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Böhmermann täuscht die Zuschauer mit einem Nazi-Park


"Reichspark"-Fake
So täuscht Böhmermann die Zuschauer mit einem Nazi-Park

Von Ariana Zustra

Aktualisiert am 17.11.2017Lesedauer: 3 Min.
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Nichts ist, wie es scheint: Jan Böhmermann im Gespräch mit dem (vermeintlichen) Unternehmer Raphael Gamper in der Spezialfolge des Neo Magazin Royale vom 16. November.Vergrößern des Bildes
Nichts ist, wie es scheint: Jan Böhmermann im Gespräch mit dem (vermeintlichen) Unternehmer Raphael Gamper in der Spezialfolge des Neo Magazin Royale vom 16. November. (Quelle: Screenshot, Neo Magazin Royale/ZDF)

Im Neo Magazin Royale stellte Jan Böhmermann einen Unternehmer vor, der die Zeit des Nationalsozialismus als Erlebnispark aufziehen will. Doch die als investigative Recherche getarnte Doku ist ein Fake – ein sehr tiefgründiger.

Ein Freizeitpark über die Gräueltaten des Dritten Reiches: Morgens zur nachgestellten Bücherverbrennung, bei der die Kinder selbst Bücher ins Feuer werfen können, mittags die Schlacht von Stalingrad bei minus 20 Grad Celsius als Virtual-Reality-Event erleben, im Anschluss ein nachgebautes Konzentrationslager besuchen, abends einen Schweinebraten im Restaurant genießen – das ist der "Reichspark".

Nazi-Zeit in "familienfreundlich"

So lautet zumindest die wahnwitzige Vision von Raphael Gamper, Inhaber der Offenbacher Firma "HG Business Consulting", die er auf 52 Hektar Brandenburger Brachland "historisch korrekt, verantwortungsvoll und familienfreundlich" umsetzen will. Mit dem Themenpark möchte der Unternehmer die deutsche Geschichte hautnah erlebbar machen.

Vernichtungslager Auschwitz als Virtual-Reality-Event

In der aktuellen Folge vom 16. November des Neo Magazin Royale trifft Jan Böhmermann gemeinsam mit seinem Kollegen Ralf Kabelka besagten Raphael Gamper. In der 45-minütigen Dokumentation versuchen sie mithilfe von investigativer Recherche, diese streitbare Geschäftsidee ethisch einzuordnen, konsultieren den Historiker Dr. Constantin Goschler der Ruhr-Universität, reisen nach Lettland, Italien und England, wo es eine vergleichbare lebendige Neuinszenierung einer geschichtlichen Epoche – "Reenactment" oder "Living history" genannt – bereits gibt, wie etwa das Vernichtungslager Auschwitz als "Virtual-Reality-Reise" in Rom.

Fake-Doku, die sich zwischen Realität und Täuschung bewegt

Was in der Sondersendung der Late-Night-Show nicht kenntlich gemacht wird: Alles ist nur inszeniert. Der "Reichspark" und seine Umsetzung sind eine Idee des Neo Magazins. Der unberechenbare Raphael Gamper wird von Schauspieler Piet Fuchs verkörpert. Weil diese Fake-Doku minutiös vorbereitet wurde, weil die darstellerischen Leistungen aller Beteiligten brillant sind, weil darin authentisches Doku-Material eingewoben ist, wurde diese Inszenierung von vielen Zuschauern nicht als solche erkannt. Frei nach dem Motto: Nichts ist so absurd, dass man es nicht für wahr halten könnte.

Was ist echt, was ist falsch?

Im Anschluss an die Sendung diskutierte das Netz. Einige Twitter-Nutzer zeigten sich aufrichtig betroffen, dass eine Unternehmung wie der "Reichspark" auf deutschem Boden überhaupt möglich sei. Andere sind verwirrt und fragen sich, ob das Gesehene wirklich stimmen kann, während wieder andere sich auf das Entlarven des Fakes konzentrieren und als Beleg etwa das Agenturprofil des Schauspielers posten oder den Quellcode der Homepage von "HG Business Consulting", der nur wenige Wochen vor der Sendung erstellt wurde.

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Großer Coup von politischer Relevanz

Das Neo Magazin Royale ist dafür bekannt, geistreiche Coups zu landen. Böhmermann führte 2015 bei der Varoufake-Debatte um Yanis Varoufakis eine ganze Nation wegen eines Stinkefingers an der Nase herum und schleuste 2016 beim "Verafake" gefälschte Kandidaten in die RTL-Doku-Soap "Schwiegertochter gesucht". Doch solch eine politische Relevanz hatte bisher keiner seiner Kunstgriffe.

Auseinandersetzung mit Medienkonsum und Moral

Diese Spezialausgabe ist ein eindrucksvoller Beitrag zur Diskussion um kritischen Medienkonsum, darum, wie man Fake News identifizieren kann. Doch darüber hinaus geht es darum, wie unsere Wahrnehmung von "richtig" und "falsch" in die Irre geführt werden kann, wie unser moralischer Kompass manipuliert werden kann.

AfD-Politiker und das Projekt "Reichspark"

Gamper trifft am Ende des Beitrags Politiker, um für seinen "Reichpark" zu werben – wen genau, wird "aus rechtlichen Gründen" nicht genannt. Der Stern und bento berichten, dass das Ziel dieser aufwändigen TV-Produktion offenbar war, Mitglieder der AfD zu kompromittieren. Konkret soll es sich um den brandenburgischen Landtagsabgeordneten Thomas Jung handeln. Die genannten Medien resümieren, dass dieses Vorhaben erfolglos blieb: Jung soll eine Unterstützung des "Reichsparks" abgelehnt haben.

Doch viel wichtiger als die Frage, ob und wie sehr dieses Vorhaben der Neo-Magazin-Redaktion aufging, ist die Tatsache, dass sich der Zuschauer vorstellen kann, dass es genau so möglich sein könnte. So gesehen zeigte das Vorhaben doch Wirkung: Diese Fake-Doku spricht über die gegenwärtige politische Lage in Deutschland Bände. Auf der Freizeitpark-Messe "Euro Attractions Show 2017" etwa konnte Raphael Gamper sogar Investoren akquirieren.

Ein Lehrstück in Satire – und Ethik

Für die AfD ist der Nationalsozialismus laut eigenen Angaben kein Thema, mit dem sie sich noch beschäftigen möchte. Alexander Gauland sagte: "Man muss uns diese zwölf Jahre jetzt nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr."

Doch solange es auch nur für eine Sekunde für möglich gehalten wird, dass ein exzentrischer Unternehmer die Shoa als Spaßprogramm aufziehen möchte – solange ist die deutsche Geschichtsbewältigung nicht abgeschlossen. Damit ist die Folge "Unternehmen Reichspark" nicht nur ein Kunstwerk in gelungener Satire, sondern auch ein Lehrstück in Moral und Ethik. Hut ab.

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