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Verlängerter Lockdown: So empört reagiert die Wirtschaft


"Farce der Unglaublichkeit"
Wirtschaft sauer über Lockdown-Verlängerung – Altmaier plant Gipfel

Von dpa, reuters, t-online, neb

Aktualisiert am 11.02.2021Lesedauer: 4 Min.
Geschlossenes Geschäft in Essen: Durch den verlängerten Lockdown fürchten viele Geschäfte um ihre Existenz – haben wir bald Geisterstädte?Vergrößern des BildesGeschlossenes Geschäft in Essen: Durch den verlängerten Lockdown fürchten viele Geschäfte um ihre Existenz – haben wir bald Geisterstädte? (Quelle: Jochen Tack/imago-images-bilder)
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Besonders der Einzelhandel und die Gastronomie kämpfen im Lockdown ums Überleben. Die neue Verlängerung kritisiert die Wirtschaft daher scharf. Wirtschaftsminister Altmaier plant jetzt einen Corona-Gipfel mit Verbänden.

Weitere vier Wochen verharrt Deutschland im Stillstand: Bund und Länder haben eine Fortsetzung des Lockdowns bis zum 7. März nach langen Verhandlungen am Mittwoch beschlossen und Lockerungen an einen Inzidenzwert von 35 geknüpft. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet das eine weitere Belastung.

Die Reaktionen aus der Wirtschaft fallen daher sehr eindeutig aus. Nur die Frage des Tenors unterscheidet sich etwas: Von Frust über Verzweiflung bis hin zum "Gipfel der Enttäuschung", wie der Bundesverband mittelständische Wirtschaft am Donnerstag die Beschlüsse kommentierte, ist alles dabei. Bundewirtschaftsminister Peter Altmaier will die Verbände deshalb zu einem Corona-Wirtschaftsgipfel einladen.

Handel: "Sicheres Einkaufen ist möglich"

Der Handelsverband Deutschland (HDE) reagierte als Vertreter des deutschen Einzelhandels mit besonderem Unverständnis. "Es ist gestern keine Öffnungsstrategie, sondern eine Schließungsstrategie veröffentlicht worden", unterstreicht Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE am Donnerstag.

Genth kritisiert dabei die Ungleichbehandlung zwischen den Branchen. "Ich gönne es jedem Friseur, dass er am 1. März wieder öffnen darf. Ich gönne es aber auch jedem Einzelhändler, seine Existenz zu retten." Der HDE verweist darauf, dass der Lebensmitteleinzelhandel seit Monaten aufzeigt, dass die Hygienekonzepte funktionieren. "Wir zeigen, dass sicheres Einkaufen möglich ist", ist Genth überzeugt.

Mit den Mutationen wird das Coronavirus die Wirtschaft noch das ganze Jahr beschäftigen, so der HDE. Das dauerhafte Stilllegen des Einzelhandels könne daher keine Option sein. Denn viele Einzelhändler kämpften mittlerweile ums Überleben. Nach einer HDE-Umfrage gaben 57 Prozent der Einzelhändler an, dass sie ihr Geschäft im Laufe des Jahres aufgeben müssten, sollten keine weiteren Wirtschaftshilfen kommen.

Ökonomen fordern weitere Wirtschaftshilfen

Genau diese fordert der HDE daher mit Nachdruck. Insgesamt seien im vergangenen Jahr 90 Millionen Euro an Hilfsgeldern aus verschiedenen Programmen an Unternehmen geflossen. Das sei verschwindend gering, wenn etwa 200.000 Unternehmen im Lockdown seien. "Es ist eine Farce der Unglaublichkeit, dass nach acht Wochen keine weiteren Hilfen da sind", kritisiert Genth scharf.

Weitere Wirtschaftshilfen forderte am Donnerstag auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Die Bundesregierung wird in den kommenden Monaten ein weiteres Wirtschaftsprogramm auflegen müssen", sagte er im ZDF. Das Geld, das der Staat jetzt ausgebe, sei bestens investiert. Davon dürfe er sich auch nicht von einer "unsinnigen Schuldenbremse" abhalten lassen.

Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), stellte dagegen die generelle Wirksamkeit der Hilfszahlungen infrage. Diese helfen vor allem den Banken, Leasinggesellschaften und Immobiliengesellschaften, "nicht aber den Unternehmern selbst", bemängelt der Ökonom.

"Massive Testoffensive wäre sinnvoll"

Für die Gipfelergebnisse hat er hingegen wenig warme Worte: "Die Beschlüsse des Krisengipfels sind enttäuschend. Es ist richtig, nicht überstürzt zu öffnen. Aber das Fehlen eines Stufenplanes ist sehr bedauerlich", sagte Felbermayr. Er bemängelt die Abwesenheit von Perspektiven und mahnt zu einer besseren Teststrategie. "Gerade weil die Impfungen sich verzögern und weil Virusmutationen im Spiel sind, wäre eine massive Testoffensive sinnvoll."

