Hitzewelle in Europa "Tausende sterben still und heimlich"

In Europa sterben Zehntausende Menschen an den Folgen extremer Hitze – und das jedes Jahr. Viele unterschätzen das Risiko und erkennen die Warnsignale nicht, sagt der Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes.
Die Hitze hat Europa fest im Griff: mit Temperaturen von über 35 Grad am Tag und Nächten, in denen es kaum abkühlt. Was für viele nach Sommer pur klingt, ist für andere eine ernste Gesundheitsgefahr. Kreislaufkollaps, Hitzschlag und Dehydrierung nehmen zu und nicht jeder weiß, wie er sich schützen oder im Notfall helfen kann. Der Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Professor Bernd Böttiger, erklärt im t-online-Interview, wer von Hitzefolgen besonders bedroht ist und warum jeder die Laienreanimation beherrschen sollte.
Herr Professor Böttiger, Europa steckt mitten in einer extremen Hitzewelle. Laut Schätzungen sterben allein in Deutschland jedes Jahr zwischen 10.000 und 20.000 Menschen an den Folgen hoher Temperaturen. Trotzdem wird darüber kaum gesprochen. Warum?
Hitzewellen fordern mehr Tote als Verkehrsunfälle, aber das interessiert kaum jemanden. Wenn ein Geisterfahrer auf der Autobahn drei Menschen tötet, landet das auf der Titelseite. Aber dass jedes Jahr Tausende Menschen still und heimlich an Hitzefolgen sterben, das liest man seltener. Ein Grund ist natürlich, dass dies weniger öffentlichkeitswirksam und meist in den eigenen vier Wänden geschieht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es dafür keine so starke Lobby gibt.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Dr. Bernd Böttiger ist Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rats für Wiederbelebung.
Was passiert im Körper bei extremer Hitze und wen gefährdet sie am meisten?
Der Körper produziert ständig Wärme, selbst im Ruhezustand. Normalerweise reguliert er die Temperatur durch Wärmeabstrahlung und Schwitzen. Doch bei extremer Hitze kann dieses System versagen. Dann drohen ein Sonnenstich oder sogar ein Hitzschlag. Gerade ältere Menschen, Obdachlose oder Menschen in schlecht isolierten Wohnungen sind stark gefährdet. Sie können oft nicht für ausreichende Kühlung sorgen, trinken zu wenig und bemerken bisweilen gar nicht, wie ernst ihre Lage ist.
Wie kann ich Sonnenstich und Hitzschlag voneinander unterscheiden?
Beim Sonnenstich trifft die Hitze vor allem den Kopf – durch direkte Sonneneinstrahlung. Symptome sind Kopfschmerzen, ein heißer, roter Kopf, Schwindel, Übelkeit und Unruhe. Der Körper bleibt aber meist kühl. Besonders gefährdet sind Säuglinge und kleine Kinder. Sie sollten immer durch eine Kopfbedeckung geschützt werden.
Ein Hitzschlag dagegen betrifft den gesamten Körper. Die Körpertemperatur steigt stark an, der Puls rast, die Haut wird heiß und trocken. Oft kommt es zu Verwirrtheit, Erschöpfung, sogar zu Halluzinationen. Im schlimmsten Fall versagt der Kreislauf komplett.
Was ist in solchen Fällen zu tun?
Die Person sofort aus der Sonne an einen kühleren Ort bringen und mit Flüssigkeit versorgen, wenn sie noch bei Bewusstsein ist. Ist sie benommen, am besten die Beine hochlagern. Und wenn jemand nicht mehr reagiert und nicht normal atmet: sofort den Rettungsdienst 112 wählen und unverzüglich mit der Herzdruckmassage beginnen. Viele Menschen warten damit zu lange. Zögern Sie nicht! Jede Sekunde kann über Leben und Tod entscheiden.
Wichtig
Merken Sie sich "Prüfen – Rufen – Drücken". Das heißt, überprüfen Sie zunächst die Atmung des Betroffenen. Wenn die Person nicht normal atmet, rufen Sie sofort 112 an und beginnen mit der Reanimation, also der Herzdruckmassage.
Sollte Erste Hilfe deshalb an Schulen Pflichtfach werden?
Absolut. In vielen Ländern wie Dänemark ist das längst Standard. Dort überleben deutlich mehr Menschen einen plötzlichen Herzstillstand. Wir fordern das seit Jahren auch für Deutschland, und es passiert auch ein wenig, aber große Teile der Politik sperren sich immer noch dagegen. Wenn jeder Schüler lernt, wie man wiederbelebt, könnten wir Tausende Leben jedes Jahr retten.
Was kann jeder tun, um Hitzenotfälle zu vermeiden?
Unbedingt die direkte Sonne meiden, gerade zur Mittagszeit. Und: trinken, trinken, trinken. Zwei bis drei Liter Wasser, aber nicht auf einmal, sondern über den Tag verteilt. Auch Saftschorlen oder ungesüßte Tees sind ideal, um den Flüssigkeitshaushalt aufzufüllen. Auf Alkohol sollte man verzichten. Er entzieht dem Körper Flüssigkeit.
Und was gilt für ältere Menschen oder chronisch Kranke?
Sie müssen besonders aufpassen. Viele haben altersbedingt ein verringertes Durstgefühl oder nehmen Medikamente, die die Wärmeregulation oder den Flüssigkeitshaushalt beeinträchtigen. In diesem Fall sollten sie die Trinkmenge besser mit dem Arzt absprechen. Angehörige sollten auf Warnzeichen wie Schwindel, Unruhe oder Verwirrtheit achten – das sind Alarmsignale für Hitzeschäden.
In Ländern wie Italien, Portugal und Spanien legen viele Menschen über die Mittagsstunden eine Siesta ein. Wäre das auch bei uns sinnvoll?
Warum nicht, an besonders heißen Tagen? Wir können viel von den Südeuropäern lernen. Wer kann, sollte sich eine Siesta gönnen. Das heißt: Arbeiten, wenn es kühl ist, und ausruhen, wenn es heiß ist. Auch die Ernährung im Mittelmeerraum ist ein gutes Vorbild: viel Obst und Gemüse, leichte Kost, keine fettigen, schweren Mahlzeiten. Das schützt und ist gesund.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Böttiger.
- Telefongespräch mit Professor Böttiger
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.



