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Brexit-Drama: Boris Johnson nimmt einen hohen Preis in Kauf


Brexit-Folgen
Boris Johnson nimmt einen hohen Preis in Kauf

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 22.10.2019Lesedauer: 3 Min.
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Lkws warten bei einem Brexit-Testlauf vor dem Fährhafen von Dover auf ihre Abfertigung: Mit seinem Kurs schadet der britische Premierminister Boris Johnson der Wirtschaft des eigenen Landes, meint t-online.de-Kolumnistin Ursula Weidenfeld.Vergrößern des Bildes
Lkws warten bei einem Brexit-Testlauf vor dem Fährhafen von Dover auf ihre Abfertigung: Mit seinem Kurs schadet der britische Premierminister Boris Johnson der Wirtschaft des eigenen Landes, meint t-online.de-Kolumnistin Ursula Weidenfeld. (Quelle: ap)

Das Brexit-Drama hat schon jetzt schwerwiegende Folgen für die europäische Wirtschaft. Der Kurs des britischen Premierministers droht jedoch auch seinem eigenen Land zu schaden.

Alles schon mal da gewesen, alles sattsam bekannt? So könnte man fragen, wenn man sich die neuesten Windungen im britischen Theater um den Brexit anschaut. Doch man würde etwas übersehen, wenn man die Tricksereien um eine Entscheidung im britischen Unterhaus auf die leichte Schulter nähme: In den vergangenen sechs Monaten ist nicht nur England immer weiter vom europäischen Kontinent weggedriftet. Auch in der Europäischen Union wirkt die Plattentektonik.

Hatte in Brüssel im Frühjahr noch die heimliche Hoffnung geherrscht, die Briten würden sich die Sache noch einmal überlegen, so scheint jetzt sicher zu sein, dass Großbritannien die Europäische Union verlässt. Nun wachsen die Ungeduld und die Haltung: Sie sollen endlich gehen. Denn die Ungewissheit kostet Europa mehr politische Energie und Wirtschaftswachstum, als ein zügiger und geordneter Abschied Großbritanniens es erfordern würde.

Brexit als Auslöser für eine Wirtschaftskrise?

Europa steckt tief in der wirtschaftlichen Flaute, Deutschland ist der Rezession näher als der erhofften Erholung. Klar: Im Szenario des ökonomischen Schreckens rangiert ein ungeregelter Brexit immer noch ganz oben. Er könnte der Auslöser einer echten Wirtschaftskrise werden – in Großbritannien, aber eben auch auf dem europäischen Kontinent. Doch direkt dahinter kommt nun die Ungewissheit. Den Brexit immer wieder und immer neu verschieben zu müssen, bis sich die Briten endlich auf eine Lösung verständigt haben, führt auf beiden Seiten des Ärmelkanals zu Investitionszurückhaltung und Planungsstau.

Handel mit Großbritannien bricht schon ein

Das war vor einem halben Jahr noch anders. Damals gab es viele in der Europäischen Union, die sich sicher waren, die Briten über eine immerwährende Verlängerung in der Union halten zu können. Doch in diesem Herbst werden die Kosten dieser Strategie sichtbar. Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 hat sich die Desintegration des Europäischen Wirtschaftsraums schon vollzogen: Der Handel zwischen Deutschland und Großbritannien beispielsweise geht kontinuierlich zurück. Der Export brach im ersten Halbjahr 2019 um fast fünf Prozent ein, der Import aus Großbritannien um knapp vier Prozent – und das nach einem ziemlich dramatischen Rückgang im Vorjahr.

Vor der Brexit-Entscheidung war Großbritannien der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands. Jetzt ist das Land auf Position sieben zurückgefallen. Vor allem die Autohersteller und die Chemieindustrie, ohnehin schon durch die weltweite wirtschaftliche Flaute getroffen, können immer weniger ins Vereinigte Königreich verkaufen.

Milliardenverluste bei No-Deal-Brexit

Gäbe es jetzt eine klare Perspektive, wie es weitergeht, wäre ein weiterer Rückgang der Handelsbeziehungen zwar ebenfalls wahrscheinlich. Doch könnten die Unternehmen wieder beginnen zu planen. Das wäre ein Fortschritt gegenüber dem heutigen Zustand. Anfang des Jahres hatte die Bertelsmann Stiftung die Folgen des Brexits einmal durchrechnen lassen.

Auch dabei schnitt das No-Deal-Szenario verheerend ab. Einkommensverluste von bis zu 40 Milliarden Euro jährlich müssten die verbliebenen EU-Staaten bei einem harten Brexit verkraften, rechneten die Wissenschaftler vor. Großbritannien müsste einen Ausfall von bis zu 57 Milliarden Euro verkraften. Bei einem geregelten Austritt könnten diese Verluste nahezu halbiert werden. Doch auch dann bleibt das Wirtschaftswachstum auf dem Kontinent wie auch auf den britischen Inseln selbst deutlich unter dem bisherigen Potenzial.

Johnsons Pläne: wirtschaftliche Kluft zwischen England und Europa

Der Plan, den Premierminister Boris Johnson jetzt durch das Parlament pauken will, wird Briten und Europäer noch einmal tiefer treffen als das Verhandlungsergebnis, das seine Vorgängerin Theresa May verhandelt hatte. Wollte sie Großbritannien de facto in einer engen Zollunion mit dem europäischen Kontinent halten, plant Johnson einen eigenen Weg für sein Land.

Er nimmt einen hohen Preis für das Ziel in Kauf, Handelsverträge abschließen und eigene Regulierungen verfügen zu können. Zwischen England und dem Kontinent wird es dann beispielsweise keine gemeinsamen Standards für Produkte und Dienstleistungen mehr geben. Unternehmen, die in beiden Märkten arbeiten wollen, müssten künftig für jeden der Märkte Zertifizierungsverfahren durchlaufen. Es ist kein Wunder, dass die britische Industrie am gestrigen Montag Alarm schlug. Vor allem die Luftfahrtbranche, Auto- und Chemieindustrie, die Nahrungsmittelwirtschaft und die Pharmaindustrie fürchten diese Entwicklung.


Die europäische und die britische Wirtschaft sind in schwieriger Verfassung, der Grat zwischen Flaute, Rezession und Krise ist schmal. Ein harter Brexit würde die Konjunktur mit ziemlicher Sicherheit endgültig in Richtung Süden schicken. Dauerhafte Unsicherheit aber würde ihr auch nicht helfen.

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