So viel Dreck braucht ein Kind
Kaum ist das Baby auf der Welt, beginnt in vielen Haushalten das Putzen und Schrubben. Denn noch immer ist der Irrglaube weit verbreitet, dass Kinder vor Keimen, Bakterien, Staub und Schmutz geschΓΌtzt werden mΓΌssen - am besten mit Desinfektionsmitteln und scharfen Reinigungsmitteln. Doch Experten sind sich mittlerweile einig: Γbertriebene Sauberkeit schwΓ€cht das Immunsystem und macht Kinder anfΓ€lliger fΓΌr Krankheiten. Viele sind nach Studien ΓΌberzeugt davon, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen ΓΌberzogener Hygiene und der Zunahme von Allergien gibt. Doch heiΓt das, dass wir unsere Babys zum Spielen am besten mitten in den Dreck setzen? Und dass es gesundheitsfΓΆrdernd ist, wenn das Zimmer des neunjΓ€hrigen Bruders zur MΓΌllhalde verkommt? NatΓΌrlich nicht, aber ein Kinderhaushalt muss nicht porentief rein sein. Das sollten Sie trotzdem beachten.
Schadstoffe in Desinfektionsmitteln
Auch wenn in der Werbung suggeriert wird, dass nur ein sauberes Kind ein glΓΌckliches ist - zu viel Hygiene kann krank machen. Wie das Deutsche GrΓΌne Kreuz (DGK) informiert, ist eine Desinfektion im Haushalt vergleichbar mit dem Einsatz von Insektiziden, Pestiziden und Fungiziden in der Landwirtschaft. Desinfektionsmittel vernichten die fΓΌr unser Leben nΓΌtzlichen Mikroorganismen, fΓΌhren zu Resistenzen bei krankheitsverursachenden Bakterien und kΓΆnnen damit das menschliche Immunsystem schwΓ€chen, da es ohne Bakterien nicht ausreichend stimuliert wird, so das DGK. Ein zusΓ€tzliches Problem: Viele desinfizierende Mittel enthalten Stoffe, die dem Menschen gefΓ€hrlich werden kΓΆnnen, Triclosan zum Beispiel kann ΓΌber die Haut aufgenommen werden und in den Entgiftungsstoffwechsel der Leber eingreifen; auΓerdem kann der Stoff gegen Antibiotika resistent machen. Benzalkoniumchlorid, ein desinfizierender Zusatzstoff, gilt als allergieauslΓΆsend. Aus Natriumhypochlorid, einer Substanz, die in vielen Reinigern zu finden ist, wird Chlor freigesetzt. Das wiederum kann Haut und SchleimhΓ€ute reizen. Gerade fΓΌr Kleinkinder, die die meiste Zeit auf dem Boden sitzen und gerne an allem mΓΆglichen herumlutschen, kΓΆnnen diese Stoffe gefΓ€hrlich werden.
Keime passen sich an
Immer brisanter wird das Problem, dass sich Erreger schwerer Krankheiten den heutigen Desinfektions- und antibakteriellen Mitteln anpassen. Das fΓΌhrt aktuell vor allem in KrankenhΓ€usern und Kliniken zu Problemen, doch die Problematik wird durch zu viel private βPutzhysterieβ verstΓ€rkt. So zΓΌchteten Forscher der UniversitΓ€t Galway (Irland) kΓΌrzlich Bakterien in einer NΓ€hrlΓΆsung, die sie schrittweise mit Benzalkoniumchlorid anreicherten. Nach 33 Tagen hatten sich die Mikroben so gut daran gewΓΆhnt, dass sie zwΓΆlfmal so hohe Konzentrationen ertrugen wie zu Beginn des Versuchs. Nebenbei waren die Bakterien resistent gegen das Antibiotikum Ciprofloxazin geworden. Sie hielten sogar 256-mal hΓΆhere Dosen aus als ihre nicht angepassten Artgenossen.
