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Bürgergeld-Debatte: Was Friedrich Merz und Christian Lindner uns verschweigen


Debatte ums Bürgergeld
Was uns Merz und Lindner verschweigen

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 08.11.2022Lesedauer: 3 Min.
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Friedrich Merz: Der CDU-Chef übt Kritik an den Bürgergeld-Plänen. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Mit der geplanten Hartz-IV-Reform soll alles besser werden für die Armen. Doch erreicht wird damit nicht viel.

Vor einem "Schäbigkeitswettlauf" warnt Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Opposition. Denn die Unionsparteien wollen der Ampelkoalition beim Bürgergeld einfach nicht helfen. Ohne die Zustimmung im Bundesrat wird es keine Reform geben. Aber: Ist es wirklich schäbig, wenn in einem demokratischen Land die Opposition nicht so will wie die Regierung?

Es gibt schließlich ein paar gute Argumente gegen das Bürgergeld. Ist es beispielsweise schäbig zu fragen, wie viel Geld jemand auf dem Konto haben sollte, bevor ihm die Allgemeinheit hilft? Oder ist es niederträchtig zu überlegen, ob und wie Menschen, die arbeiten könnten, das auch tun?

Die Antwort ist in allen drei Punkten: nein. Es ist nicht schäbig. Es geht leider nur etwas an der (derzeitigen) Realität vorbei.

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Zu krank, zu alt oder zu jung

Erstens: Denn nur einige wenige der derzeitigen Hartz-IV- und künftigen Bürgergeldempfängerinnen haben ein echtes Arbeitsmarktproblem, das nicht mit ein bisschen Druck und einer Weiterbildung zu lösen wäre. Das mag sich in den nächsten Jahren ändern, doch heute ist es so: Die meisten der Empfänger sind hingegen entweder zu krank oder zu alt zum Arbeiten, oder sie sind zu jung (weil sie Kinder sind und in der Statistik mitgezählt werden).

Sie sind alleinerziehend, kümmern sich um Angehörige, viele wohnen am falschen Ort, einige haben ein Suchtproblem, manche können kaum drei Stunden am Tag auf einem Büro- oder Gabelstaplerstuhl sitzen. Ja, es gibt auch Faule. Aber die sind in der Minderheit. Nur ihnen würde mit Arbeitsmarktpolitik, Sanktionen, Fördern und Fordern geholfen.

Hier findet der wahre Schäbigkeitswettbewerb der Politik statt. Es wird um den Arbeitsmarkt gestritten, wo eigentlich die Sozialpolitik gemeint ist. Jeder weiß, dass es nur um eine kleine Gruppe geht. Doch die einen tun so, als müsse der Kampf gegen Hunderttausende Faulpelze gewonnen werden, die auf Kosten der hart arbeitenden Minderheit in der Hängematte schaukeln.

Und die anderen erwecken den Eindruck, als gehe es ausschließlich um aufrechte, fleißige, ohne eigenes Verschulden langfristig arbeitslose Bürger. Mit den Sozialämtern der Städte und Gemeinden eine bessere Sucht- und psychosoziale Betreuung zu vereinbaren, für die Kinder der Betroffenen Ganztagsplätze in Kita und Schule zu organisieren, wäre wichtiger.

Mehr Arbeit, weniger Geld

Zweitens: Es gibt tatsächlich ein echtes Arbeitsmarktproblem. Nur: Das entsteht im Wesentlichen nicht bei denen, die arbeiten und sich künftig vielleicht fragen, ob das sinnvoll ist. Es liegt auf der anderen Seite: bei denen, die im Sozialsystem stecken und den Rückweg nicht finden.

Denn sie begegnen der eisigsten Zone der kalten Progression: Wer aus Hartz IV heraus eine Arbeit annimmt, wird extrem hoch besteuert – wenn mit einem Schlag die gesamte staatliche Unterstützung wegfällt, entstehen Grenzsteuersätze von nahezu hundert Prozent:

Die Beschäftigte hat netto kaum einen Euro mehr in der Tasche, obwohl sie jetzt 40 Stunden in der Woche arbeitet. Diese Klippe wird mit der Bürgergeldreform nicht beseitigt. Sie wird auf höherem Niveau zementiert.

Künftig zwei Arten von Armut?

Drittens: Das Schonvermögen. Die "Lebensleistung" der Bürgergeldbezieherinnen müsse anerkannt werden, meint der Finanzminister. Was er in Wahrheit aber sagt, ist, dass es künftig zwei Arten von Armut geben soll. Die Armut derer, die schon immer arm waren und niemals Vermögen bilden, eine Eigentumswohnung kaufen, ein eigenes Auto fahren konnten – und die Armut derer, die früher einmal wohlhabend waren.

Die dürften ein bisschen reicher bleiben als die ewig Bedürftigen. Die Wohnung, das Auto, das Sparbuch – künftig darf das alles üppiger ausfallen als bisher. Ist es schäbig zu fragen, ob arme Arme einer Gesellschaft weniger wert sein sollten als weniger arme Arme? Wo bleibt der Gleichheitsgrundsatz?

Klar, der Finanzminister möchte vermeiden, dass Bürger ihr Erspartes verjubeln, statt brav vorzusorgen. Aber den Respekt, den die Ampelkoalition allen Bürgern gleichermaßen entgegenbringen will, atmet diese Haltung nicht.

Jedes Vermögen gleich behandeln

Es ist nicht so, als gäbe es keine Antworten. Eine davon heißt negative Einkommensteuer. Damit bekäme jeder, der sehr wenig oder nichts verdient, seinen Scheck vom Finanzamt, der das Mindereinkommen bis zum Existenzminimum auffüllt. Niemand muss einen Antrag stellen, niemand offenbaren, was sie über das anzeigepflichtige Einkommen und Vermögen hinaus besitzt. Jedes Einkommen, jedes Vermögen wird gleich behandelt.

Warum es das in Deutschland nicht gibt? Weil es neoliberal klingt, weil es in den USA und Großbritannien erfolgreich angewendet wird, und weil eben nur das Existenzminimum verteilt wird. Für alles andere müsste man sich anstrengen, politisch und individuell. Das aber will in Deutschland niemand – weder in der Regierung noch in der Opposition.

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