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Corona-Pandemie: Warum einige sich nicht gern an Regeln halten


Corona: Warum einige sich nicht gern an Regeln halten

Von Ulrike Scheuermann

Aktualisiert am 10.08.2020Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Gegen Corona-Auflagen: Am 1. August demonstrieren nach Angaben der Polizei etwa 20.000 Menschen in Berlin.Vergrößern des Bildes
Gegen Corona-Auflagen: Am 1. August demonstrieren nach Angaben der Polizei etwa 20.000 Menschen in Berlin. (Quelle: Stefan Zeitz/imago-images-bilder)

Es ist paradox: Menschen demonstrieren gegen die Restriktionen im Zusammenhang mit der Pandemie – und fördern durch Nicht-Einhaltung der Schutzregeln, dass uns die Auswirkungen der Pandemie noch länger begleiten werden.

Ob bei einer Demonstration oder Familienfeier, im Urlaub oder am Flughafen: Die Beweggründe für die Regelverletzungen sind komplex.

Die psychologischen Beweggründe

Wer weiß, warum etwas geschieht, kann souveräner und gelassener darauf reagieren, hier also auf die Menschen, die sich nicht an Regeln halten. Zum anderen hilft es auch, wenn wir selbst in einer Alltagssituation aufgrund unreflektierter Emotionen unvorsichtig werden. Wer hat nicht schon mal seine Maske vergessen und musste vor dem Einkauf zurück?

Ein Beweggrund liegt in den tief in uns verankerten Reaktionen auf Stress.

Die uralte Reaktion "Kampf oder Flucht"

Corona ist Stress pur. Unsere Zukunft ist durch die Pandemie ungewiss. Wir sehen oder spüren die Auswirkungen in unserem Leben: Wirtschaftliche Existenzen gehen kaputt. Es droht ein wirtschaftlicher Abschwung. Die Gefahren für die Gesundheit sind stärker und langfristiger als gedacht. Das schätzen wir als große Gefahr ein – was eine körperliche und psychische "Kampf-oder-Flucht-Reaktion" auslöst.

Steinzeitmensch – Säbelzahntiger – Kampf oder Flucht. Im Zusammenhang mit der Kampf-oder-Flucht-Reaktion kommt es zu Zorn, Wut, Angst und Ärger, und das führt zu Kurzschlusshandlungen ohne rationale Besonnenheit. Dieses Stressreaktionsprogramm mit einem Adrenalinstoß hat uns Jahrmillionen in akuten Gefahrensituationen das Leben gerettet. Bei einer Gefahr wird der Herzschlag schneller, die Muskelkraft und die Atemfrequenz erhöhen sich. Der gesamte Stoffwechsel wird aktiviert und liefert alles, was man für Kampf oder Flucht als überlebenssicherndes Verhalten braucht.

Kampf gegen Ersatzobjekte

Aktuell spielt diese tief verankerte Reaktion gegen uns. Denn vor dem Virus kann man nicht fliehen. Es ist da. Man kann es auch nicht direkt bekämpfen, man sieht, hört, riecht, fühlt, schmeckt es nicht. Das Bedrohungsempfinden wird stärker, man sucht sich Ersatzobjekte, gegen die man kämpfen kann. Kampf ist für viele leichter, als mit solch starken Emotionen produktiv umzugehen – siehe weiter unten – wozu auch gehört, die Hilflosigkeit auszuhalten, dass man gerade nicht viel tun kann. Ersatzobjekte sind wahlweise die Chinesen, Politiker, Polizei, Maskenträger, Verschwörer mit bösen Absichten.

