Die Lohnschere klafft in Deutschland immer weiter auseinander: Wer gut verdient, durfte sich in den letzen Jahren über Zuwächse freuen. Wer wenig hatte, musste weitere Einbußen hinnehmen. Schuld daran ist vor allem, dass immer weniger Betriebe nach Tarif zahlen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Münchner Ifo-Instituts.
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Die Globalisierung, also die zunehmende internationale Verflechtung der Wirtschaft, spiele dagegen eine deutlich geringere Rolle, so die Forscher. Kritiker halten dieser Folgerung entgegen, dass die Tarifflucht eine der Folgen der Globalisierung sei.
Rückzug aus dem Tarifvertrag
Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Anteil der Unternehmen, die nach Tarif zahlen, von 60 Prozent auf mittlerweile 35 Prozent gesunken. Der Anteil der tarifgebundenen Beschäftigen fiel im selben Zeitraum von 82 auf 62 Prozent.
Im gleichen Zeitraum stiegen die Reallöhne inflationsbereinigt bei den 20 Prozent Beschäftigten mit den höchsten Gehältern um 2,5 Prozent. Gleichzeitig habe das Fünftel der Arbeitnehmer mit den geringsten Verdiensten Einbußen um 2 Prozent hinnehmen müssen.
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Lohnungleichheit in Deutschland nach wie vor geringer ist als im Durchschnitt der OECD-Staaten (Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung). In den vergangen 20 Jahren sei die Schere in der Bundesrepublik aber stärker auseinandergegangen als in den USA oder Großbritannien, so die Forscher.
Mehr Arbeitsplätze auf Niedriglohn-Niveau
Als Hauptgrund sieht die Studie vor allem den veränderten Arbeitsmarkt. Neue Arbeitsplätze seien vor allem durch flexiblere Bezahlung im Niedriglohn-Sektor entstanden. Laut Statistischem Bundesamt waren 2006 rund 19 Prozent im unteren Lohnbereich beschäftigt, 2010 waren es bereits fast 21 Prozent.
"Wir brauchen in Deutschland mehr Anstrengungen, um die Einkommensungleichheit zu verringern und dabei die Beschäftigungsverluste möglichst gering zu halten", sagte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung. Auch nach Einführung des Mindestlohns bestehe hier weiter Handlungsbedarf.