Kohl-Enkel in der CDU Ein eklatanter Mangel an Stil

Manchmal gibt es Tage, an denen Schweigen die richtige Wahl ist. Das müssen gerade viele junge Politiker noch lernen. Einer von ihnen ist der Enkel von Helmut Kohl.
Altwerden ist nix für Feiglinge, das wusste schon Joachim Fuchsberger. Und der hat noch die goldenen Zeiten erlebt, nämlich die ohne soziale Netzwerke. Die machen das Altern nämlich noch viel schlimmer, Stichwort: Diskriminierung. Was muss man sich nicht alles anhören als nicht mehr ganz taufrischer Mensch: dass man ja keine Medienkompetenz besitzen könne, weil man in der Wiege nicht am iPhone, sondern noch ganz klassisch am Schnuller genuckelt hat. Dass man angeblich besonders anfällig ist für Betrugsmaschen.
Es zeigt sich aber immer wieder: Auch die Jüngeren, die Generationen, die eine Welt ohne Netz und ohne Plattformen gar nicht kennen, tappen in Fallen. Zum Beispiel in die, zu jedem Anlass senden zu wollen, statt einfach auch mal NICHT zu senden. Schweigen ist Gold, pflegen wir Älteren zu sagen.

Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz". Mehr zu Nicole Diekmann.
Den aktuellsten Beleg liefert der Bundestagsabgeordnete Johannes Volkmann, CDU, Jahrgang 1996. Volkmann hat ein Video gepostet, in dem er sich vor dem Fraktionssaal der Linkspartei im Bundestag zeigt. "Hört ihr das?", fragt er in die Kamera, guckt leicht feixend nach links und rechts (wobei man ja gar nicht mit den Augen hört), spielt kurz ein Grillenzirpen ein, und wendet sich dann wieder seinem Publikum zu. "Das ist das ohrenbetäubende Schweigen all derjenigen, die seit zwei Jahren für Palästina auf die Straße gehen. Jetzt, wo es einen Waffenstillstand gibt, wo die Geiseln freigelassen werden, wo Hamas kapituliert: Schweigen. Das ist entlarvend", findet Volkmann. "Die Pro-Palästinenser, seien sie linksradikal oder islamistisch, waren vor allem anti Israel. Es ging nie um die Menschen in Gaza. Es ging um die ideologische Zweckentfremdung und um die eigenen Klickzahlen."
Man muss über Antisemitismus sprechen
Man könnte jetzt inhaltlich diskutieren. Und infrage stellen, ob die radikalislamische Hamas, die sich ausdrücklich gegen ihre geforderte Entwaffnung stellt, tatsächlich mehr kapituliert hat als Israel, das im Tausch gegen 20 lebende und 28 tote Geiseln fast 2.000 palästinensische Häftlinge freigelassen hat, die teils schwerste Straftaten verübt haben. Man kann darüber sprechen, wie viel Aussagekraft der Geräuschpegel im Bundestag an einem Montag hat – nämlich so gut wie gar keine. Könnte man alles thematisieren.
Worüber man sprechen MUSS, da hat Volkmann völlig recht, ist aber der Antisemitismus in der Linkspartei. Wobei sich dann schnell die Frage aufdrängt, wann denn sein Video zur AfD folgt. Lassen wir aber mal inhaltliche Fragen beiseite zu diesem so furchtbar blutigen und komplizierten Konflikt, den Volkmann selbst für Social-Media-Verhältnisse fast schon Intelligenz beleidigend simplifiziert: Er schließt nämlich sein Video mit den Worten ab, er sei froh, als Mitglied der Union auf der "richtigen Seite dieser Geschichte" zu stehen.
Ja, die Unionsparteien sind sehr klar aufgestellt – klar gegen Antisemitismus. Mit Martin Hohmann zum Beispiel machte man einst ziemlich kurzen Prozess: Als der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete im Oktober 2003 eine als antisemitisch bewertete Rede hielt, musste er kurz darauf die Fraktion und auch die Partei verlassen. Keine Frage. Da fackelte die CDU, deren Vorsitzender Volkmanns Großvater Helmut Kohl jahrelang war, nicht lange.
Darum geht es ihm wirklich
Ob es aber einen komplett richtigen und einen komplett falschen Standpunkt in der "Geschichte" gibt, wie Volkmann den Tod von fast 70.000 Menschen seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem daraus folgenden Krieg nennt – ich würde es bezweifeln.
Was ich aber ganz klar sagen würde: Es gibt einen falschen Zeitpunkt dafür, diese "Geschichte" parteipolitisch auszuschlachten. Und den hat Volkmann zielgenau erwischt. An dem Tag, an dem 20 vermutlich zutiefst traumatisierte Menschen endlich zurückkehren dürfen zu ihren Liebsten, die ebenfalls durch die Hölle gegangen sind, an dem man sich zumindest kurz dem Traum auf Frieden in Nahost hinzugeben gewillt ist – an diesem Tag ist das nicht angebracht. Denn es nährt einen Verdacht. Nämlich den, dass es Volkmann genau darum geht, was er der Linken vorwirft: um "ideologische Zweckentfremdung und um die eigenen Klickzahlen".
Talent für das Ignorieren von Anstand
Reichweite first, Stilbedenken second – mangelndes Empfinden für das rechte Wort zur rechten Zeit ist parteiübergreifend vorhanden. Auch bei den Grünen gibt es dieses Phänomen. Die mit Volkmann fast gleichaltrige Jette Nietzard, just nicht mehr Co-Chefin der Grünen Jugend und 1999 geboren, hat unfreiwillig quasi ein Lehrbuch darüber geschrieben.
Nietzard besitzt ein ausgeprägtes Gespür dafür, aktuelle Aufhänger für ihre politischen Kernforderungen zu finden. Noch größer allerdings ist ihr Talent, ihre Inhalte durch das weitgehende Ignorieren des kleinen Einmaleins des Anstands im Hintergrund verschwinden zu lassen, sodass alle Welt nur noch über ihren eklatanten Mangel an Stilempfinden diskutiert.
Nietzard war Wiederholungs- und anscheinend auch Überzeugungstäterin. Und sie war Grüne Jugend-Vorsitzende. Sie ist auch über ihre katastrophalen Social-Media-Auftritte gestolpert. Über Volkmann kann man das noch nicht sagen. Was aber klar ist: Jugend schützt vor Social-Media-Fehlern nicht. Und aus Mist lässt sich kein Gold machen, allen Redensarten zum Trotz.
- Eigene Meinung



