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Bürgergeld statt Hartz IV: "Diese Bürgergeld-Regel können wir uns nicht leisten"


Schonvermögen
"Diese Bürgergeld-Regel können wir uns nicht leisten"


Aktualisiert am 10.11.2022Lesedauer: 3 Min.
Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

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Aus Hartz IV wird das Bürgergeld: Aber nur, wenn die Union im Bundesrat zustimmt. Danach sieht es nicht aus; sie kritisiert das zu hohe Schonvermögen. (Symbolbild) (Quelle: Rainer Unkel/imago-images-bilder)

Die Union lehnt das neue Bürgergeld ab – vor allem, weil es künftig auch Wohlhabende bekommen könnten. Ist die Kritik berechtigt? Ein Pro und Kontra.

Damit das Bürgergeld im Januar in Kraft treten kann, muss es jetzt schnell gehen. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Zwar hat der Bundestag die Neuregelung, die das bisherige Hartz-IV-System ablösen soll, am Donnerstag verabschiedet. Die Union lehnt es aber strikt ab und will es nun im Bundesrat blockieren.

Arbeiten lohne sich künftig nicht mehr, behauptet sie und kritisiert insbesondere das sogenannte Schonvermögen. Demnach erhalten Arbeitslose in den ersten 24 Monaten auch Leistungen, wenn sie ein Vermögen von bis zu 60.000 Euro haben. Das sei viel zu hoch, sagt CDU-Chef Friedrich Merz. Künftig könnten dann auch Wohlhabende Sozialleistungen beziehen. Ist die Kritik am Schonvermögen berechtigt?

Ja, Anreize fürs Nichtarbeiten können wir uns nicht leisten

Das Pro von Florian Schmidt

"Wer hat, dem wird gegeben", heißt es in der Bibel. Fünf Worte, die vortrefflich auf den Punkt bringen, was viele Menschen empfinden: Es ist unfair, wenn jenen geholfen wird, die eigentlich keine Hilfe benötigen.

Komischerweise geht es vielen beim Bürgergeld anders. Die Empörung über die Haltung der Union unter ihrem Fraktionschef Friedrich Merz ist groß – dabei hat dieser völlig recht:

Es kann nicht angehen, dass der Staat die zu Corona-Zeiten ausgesetzte Vermögungsprüfung bei Hartz-IV-Beziehern in eine dauerhafte Regel überführt und künftig Vermögen von bis zu 60.000 Euro während einer "Karenzzeit" nicht auf den Bezug des Bürgergelds anrechnet.

60.000 Euro sind eine Menge Geld. Wer über so viele Reserven verfügt, ist nicht arm. Er kann locker zumindest einen Teil dieser Summe dafür einsetzen, um seine finanziellen Nöte zu verbessern – und damit die Sozialkasse zu schonen.

Viel wichtiger als das ist jedoch das Signal, das von der Regel ausgeht: Macht doch nichts, wenn ich arbeitslos werde, die ersten zwei Jahre kann mir und meinem Vermögen kaum etwas geschehen. Erst einmal abwarten, was sich ergibt, bloß nicht gleich jeden Job annehmen.

Genau diese Haltung können wir uns in Deutschland aber nicht leisten. Der Mangel an Arbeitskräften ist in vielen Branchen so groß, dass er die Geschäftslage der Unternehmen bedroht.

Was im Falle einer einzelnen Firma noch verkraftbar ist, wird gesamtwirtschaftlich schnell zum Problem. Experten rechnen damit, dass den Unternehmen wegen des demografischen Wandels bis 2030 rund 3,6 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden.

Das wiederum heißt: Wollen wir unseren Wohlstand halten, brauchen wir jeden Einzelnen, der arbeiten kann. Jeder noch so kleine Anreiz, nicht arbeiten zu gehen, ist deshalb schädlich.

Nein, das ist kurzsichtige und kaltherzige Polemik

Das Kontra von Heike Vowinkel

Politik lebt von Vereinfachung und von Emotionen.

Dass die Union ihre Kritik am neuen Bürgergeld vor allem auf das geplante Schonvermögen von 60.000 Euro konzentriert, ist deshalb zunächst einmal politisch nachvollziehbar. Denn die Frage, warum ein Wohlhabender zwei Jahre lang Geld vom Staat bekommen kann, sorgt – so platt formuliert – bei vielen für Unverständnis. Im besten Falle. Andere werden eher mit Wut und Neid reagieren.

Aber die Kritik ist trotzdem im Kern falsch. Denn Politik ist komplex, und Emotionen führen oft in die Irre. In Wahrheit ist der Streit um das Schonvermögen eine Scheindebatte: Menschen, die längere Zeit Arbeitslosengeld beziehen und ein Vermögen von 60.000 Euro besitzen, gibt es so gut wie nicht. Das zeigen Studien von Wirtschaftsforschern. Die allermeisten dieser Menschen stammen aus dem unteren Einkommens- und Vermögensdrittel.

Die geplante, großzügigere Regelung zielt vielmehr auf Menschen ab, die jahrelang gearbeitet und sich etwas zusammengespart haben. Es sind Menschen, die ihren Job verlieren, weil sie in Zeiten rasanter Digitalisierung vielleicht nicht mehr qualifiziert genug sind. Sie finden nicht von jetzt auf gleich einen neuen Job, sondern müssen qualifiziert werden, sich weiterbilden.

Wenn sie zugleich das Wenige, das sie sich vielleicht fürs Alter erspart haben, in dieser Zeit aufbrauchen müssen, ist niemandem gedient. Denn die Folgekosten werden deutlich höher sein, etwa weil sie im Alter dann Grundsicherung beantragen müssen, da das Ersparte ja während der Arbeitslosigkeit aufgebraucht wurde.

Gerade diese Menschen haben bereits gezeigt, dass sie Verantwortung fürs eigene Leben übernehmen, indem sie Geld sparen. Sie in einer Notsituation dazu zu zwingen, dieses Geld aufzubrauchen, ist kurzsichtig und kaltherzig.

Die Union sollte es besser wissen. Wer auf simplen Sozialneid setzt, mag kurzfristig damit punkten. Langfristig verspielt er Vertrauen.

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