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Die Grünen im Höhenflug: Was die Partei noch nicht begriffen hat


Kanzlerpartei?
Was die Grünen noch nicht begriffen haben


Aktualisiert am 11.06.2019Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Robert Habeck und Annalena Baerbock: Der Grünen-Vorsitzende möchte "Garantiesysteme" statt Hartz IV, die Parteivorsitzende der Grünen würde gerne Facebook zerschlagen.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck und Annalena Baerbock: Der Grünen-Vorsitzende möchte "Garantiesysteme" statt Hartz IV, die Parteivorsitzende der Grünen würde gerne Facebook zerschlagen. (Quelle: Jens Jeske/imago-images-bilder)

Gestern hat mein Kollege Gerhard Spörl an dieser Stelle den Aufstieg der Grünen erklärt. Trotz aller Wahlerfolge und Umfragehochs: Ein paar Fragezeichen bleiben.

Schon klar. Niemand wählt die Grünen wegen ihrer Vorstellungen zur Wirtschafts- oder Finanzpolitik. Und doch ist wichtig zu wissen, was sich die Partei in den Politikbereichen vorgenommen hat, die nicht zu ihrem Gründungsmythos gehören.

Keine Partei hat soziale Marktwirtschaft so wenig verinnerlicht

"Alle wissen, dass wir jetzt liefern müssen", sagt der Parteivorsitzende Robert Habeck nach der erfolgreichen Europawahl. Das heißt: Die Grünen dürfen nicht Klima- und Umweltpartei bleiben. Sie müssen in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik realistische Vorstellungen entwickeln. Davon sind sie noch weit entfernt.

Kaum eine Partei führt das Wort der ökologisch sozialen Marktwirtschaft so gern im Mund wie die Grünen. Doch keine Partei hat das Wesen der Marktwirtschaft so wenig verinnerlicht. In der sozialen Marktwirtschaft gibt es zwar einen starken Staat. Doch der setzt nur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, in Details mischt er sich nicht ein. Die Grünen ticken anders. Sie glauben, dass der Staat einen Auftrag hat, gegen Schottergärten – das sind Vorgärten, die mit Steinen, Schiefer oder Kies ausgelegt werden – vorzugehen. Sie sind davon überzeugt, dass nur staatliches Handeln gegen Einweg-Kaffeebecher hilft. Sie planen Maßnahmen gegen das Böllern an Silvester, gegen süße Limonade, gegen das Vernichten zurückgeschickter Produkte.

Die Grünen sind nicht mehr David, der gegen Goliath kämpft

Die Grünen trauen dem System "Leitplanke der Marktwirtschaft" nicht. Solange man nur als kleiner Koalitionspartner infrage kommt, kann das funktionieren: Das David-gegen-Goliath-Narrativ ist mächtig. Als Kanzlerpartei sind die Grünen aber nicht mehr David. Sie wären groß. Sie müssten große Themen groß schreiben. So weit aber sind die Grünen bisher nur in ihren Kerngebieten Umwelt und Klimaschutz.


Beispiel Steuerpolitik: Steuerpolitisch sind die Grünen eine klare Linkspartei. Die Ungleichheit in der Gesellschaft soll bekämpft werden. Entlasten wollen die Grünen Familien mit Kindern, Arme, Alleinerziehende und Mittelverdiener. Multinationale Unternehmen sollen endlich ihre Steuern bezahlen, Superreiche und Vermögende würden die Grünen stärker belasten, Steuerschlupflöcher sollen geschlossen werden.

Die Grünen brauchen eine mit Zahlen hinterlegte Steuerstrategie

So weit, so gut. Doch die grünen Finanzpolitiker wissen sehr genau, dass die Jagd auf Steuersünder nicht reichen wird, um die große Umverteilung in Gang zu setzen. Es muss eine Steuerreform geben, die Steuerbelastung müsste bis weit in die Mitte der Gesellschaft steigen, wenn alle Pläne finanziert werden sollen.

Das Problem: Hier sitzen die Wähler der Grünen, Studienräte, Rechtsanwältinnen, Beamte und Angestellte in den Großstädten. Sie werden es nicht lustig finden, wenn sie am Ende mit weniger netto nach Hause kommen. Wenn die Grünen diese Enttäuschung vermeiden wollen, müssen sie rechnen. Eine mit Zahlen hinterlegte Steuerstrategie ist das Mindeste, was man von einer Kanzlerpartei erwarten muss.

Warum die Wirtschaftspolitik der Grünen nicht durchdacht ist

Dasselbe gilt für die Unternehmensteuern. Natürlich kann man versuchen, die Steuermoral zu heben. Man kann auch die Unternehmensteuer erhöhen. Das ist zwar populär, schlau wäre es aber zur Zeit nicht. Denn in den meisten Ländern der Welt sinken die Unternehmensteuern gerade. Stemmt man sich diesem Trend entgegen, verliert man Investoren und Arbeitsplätze.

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Beispiel Wirtschaftspolitik: Familienunternehmen finden die Grünen toll, multinationale Konzerne halten sie für schlecht. Facebook zu zerschlagen, ist für die Parteivorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, eine gute Idee. Doch sollte man marktbeherrschenden Unternehmen gleich mit der ganz großen Keule begegnen? Was hieße das für die vielen Mittelständler in Deutschland, die in ihrem Bereich ebenfalls marktbeherrschend sind? Dazu fällt den Grünen noch nichts ein.

Was die Grünen nun zu tun haben

Stattdessen Sozialpolitik: Der Staat soll, so findet der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, einfach netter zu seinen bedürftigen Bürgern sein. Ein "Garantiesystem" soll die Hartz-Leistungen ersetzen. Dessen Kernelemente: mehr Geld, kein Arbeitszwang, keine Sanktionen, bessere Zuverdienstmöglichkeiten, hohes Schonvermögen. 30 Milliarden Euro will Habeck dafür ausgeben. Woher die kommen sollen? "Gerechtere Verteilung der Wohlstandsgewinne", schlägt der Parteivorsitzende vor. Womit wir wieder bei der Steuerpolitik wären.

Die Grünen sind in den jüngsten Meinungsforschungsumfragen die stärkste Partei in Deutschland geworden. Würde jetzt neu gewählt, könnten sie sich Hoffnungen machen, die Kanzlerin oder den Kanzler zu stellen. Das neue Grundsatzprogramm der Partei, das alle offenen Fragen beantworten wird, wird erst im kommenden Jahr fertig. Die Grünen sollten sich damit beeilen.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neues Buch heißt: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert."

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