Dreck wappnet Kinder vor Allergien
Was von Experten schon lΓ€nger vermutet wurde, belegen immer mehr Studien: Dreck macht Kinder fit. Im Auftrag vom bayerischen Umweltministerium wurden 1200 Kinder zwischen sechs und zwΓΆlf Jahren untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Stadtkinder 15-mal hΓ€ufiger an Allergien leiden als ihre Altersgenossen, die auf BauernhΓΆfen aufwachsen. Je intensiver dabei der Stallaufenthalt war, desto ausgeprΓ€gter war der Schutz vor Asthma und Allergien. Zum gleichen Ergebnis kamen auch Studien aus benachbarten LΓ€ndern: Hohe Keimkonzentrationen, wie es sie im Stall gibt, scheinen besonders gut vor Allergien zu schΓΌtzen. Der englische Biowissenschaftler Matt Ridley gab dafΓΌr eine einleuchtende ErklΓ€rung: βIn der Steinzeit hatte das Immunsystem reichlich zu tun: SpulwΓΌrmer, BandwΓΌrmer, HakenwΓΌrmer und Leberegel mussten bekΓ€mpft werden. Die Abwehrzellen hatten keine Zeit, sich um Katzenhaare oder um Milben zu kΓΌmmern. Heute langweilen sie sich oft. Und deshalb treibt das Immunsystem Unfug und fΓ€hrt schwere GeschΓΌtze gegen harmlose Dinge wie Katzenhaare auf.β
Das Londoner βInstitut of Biologyβ nennt eine ganze Reihe von Faktoren, die nach neusten Erkenntnissen ein Kind am besten vor einer mΓΆglichen Allergie schΓΌtzen:
- Das Kind hat mehrere Geschwister, vorzugsweise BrΓΌder.
- HΓ€nde und Gesicht werden eher selten gewaschen.
- Das Kind macht Darminfektionen durch.
- Es lebt auf einem Bauernhof mit Tieren.
- Es gibt einen Hund im direkten Umfeld.
- Der Staub in der Wohnung ist nicht keimfrei.
Welche Keime sind gefΓ€hrlich?
NatΓΌrlich gibt es eine Menge Dreck und Keime, die gerade kleinen Kindern sehr gefΓ€hrlich werden kΓΆnnen. Deshalb ist es nicht ratsam, in feiner βDreckmanierβ sein zweijΓ€hriges Kind auf einem vΓΆllig verdreckten Hinterhofspielplatz unbeobachtet zu lassen und damit Gefahr zu laufen, dass das Kind Hundekot, Katzendreck oder Γ€hnliches in den Mund (und Magen) bekommt. Diese Art der Verschmutzungen macht aus harmlosem Spielplatzsand oft ein gefΓ€hrliches Gemisch. Hier wird beispielsweise der Fuchsbandwurm ΓΌbertragen, dessen Larven die Leber befallen. Auch an StraΓenecken und an ΓΆffentlichen MΓΌlleimern kΓΆnnen gefΓ€hrliche Keime entstehen, die nicht mit dem natΓΌrlichen Dreck auf Feld und Wiese zu vergleichen sind. Auch die Hygiene in der KΓΌche sollte Eltern nach wie vor wichtig sein, da Bakterien wie Listerien und Salmonellen nicht nur Kindern gefΓ€hrlich werden kΓΆnnen. Das heiΓt, dass der KΓΌhlschrank nicht zu niedrig eingestellt werden sollte, HΓΌhnerfleisch und Γ€hnliches vor dem Kochen gut abgewaschen werden und Kinder nur frisches, gewaschenes Obst und GemΓΌse erhalten sollten. Ansonsten gilt:
- Sorgen Sie fΓΌr ausreichende Reinigung mit einfachen Putzmittel.
- Wechseln Sie hΓ€ufig die Putzlappen.
- Reinigen Sie regelmΓ€Γig Ihren KΓΌhlschrank, zum Beispiel mit warmem Essigwasser.
- Leeren und reinigen Sie regelmΓ€Γig den Abfalleimer.
- Vor dem Essen HΓ€nde waschen nicht vergessen.