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Der Absturz der FDP: Der wahre Grund für ihr Scheitern


Leere Versprechen der FDP
Absturz der Maulhelden

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 16.02.2023Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP: Am Sonntag war seine Partei auch am Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus gescheitert.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP: Am Sonntag war seine Partei auch am Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus gescheitert. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Die FDP strauchelt und bringt kreative Gründe dafür hervor. Dabei ist die Erklärung ganz einfach und ziemlich bitter für die Partei, glaubt unsere Kolumnistin.

In Berlin wird nach der Wiederholungswahl derzeit sehr viel nachgedacht. In der CDU, ob man im Wahlkampf vielleicht nicht auf alle Koalitionspartner hätte draufhauen sollen. In der SPD, wie man ein historisch schlechtes Ergebnis als "Weitermachen!"-Signal für die Spitzenkandidatin verkaufen kann. Und in der FDP, warum man rausgeflogen ist aus einem Landesparlament. Schon wieder.

Kreativität – dafür ist Berlin berühmt. Und die FDP macht da jetzt mit und etabliert damit weiter ein allmählich sehr unterhaltsames Ritual: Wie erklären wir unser Scheitern möglichst so, dass es nicht nach Scheitern aussieht? Seit Herbst 2021 verpassen die Liberalen nun schon zum dritten Mal den Einzug in ein Landesparlament.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr Blog findet man hier.

Nach der Niederlage in Niedersachsen etwa verstieg sich FDP-Chef Lindner zu der witzigen These, die FDP werde in der Bundes-Ampelkoaltion als zu links wahrgenommen. Jetzt kursiert der Name Marie-Agnes Strack-Zimmermann als möglicher Erklärungsansatz, weil die in einer Büttenrede tatsächlich krass gegen CDU-Chef Friedrich Merz gekoffert hatte.

Es ist nicht auszuschließen, dass demnächst noch jemand versucht, das Sandmännchen zum Sündenbock zu machen. Oder haben Sie jemals gehört, dass das Sandmännchen sich für die FDP starkgemacht hätte? Ja, denken Sie mal drüber nach!

Die FDP kriegt vieles nicht hin

Nennen Sie mich unkreativ, aber ich habe eine völlig andere Vermutung: Womöglich liegt es daran, dass die FDP vieles nicht hinkriegt. Dass die FDP sehr vollmundige Versprechen gemacht hat – und sie nicht einlöst. Ihr Scheitern dröhnt nun auch deshalb so laut, weil sie davor ebenso laut für sich getrommelt hatte.

"Digitalisierung ist kein Nebenthema. Es ist ein Überlebensthema", sagte Lindner im Bundestagswahlkampf 2021 bedeutungsschwanger in einem Wahl-Spot. Recht hat er. Nur: Wo isse denn, die Digitalisierung? Das kann gerade keiner so richtig sagen. Was man aber sehr genau sagen kann: Wo die Digitalisierung in der Ampel angesiedelt ist, so rein organisatorisch.

Nämlich im Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr. Das wird von Volker Wissing geleitet. Also dem FDP-Minister, der das "D" für "Digitalisierung" zum Amtsantritt extra nach vorne geschoben hat auf dem Schild am großen Haus, das er leitet.

"Jetzt kommt die FDP, jetzt kommt die Sache ins Rollen"; dieses Signal sollte vom "D" ganz vorne in der Amtsbezeichnung ausgehen. Nur kam bisher entsetzlich wenig ins Rollen. Wissing lieferte erst die Digitalstrategie sehr spät, hat noch immer kein Digitalbudget verkündet, und nutzt Redezeiten liebend gern für das Thema Verkehr. Digitales läuft eher im Hintergrund – oder eben gar nicht.

Spektakulärste Aktion: Das Verrücken eines Buchstabens

Wissings bisher spektakulärste Aktion im Ressort "Digitales": Ein Selfie, ausgerechnet mit Elon Musk, ausgerechnet veröffentlicht auf Twitter. Zu einer Zeit, in der die Bundesregierung offen darüber nachdachte, wann man aufgrund von Musks Gebaren als Twitter-Chef wohl die Reißleine ziehen und die Plattform verlassen müsse. Offizielle Informationen darüber, was genau Bundesminister Wissing mit Musk besprochen hatte – bis heute Fehlanzeige.