Hinzu kommt ein weiterer Beweggrund:

Abneigung gegen Regeln, die uns "von oben" aufgedrückt werden

Man hält sich nicht gerne an solche Regeln. Wir leben in einem Land mit weitreichenden Möglichkeiten, unsere Freiheit zu leben und nicht wie in einer Diktatur den Doktrinen von Machthabern folgen zu müssen. So haben wir bisher sehr gut gelebt. Jetzt kommt die Angst, dass das verloren gehen könnte. Dieses "Von-oben-aufgedrückt"-Gefühl hat dabei besondere Wurzeln: Die Erfahrungen mit einem diktatorischen Regime sitzen uns noch in den Knochen, sowohl während des DDR- als auch während des Nazi-Regimes, selbst wenn die Nazidiktatur kaum noch jemand von uns selbst erlebt hat.

Wir sind aufgewachsen mit dem hohen Wert, dass wir Autoritäten und ihre Vorgaben infrage stellen können, dürfen und sollten.

Was tun bei starken Emotionen?

Im Moment müssen wir uns – immer wieder – mit starken Emotionen auseinandersetzen.

Innerhalb der "Krisenphasen": "Schock – Verneinung – Realisieren – Anpassen – Integrieren" sind wir gerade bei Verneinung und Realisieren. Insbesondere diese Phasen sind mit ungewohnt machtvollen Gefühlen verbunden.

Es gibt zwei aktuelle wissenschaftliche, zum Teil internationale Studien: Die Zahl der depressiven und Angstsymptome sowie Schlafstörungen hat sich bereits verfünffacht, von drei bis vier auf ungefähr 20 Prozent in der Bevölkerung. Das zeigt, wie herausfordernd die Situation für enorm viele Menschen auch auf der psychischen Ebene ist.

Wir müssen – anstatt Emotionen auszuagieren – versuchen, diese Emotionen auszuhalten und zu verarbeiten. Nur so gibt es die Chance, sie zu verwandeln, von Wut in die ruhigere Trauer, von Angst in kräfteschonende Gelassenheit, von Hilflosigkeit in ein erwachsenes Verantwortungsgefühl. Das brauchen wir nicht nur für Corona-Zeiten, aber im Moment eben besonders.

Interessant sind hier neuere Forschungsergebnisse aus der Psychoneuroimmunologie, die nahelegen, dass sich die Fähigkeit, vielfältige Emotionen differenziert wahrzunehmen und zu regulieren, auch positiv auf die körperliche Gesundheit und unser Immunsystem auswirken.

Der produktive Umgang mit Emotionen

  1. Achten Sie aufmerksam auf auftauchende Emotionen. Registrieren Sie sie bewusst, lenken Sie sich nicht mit Gedanken oder Aktivitäten ab, sondern konzentrieren Sie sich darauf.
  2. Halten Sie dabei innerlich Abstand zu der Emotion, indem Sie sie wie ein interessantes Geschehen betrachten. Das Wissen, dass Emotionen nur flüchtige Phänomene sind, hilft dabei.
  3. Lassen Sie die Emotion ohne Widerstand durch sich hindurchfließen. Falls Sie doch abgelenkt sind, kehren Sie wieder zu der Emotion zurück, weiterhin entspannt, beobachtend.
  4. Beobachten Sie, wie die Emotion in diesem Prozess abflaut und sich verändert, verwandelt zu einem neuen Zustand. Registrieren Sie alles, was passiert.

Emotionen sind nur vorübergehende Erfahrungen

So entwickeln Sie das Bewusstsein, dass auch starke negative Emotionen fast immer vorübergehende Erfahrungen eines Momentes oder einer gewissen Zeitspanne sind: Minuten, Stunden, vielleicht auch mal ein Tag. Dann kommt etwas anderes.

So müssen Sie starke Emotionen nicht gleich in Aktionen umsetzen. Dann werden Ihnen die Wut auf Corona-Regeln, der Ärger auf Corona-Regel-Missachter oder auch die Angst vor den Auswirkungen der Pandemie immer weniger anhaben oder Sie weniger zu vorschnellen oder unbedachten Handlungen verleiten.

Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Seit 25 Jahren hilft sie Menschen dabei, gut für sich zu sorgen. Ihre Self-Care-Programme finden in ihrer Akademie in Berlin statt.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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