Wohnungsbau im Stillstand Warum ohne Kurswechsel alles noch schlimmer wird

Deutschland steckt in der Wohnkrise: Warum die Wohnungsknappheit längst nicht nur Mieter trifft, sondern auch die Wirtschaft belastet.
Seit mehr als drei Jahren werden kaum noch neue Bauprojekte realisiert. Steigende Kosten und eine stockende Förderung haben dazu geführt, dass vielerorts nur noch wenige Wohnungen entstehen. Das spüren nicht nur Bauunternehmen, sondern auch Mieterinnen und Mieter: Die Nachfrage steigt, das Angebot stagniert.
Laut einer aktuellen Studie des Pestel-Instituts fehlen mittlerweile rund 1,2 Millionen Wohnungen – allein in den alten Bundesländern. Diese Zahl liegt deutlich über den bisherigen Schätzungen, weil die Forscher langfristig leer stehende Wohnungen herausgerechnet haben. Der Wohnungsmangel ist damit gravierender, als viele dachten, und betrifft längst nicht mehr nur Ballungsräume.
Zinswende treibt Mietnachfrage zusätzlich an
Ein zentraler Grund für die verschärfte Lage ist unter anderem die Zinswende. Seit dem Anstieg der Bauzinsen können sich viele Haushalte den Kauf einer Immobilie nicht mehr leisten. Wer ursprünglich Eigentum erwerben wollte, sucht eine Mietwohnung und verlagert damit die Nachfrage vom Kauf- auf den Mietmarkt.
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Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich deutlich. In vielen Städten schnellen die Preise in die Höhe – besonders stark in Berlin. Dort stiegen laut einer aktuellen Auswertung des "Spiegel" die Angebotsmieten seit Anfang 2022 um 42 Prozent auf durchschnittlich 14,90 Euro pro Quadratmeter. Damit übertrifft die Hauptstadt sogar München und Hamburg – zumindest bei Neuvermietungen.
Hoher Wohnraumbedarf durch Zuwanderung
Hinzu kommt die hohe Zuwanderung: Seit 2022 sind dem "Spiegel" zufolge mehr als eine Million geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland gekommen und benötigen ebenfalls Wohnraum. Die Folge: In vielen Städten sind Mietwohnungen kaum noch zu finden, und selbst in kleineren Orten steigen die Preise spürbar.
Für viele Menschen bedeutet das: Sie können sich einen Umzug schlicht nicht mehr leisten. Paare bleiben in getrennten Wohnungen, obwohl sie zusammenziehen möchten, oder leben nach einer Trennung weiter zusammen, weil eine kleinere Wohnung zu teuer wäre.
Auch ältere Menschen scheuen den Umzug in eine kleinere Wohnung, weil die erwartete Ersparnis durch höhere Mieten verpufft. Der Wohnungsmarkt gerät dadurch ins Stocken. Immer weniger Wohnungen werden frei, und die Suche nach einer bezahlbaren Bleibe wird für viele zur Belastungsprobe. Der "Spiegel" spricht bereits von einem regelrechten "Einfrieren" des Marktes.
Wohnungsmangel bremst Wirtschaft
Dieser Wohnungsmangel bleibt nicht ohne Folgen für die Wirtschaft. Laut dem Forschungs- und Beratungsinstitut Pestel hemmt die angespannte Lage inzwischen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Unternehmen haben große Schwierigkeiten, neue Fachkräfte zu gewinnen, vor allem in Regionen, in denen bezahlbarer Wohnraum Mangelware ist.
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Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schrecken vor einem Jobwechsel zurück, wenn sie dafür umziehen müssten. Wer keine Wohnung findet, bleibt lieber im alten Job, auch wenn sich dadurch Karrierechancen verschlechtern.
Diese Zurückhaltung trifft den Experten des Pestel-Instituts zufolge besonders Branchen, die dringend Personal suchen, etwa das Handwerk, die Pflege und die Industrie. Der stockende Wohnungsmarkt wird damit zu einem Risiko für den gesamten Standort Deutschland.
Fachleute fordern Wohnungsbau-Offensive
Ohne ein entschlossenes Umsteuern in der Wohnungspolitik lässt sich die Krise nach Einschätzung von Fachleuten nicht lösen. "Die Lage spitzt sich zu", warnt Pestel-Chefökonom Matthias Günther. Das Institut fordert deshalb eine breite staatliche Förderung des Wohnungsbaus, und zwar über alle Segmente hinweg: vom sozialen Wohnungsbau über frei finanzierte Mietwohnungen bis hin zu Wohneigentum.
Entscheidend sei, dass Förderprogramme nicht länger an immer strengere energetische oder bürokratische Auflagen gebunden werden. Diese verteuerten den Bau und verzögerten Projekte, anstatt sie zu fördern. Nur wenn die Politik alle Hemmnisse abbaue und Anreize für Investitionen schaffe, könne die dringend benötigte Trendwende gelingen, so Günther. Andernfalls drohe sich der Wohnungsmangel mit spürbaren Folgen für Mieter, Bauwirtschaft und Arbeitsmarkt gleichermaßen weiter zu verschärfen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- spiegel.de: "Hier steigen die Mieten in Deutschland am stärksten"