Eine konsequente Teststrategie könnte auch die wirtschaftlichen Schäden reduzieren. "Es ist schade, dass dafür offenbar der Mut fehlte", sagte der IfW-Präsident.

Mangelnde Perspektive kritisiert auch der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) harsch. Hauptgeschäftsführer Markus Jerger betont, dass es auch einen klaren Fahrplan für einen "Lockoff" der Wirtschaft sowie einen Wirtschaftsgipfel mit Experten des Mittelstands, der Gewerkschaften und der Politik geben müsste.

Mittelstand hängt "bettelnd am Tropf" der Wirtschaftshilfen

"Die Regierenden nehmen abermals die Insolvenz und den Existenzverlust von Hunderttausenden Betrieben und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kauf und rauben deren Zukunftsperspektive", sagte Jerger. "Wieder vertröstet die Bundesregierung den Mittelstand mit unverbindlichen Versprechungen und lässt diesen bettelnd am Tropf der Überbrückungshilfen hängen."

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zeigt indes Verständnis für die Verlängerung des Lockdowns. "Angesichts des gesteigerten Infektionsrisikos durch Mutationen ist es ein richtiger Schritt, auf vorschnelle Lockerungen zu verzichten", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Doch auch er schließt sich der Kritik des BVMW an: Die deutsche Wirtschaft braucht eine klare Perspektive für ein bundesweites Vorgehen und eine stufenweise Öffnung.

Dabei müssten die Bundesländer aber gemeinsam agieren, das "Vorpreschen" einzelner Länder sei falsch. "Will Deutschland eine dritte Corona-Welle durch hochansteckende Mutationen verhindern, müssen wir unsere nationale Pandemiebekämpfung auf ein deutlich höheres Niveau heben", fordert Russwurm und verweist darauf, dass es höchste Zeit sei, Hygiene-, Test- und Impfstrategien bundesweit besser miteinander zu verzahnen.

Gastgewerbe erwartet bis März konkrete Perspektiven

Besonders hart trifft die Verlängerung des Lockdowns das Gastgewerbe. "Dass Hotels und Restaurants in dem vorliegenden Beschluss mit keinem Wort erwähnt werden, löst in der Branche Frust und Verzweiflung aus", sagte Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga).

Von dem Bund-Länder-Beschluss hätte sich die Branche zumindest konkrete Perspektiven für die Zukunft erhofft. Bis zu den nächsten Beratungen am 3. März erwarte das Gastgewerbe einen abgestimmten Fahrplan für den Re-Start des Gastgewerbes. "Alle notwendigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung tragen wir mit, wir erwarten jedoch, dass diese gut begründet, nachvollziehbar und verhältnismäßig im Rechtssinne sind", so Hartges.

Verdi fordert Nachbesserung beim Kurzarbeitergeld

Durch den weiteren Lockdown bleiben viele Mitarbeiter im Gastgewerbe und im Einzelhandel, aber auch in vielen anderen Branchen weiterhin in Kurzarbeit. Die Gewerkschaft Verdi fordert daher die Einführung eines Mindestkurzarbeitergeldes.

"Es ist nicht akzeptabel, dass die Bundesregierung die Wirtschaftshilfen für die Betriebe ständig nachbessert, jedoch gleichzeitig Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter mit eher niedrigen Einkommen im Regen stehen lässt", sagte Verdi-Chef Frank Werneke. Die Beschlüsse des Bundes und der Länder bezeichnet die Gewerkschaft als richtig – besonders mit Blick auf die ersten Lockerungen für Friseure.

Wirtschaftsminister Altmaier plant Corona-Gipfel

Wirtschaftsminister Altmaier reagierte am Nachmittag auf den Ärger der Verbände. Angesichts der schweren Kritik an der schleppenden Umsetzung von Hilfen lädt er zu einem "Wirtschaftsgipfel" ein.

Wie eine Sprecherin sagte, wird Altmaier am kommenden Dienstag mit mehr als 40 Verbänden über die aktuelle Lage der Wirtschaft, die Beschlüsse von Bund und Ländern, die Wirtschaftshilfen und mögliche Öffnungsperspektiven sprechen. Ein solches Treffen hat Wirtschaftsvertreter mehrfach gefordert.

Verwendete Quellen
  • Pressekonferenz des HDE
  • Austausch mit dem BDI
  • Pressemitteilung Verdi
  • Pressemitteilung IfW
  • Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
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