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Leipzig | Trans-Soldatin: "Vielfalt steigert den Gefechtswert unserer Armee"


Freizügiges Tinder-Profil
Transgender-Soldatin: "Vielfalt steigert den Gefechtswert"

InterviewVon Andreas Raabe

Aktualisiert am 26.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Anastasia Biefang im Gerichtssaal: "Heißt das jetzt, dass ich als Kommandeurin nicht so leben darf?"Vergrößern des Bildes
Anastasia Biefang im Gerichtssaal: "Heißt das jetzt, dass ich als Kommandeurin nicht so leben darf?" (Quelle: Screenshot/Sebastian Willnow/dpa/leer)

Die Soldatin Anastasia Biefang muss einen Verweis wegen zweifelhafter "moralischer Integrität" akzeptieren – wegen ihres Tinder-Profils. Das urteilte ein Gericht. Im Interview erzählt sie, was sie davon hält und warum eine Armee, die queere Menschen akzeptiert, besser kämpfen kann.

Anastasia Biefang ist Oberstleutnant im Generalstab der Bundeswehr und stand in dieser Woche vor dem Bundesverwaltungsgericht – wegen ihres Profils auf der Datingplattform Tinder.

Auf Tinder schrieb sie unter ihrem Foto: "Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome". Nachdem ein Screenshot ihres Profils innerhalb der Bundeswehr Kreise gezogen hatte, erteilte ihr Disziplinarvorgesetzter der damaligen Bataillonskommandeurin einen Verweis.

Dagegen klagte sich Biefang durch die Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das entschied am Mittwoch, dass der Verweis rechtens ist und Biefang die Strafe akzeptieren muss. Das Gericht argumentierte, dass die Formulierung in dem Dating-Profil Zweifel an der moralischen Integrität der damaligen Kommandeurin begründete. t-online sprach mit Anastasia Biefang in Leipzig unmittelbar nach der Urteilsverkündung.

t-online: Frau Biefang, wie fühlen Sie sich nach diesem Urteil?

Anastasia Biefang: Ich bin sehr enttäuscht. Vor allem darüber, dass hier ein Wertekanon aufrechterhalten wird, den wir in der Bundesrepublik schon für überwunden gehalten haben. Das fühlt sich alles sehr nach den Fünfzigerjahren an.

Warum?

Wenn ich lese, was mir da vorgeworfen wird: Promiskuitiver Lebensstil und so weiter. Ich weiß jetzt, dass ich ein Dienstvergehen begangen habe – aber es fühlt sich noch immer nicht so an, dass ich falsch gehandelt habe. Und ich verstehe es einfach nicht, das kann mir auch keiner wirklich erklären.

Welche Konsequenzen hat der Verweis für Sie?

Disziplinarisch? Keine großen. Der Verweis ist von 2019, es ist die geringste Disziplinarmaßnahme und wird nach drei Jahren aus der Akte getilgt, also im August. Aber darum geht es nicht.

Worum geht es Ihnen dann?

Mir geht es darum, dass der Dienstherr mit dem Verweis einen starken Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte vorgenommen hat. Und das stört mich maßlos. Denn das, was ich gemacht habe, entzieht sich völlig dem dienstlichen Umfeld. Mir war auch in keiner Weise bewusst, dass ich mich da irgendwie schlüpfrig in Richtung Dienstvergehen bewege.

Wie kam es zu dem Profil auf der Datingplattform Tinder?

Es war 2019, ich kam aus Afghanistan wieder, war zurück in Berlin, mit meiner Frau zusammen und habe mein Tinder-Profil wieder aufgemacht. Ich hab mir gesagt: Ja, die Welt ist wieder da, ich bin wieder im schönen Deutschland! Das war die Idee dahinter. Nirgends war bei mir der Gedanke: Oh Gott, das könnte ein Dienstvergehen sein!

Aber Ihre Vorgesetzten waren anderer Meinung.

Ja, aber die Begründung verstehe ich nicht. Zum Beispiel: Es wird immer herausgestellt, ich würde in diesem kleinen Text mich und meine Sexualpartner objektifizieren und herabwürdigen – das verstehe ich nicht! Ich frage mich, was die denken, wie modernes Dating geht oder polyamoröser Geschlechtsverkehr? Das ist es, was ich so befremdlich finde. Heißt das jetzt, dass ich als Kommandeurin nicht so leben darf? Und ist die Handlung das Problem oder nur ihr Bekanntwerden?

Wie ist es denn bekannt geworden? Die Plattform Tinder ist ja geschlossen, Profile sind nur für Mitglieder sichtbar.