Das Überlebensthema "Digitales" wird nicht mal stiefmütterlich behandelt, sondern wie ein Waisenkind, für das sich niemand zuständig fühlt. Nun ist das natürlich nicht der einzige Grund dafür, dass die Liberalen jetzt zum dritten Mal seit Herbst 2021 bei einer Landtagswahl unter fünf Prozent gerutscht sind.

Aber es lässt sich sehr klar belegen: In Sachen Digitalisierung befindet sich die FDP im freien Fall. Nicht nur im Ansehen der Bürger. Sondern, und das ist für die FDP besonders schmerzlich, auch bei Wirtschaftsbossen.

Laut einer Studie glaubten zum Amtsantritt der Ampel Ende 2021 noch 82 Prozent der Spitzenkräfte aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft, dass die Digitalisierung unter der neuen Regierung nun entschiedener vorangetrieben werde. Dieser Wert ist seitdem auf 15 Prozent abgestürzt, quasi in Lichtgeschwindigkeit.

Nicht mal die Entscheider glauben mehr an die FDP

Vor allem die FDP hat ihren Ruf als entschlossene Kämpferin für den so dringend benötigten digitalen Fortschritt im selben Zeitraum im selben Tempo heruntergewirtschaftet. Ihr trauen nur noch neun Prozent der Bevölkerung zu, den digitalen Wandel voranzutreiben. 2021 lag der Wert noch bei 18.

Keine andere Partei ist hinsichtlich ihrer Digitalkompetenz im Ansehen der Bürger dermaßen abgestürzt. Auch hier ist ein Schema erkennbar: Wer laut trommelt, der zieht die Aufmerksamkeit auf sich und weckt Erwartungen. Die muss er dann aber eben auch erfüllen.

Wer den Politik- und den Medienbetrieb so gut kennt, der weiß: Das "D" am Ministerium nach vorne zu schieben, das schafft Aufmerksamkeit – und die bleibt. Die Leute gucken dann auch, was über bloße Symbolpolitik hinaus konkret passiert.

Die FDP hat das Thema endlich mit der Dringlichkeit und Wichtigkeit aufgeladen, die es seit Jahrzehnten für deutsche Regierungen haben müsste. Das ist gut und richtig – und nun ein Problem für die Partei. Denn damit hat sie eine Fallhöhe geschaffen, an die ihr Handeln nicht heranreicht – nicht mal auf Zehenspitzen.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr Blog findet man hier.

Viel versprochen, kaum was geleistet

Jüngster Beweis: Die bisher ohnehin blass gebliebene Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Die hatte noch im November großspurig angekündigt, dass Studierende bald ihre Energiepauschale über 200 Euro erhalten würden.

Das Geld läuft unter dem Stichwort "Soforthilfen". Dieses Geld wurde im September angekündigt, also vor fast einem halben Jahr. Im Dezember dann trat das dazu gehörende Gesetz in Kraft. Gestern nun kündigte Stark-Watzinger – eine Website – an.

Und als wäre das alles nicht schon Farce genug, ist es momentan noch nicht mal möglich, sein Geld dort zu beantragen. Man kann sich dort nun vorab informieren. Das ist alles – und ein gehöriges Armutszeugnis.

Denn wer sich dermaßen digital und fortschrittlich inszeniert wie die FDP – der muss dann auch liefern. Und kann sich nicht zurückziehen auf Symboltermine und -websites oder das Verrücken von Buchstaben auf analogen Schildern.

"Digital first" – hatte die FDP 2021 plakatiert. "Warten wir nicht länger", sagt Christian Lindner in seinem Spot aus 2021. Damals meinte er noch uns alle. Wir warten immer noch. Vielleicht sagt er das mal seinen Ministern. Und erklärt ihnen, was "digital" bedeutet. Oder "first".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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