Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Aida und Co. Für Kreuzfahrt-Riesen geht es nur nach oben

Man möchte meinen, die Unsicherheiten auf den Weltmeeren lassen Kreuzfahrer zu Hause bleiben. Aber weit gefehlt. Branche und Aktien boomen. Wie machen die das?
Die einen mögen sie als bequeme schwimmende Hotels mit vielen Annehmlichkeiten auf dem Weg zu gleich mehreren Reisezielen. Die anderen verachten sie als umweltschädlichen Massentourismus auf See. Kreuzfahrten polarisieren enorm. Wie auch immer man zu ihnen steht, der Boom der Branche ist nicht zu leugnen. Auch an der Börse nicht. Die schlechten Zeiten nach der Corona-Pandemie sind vorbei. Und das geschah fast unbemerkt.

Zur Person
Antje Erhard arbeitet seit rund 20 Jahren als Journalistin und TV-Moderatorin. Ihr Weg führte sie von der Nachrichtenagentur dpa-AFX u. a. zum ZDF. Derzeit arbeitet sie für die ARD-Finanzredaktion in Frankfurt und berichtet täglich, was in der Welt der Börse und Wirtschaft passiert.
Beispiel Royal Caribbean: Zu dieser Reederei gehören die größten und komfortabelsten Schiffe der Welt. Man sagt ihnen viel Abwechslung auf See und Glamour wie im Film für jedermann nach. Ich kann da nicht mitreden. Bei der Aktie schon eher, wobei mich die Kursentwicklung da doch sehr überrascht. Aber wir haben ja gelernt, die Börse ist kein Ort von Moral. Es geht ums Geschäft und da haben die Kreuzfahrtunternehmen durchaus was vorzuweisen.
Die Aktie von Royal Caribbean hat in einem Jahr ihren Wert jedenfalls fast verdoppelt. Oder Carnival Cruises: Binnen eines Jahres hat die Aktie fast 50 Prozent an Wert gewonnen. Auch der Corona-Crash ist mehr als wettgemacht. So weit, so gut.
Viele der Unternehmen machen jetzt ordentlich Gewinn, die Gästezahlen steigen stark, das Geschäftsmodell funktioniert.
Viel jünger als gedacht
Wie machen die verpönten Umweltsünder das? Offensichtlich verstehen sie es, geschickt für sich und viele Sehnsuchtsziele zu werben. Dann gibt es immer neue Konzepte, etwa Luxusreisen oder auch mehr Angebote für Alleinreisende. Die Schiffe sollen viel Freizeitwert bieten, die Routen sind Sehnsuchtsziele von Alaska bis Sansibar. Und dann erschließt die Branche tatsächlich auch neue Zielgruppen.
Landläufig hält sich seit Langem das Vorurteil, dass Kreuzfahrer überwiegend Senioren seien. Aber das stimmt nicht (mehr). 46,5 Jahre alt ist der Kreuzfahrer im Schnitt, sagt der Branchenverband Clia. Die Zielgruppen mögen das Konzept des Sich-um-nichts-kümmern-brauchen und dabei ein tolles Reiseziel nach dem anderen zu sehen.
Doch die See ist rau geworden: Kreuzfahrtunternehmen haben während der Pandemie hohe Schulden aufgebaut. Die müssen getilgt werden. Zugleich müssen den reisehungrigen Gästen immer neue Erlebnisse an Bord und an Land geboten werden. Dafür muss die Branche viel investieren.
Umwelt wird mehr zum Thema
Und um die größte Kritik, die Umweltverschmutzung zu umschiffen und halbwegs nachhaltig zu cruisen, müssen alternative Antriebe her. Zum Beispiel: Schiffe, die mit LNG (Flüssiggas) fahren. Da tut sich bislang aber wenig. Immerhin: In diesem Jahr hat Viking das erste Wasserstoffschiff angekündigt. Was auf der Straße mit Autos nicht gelingt mangels Nachfrage, soll auf dem Wasser klappen. Man darf gespannt sein.
Sorge macht im Moment aber mehr noch die Geopolitik: Aida Cruises hat Kreuzfahrten im Persischen Golf für die Saison 25/26 abgesagt. Es gibt alternative Routen, die sicherer sind. Explizit wurde die Unsicherheit in der Region aber nicht als Grund genannt, und andere Schiffe sind noch dort unterwegs.
Häfen sagen stopp
Und dann ist da noch das Problem, dass einige Häfen die Zufahrt für Kreuzfahrtschiffe begrenzen: Kürzlich verkündete Cannes, beliebtes Kreuzfahrtziel an der Côte d'Azur, dass ab nächstem Jahr nur noch ein Schiff pro Tag in der Bucht vor der Stadt anlegen darf. Andere beliebte Reiseziele begrenzen die Anzahl und Größe der Kreuzfahrtschiffe ebenfalls. Sehnsuchtsziele wie Ibiza oder Venedig werden den Massen nicht mehr Herr. Sie leben zwar überwiegend vom Tourismus, aber der muss machbar bleiben.
Beispiel Ibiza: Die Insel hat rund 150.000 Einwohner. Pro Tag kommen bis zu drei Kreuzfahrtschiffe an: Das sind dann schnell 10.000 bis 15.000 Menschen. Die vornehmlich in der Hauptstadt und stadtnahen Bereichen unterwegs sind. Das wäre in etwa so, als kämen 70.000 zusätzliche Menschen zu allen Arbeitenden, Pendlern, Reisenden täglich nach Frankfurt ...
Steuern als neues Thema
Und wie auf hoher See kann auch an Land plötzlich ein Sturm aufziehen. Vor einigen Wochen kam er aus den USA: Handelsminister Howard Lutnick dachte laut über eine Besteuerung von Kreuzfahrtreedereien nach. Daraufhin sanken die Aktienkurse der Unternehmen.
Tatsächlich zahlen die Reedereien mehrheitlich wenig Steuern. Üblicherweise fahren Kreuzfahrtschiffe unter ausländischen Flaggen, aus Ländern, die steuerlich für die Reedereien günstiger sind. In Deutschland wären Anbieter von einer Besteuerung betroffen. Und so fährt Aida zum Beispiel unter italienischer Flagge.
Fazit: Kreuzfahrten boomen aller geopolitischen und Umweltsorgen zum Trotz. Das hat die Kurse weit nach oben gespült. Die Pandemie hat allerdings auch die Verwundbarkeit gezeigt. Und in meinen Augen sollte die Branche viel mehr tun, um vom Schweröl wegzukommen und sauberer unterwegs zu sein. Von der Autoindustrie wird das schließlich auch verlangt.
- Eigene Meinung