Offenbar dadurch, dass jemand, der auch bei Tinder ist, einen Screenshot gemacht hat und den per E-Mail an die Bundeswehr geschickt hat. Ich habe das jedenfalls nirgends groß erzählt.

Einer der Vorwürfe lautet, der Text im Dating-Profil sei "missverständlich ausgedrückt". Was sagen Sie dazu?

Ich fand mein Profil sehr gut verständlich: offene Beziehung, trans, all genders welcome, auf der Suche nach Sex. Aber gut. Was bedeutet das jetzt für mich? Ich werde beim nächsten Mal, wenn ich wieder ein Tinder-, Gayromeo- oder Grindr-Profil mache, meinem Vorgesetzten einen Entwurfstext schicken, mit der Bitte um rechtmäßige Prüfung.

Glauben Sie, dass die Probleme mit Ihrem Dating-Profil damit zu tun haben, dass Sie Transperson sind?

Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, dass viel nach mir gesucht und geschaut wird: Was macht sie denn? Wo tritt sie denn daneben?

Wer sucht und schaut da?

Das weiß ich auch nicht. Aber wenn die AfD schon im Verteidigungsausschuss zu meinem Fall fragt, "Ja, was macht denn Frau Biefang schon wieder?", und wir sehen, dass es auch in der Bundeswehr einige AfD-Wähler gibt – dann kann ich mir schon vorstellen, dass da über Bande gespielt wird. Aber das sind nur Vermutungen. Die Mailadresse, mit der mein Tinder-Screenshot abgeschickt wurde, konnte ja nicht mehr ermittelt werden.

Warum nehmen Sie jetzt das lange Verfahren auf sich?

Mir geht es auch darum, etwas voranzubringen, dass die Bundeswehr moderner wird. Ich liebe meinen Arbeitgeber sehr, ich liebe meinen Job, aber ich finde, Veränderungen müssen nicht immer 15 oder 20 Jahre dauern. Frauen in der Bundeswehr – das hat ewig gedauert! Es muss auch innerhalb der Bundeswehr einen inneren Antrieb geben von motivierten Menschen, die sagen: Ihr lauft an den Vorstellungen der Gesellschaft vorbei. Und das werde ich auch nicht aufhören zu machen, ob es ihnen gefällt oder nicht.

Aber was stört diese Leute?

Da kann ich nur Vermutungen anstellen: Vielleicht sind sie sehr unglücklich mit sich selbst, dass sie in ihren Beziehungsmustern gefangen sind – und nicht so leben können wie ich mit meiner Ehefrau. Oder sie sagen einfach grundsätzlich: Das ist uns zu viel Sichtbarkeit, lass uns mal gucken, wo der Stolperstein liegt.

Wie ist denn Ihr Leben als Transperson in der Truppe?

Eigentlich sehr einfach, mein Dienstalltag ist völlig in Ordnung. Ich liebe meinen Job und mache ihn mit voller Intensität. Allerdings dämpft dieses Urteil meine Motivation schon ein bisschen. Möchte ich wirklich meine ganze Schaffenskraft einem Arbeitgeber widmen, der mich so maßregelt?

Sie sind auch stellvertretende Vorsitzende der "QueerBw", der Interessensvertretung queerer Bundeswehrangehöriger. Was machen Sie da?

Das einzige, was wir machen wollen, ist, die Bundeswehr vielfältiger und inklusiver zu machen. Das ist etwas Gutes. Denn damit steigern wir auch den Gefechtswert unserer Armee. Und zwar deutlich.

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Warum?

Weil Menschen, die komplett zu sich stehen können und sein können, wer sie sind, sich einfach viel mehr hingeben. Und weil sie dann keine Energie mehr darauf verwenden müssen, nicht sie selbst zu sein, sich zu verstecken. Ich weiß, wovon ich spreche, ich hab das jahrelang gemacht.

Was bedeutet das Urteil nun für die Bundeswehr?

Die Bundeswehr muss sich jetzt Gedanken machen, was das Urteil nach außen kommuniziert. Denn einerseits zu sagen: "Schaut mal, wie offen und vielfältig wir sind, wir haben Frau Biefang" – und andererseits zu meinen: "Das ist jetzt aber irgendwie zu offen", das beißt sich irgendwann. Und diesen Spagat, den muss nicht ich machen, sondern die Bundeswehr, wenn sie sagen will: Wir sind eine vielfältige Armee.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Anastasia Biefang am 25. Mai 2022 in Leipzig
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