als "reinste Form der Erinnerung, die Verbindung zu den Generationen, die ihm vorangegangen sind." Das menschliche Gedächtnis sei ein "Haus mit zehntausend Zimmern", dem Untergang geweiht: "Alle menschlichen Erinnerungen werden am Ende im Wasser versinken. Der Fortschritt ist ein Sturm, und alle Flügel werden von ihm mitgerissen." Doch trotz solcher plakativer Übertreibungen sind seine Storys ein Lesevergnügen.

- Anthony Doerr: Die Tiefe. Stories, C.H. Beck Verlag, München, 267 Seiten, 22,00 Euro ISBN 978-3-406-69251-2.

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