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"Vampir-Kinder": Erlanger Forscher testen Heilmethode im Mutterleib


"Vampir-Kinder": Forscher testen erfolgreich Heilmethode

dpa, Catherine Simon

Aktualisiert am 29.04.2018Lesedauer: 3 Min.
Therapie Erbkrankheit Ektodermale DysplasieVergrößern des Bildeshttps://www.t-online.de/gesundheit/heilmittel-medikamente/id_81265934/zulassung-in-den-usa-erstes-universal-krebsmittel-kommt.html (Quelle: Daniel Karmann/dpa-bilder)
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Menschen mit ektodermaler Dysplasie haben spitze Zähne und können nicht schwitzen. Das kann tödlich sein. Ärzte haben jetzt eine vielversprechende Therapie entwickelt.

Erlanger Ärzte haben eine mögliche Therapie für die seltene und lebensgefährliche Erbkrankheit ektodermale Dysplasie gefunden, die sogenannte "Vampir-Kinder" heilen kann. Vor der Geburt spritzten sie ein bestimmtes Eiweiß ins Fruchtwasser der werdenden Mutter, berichten die Mediziner.

Das normalerweise natürlich im Körper vorhandene Protein Ektodysplasin A1 (EDA1) sorge dafür, dass sich Haare, Zähne und Schweißdrüsen bilden. Bei den Zwillingen einer 40-Jährigen und dem Jungen einer weiteren Mutter sei eine Behandlung erfolgreich gewesen. Noch fehlen jedoch größere Studien.

"Vampir-Kindern" fehlen Schweißdrüsen

Föten mit ektodermaler Dysplasie fehlt das EDA1-Protein. Die Kinder bilden daher keine Schweißdrüsen und -poren aus. Und weil sie nicht schwitzen können und ihren Körper auf diese Weise kühlen, drohen sie, an Überhitzung zu sterben – vor allem bis zum Alter von zwei Jahren ist die Krankheit lebensbedrohlich.

Außerdem haben die Kinder kaum Haare, trockene Haut, und ihnen fehlen Zähne oder diese sind ungewöhnlich spitz. "Sie sehen aus wie kleine Vampire", sagt der Oberarzt der Kinderklinik und Sprecher des Zentrums für Ektodermale Dysplasien Erlangen, Holm Schneider.

Etwa 20 bis 30 Kinder werden pro Jahr in Deutschland mit dem bisher unheilbaren Gendefekt geboren. Weil die Krankheit so selten ist, hat die Pharmaindustrie kein Interesse an der Entwicklung von Medikamenten.

Die Sterblichkeit liegt laut Holm in unseren Breiten zwischen zwei und 20 Prozent. Die fränkischen Forscher wollen 2019 mit Hilfe einer gemeinnützigen Stiftung eine klinische Studie machen. Ziel ist ein zugelassenes Therapieverfahren.

Methode möglicherweise auf andere Gendefekte übertragbar

Wird das Protein ins Fruchtwasser gespritzt, nehmen die Kinder es über das Schlucken auf. Ein bestimmter Rezeptor im Darm sorgt dann dafür, dass es in die Blutbahn gelangt. Dieses Verfahren könne man möglicherweise künftig auch bei anderen Defekten wie etwa Gaumenspalten nutzen, sagen die Wissenschaftler.

Statt des Gens verändere man nur das Produkt – in diesem Fall das Eiweiß –, sagt der Direktor der Frauenklinik, Matthias Beckmann. "Das ist technisch sicher der einfachere Weg."

Corinna T. aus der Nähe von Bremen hat selbst den Gendefekt und gab ihn an ihren ersten Sohn Joshua (5) weiter. "Er hat keine Tränen geweint", berichtete die 40-Jährige. Außerdem habe er im Alter von zwei Jahren noch keine Zähne gehabt und sei oft heiß geworden. Ein Gentest brachte Gewissheit. Danach habe sie "eine Nacht nur geweint". Bei Frauen ist der Gendefekt zumeist weniger stark ausgeprägt.

Neue Therapie bei Zwillingen erfolgreich

Als sie erneut schwanger wurde – mit Zwillingen – entschieden sie und ihr Mann sich für den Therapieversuch. Denn schon im Mutterleib kann die Krankheit diagnostiziert werden: Per Ultraschall kann man die fehlenden Zahnanlagen erkennen.

"Wenn wir die Chance haben, den Kindern das Leben zu erleichtern, dann versuchen wir das", sagt T. So wurde ihr Anfang 2016 in der 26. und der 31. Schwangerschaftswoche das Protein in die Fruchtblase gespritzt – 28 und 15 Milliliter.

Die inzwischen zwei Jahre alten Jungs Linus und Maarten können normal schwitzen. Mit dem Mikroskop untersuchten die Ärzte Fußsohlen und Handflächen der Kinder und stellten fest: "Sie haben genauso viele Schweißporen wie eine gleichaltrige Kontrollperson", sagt Schneider.

Auch bei einer weiteren Frau wurde das Verfahren angewendet – jedoch nur einmalig, denn das Ersatzprotein war nicht mehr verfügbar. Deren Sohn habe eine "etwas geringere Schwitzfähigkeit" als die Zwillinge, sagt Holm. "Aber das ist in unseren Breitengraden ausreichend."

In vorherigen Versuchen hatten die Ärzte herausgefunden, dass die Therapie nur vor der Geburt wirksam ist – denn nur dann besteht noch die Chance, dass die Schweißdrüsen gebildet werden. Sie werden zwischen der 20. und der 30. Schwangerschaftswoche angelegt.

Amir Yazdi, Sprecher des Zentrums für seltene Hauterkrankungen an der Universität Tübingen, vermutet, dass auch die klinische Studie erfolgreich sein wird: "Es wird reproduzierbar sein, denn der Mechanismus ist ja entschlüsselt." Noch seien es zwar zu wenig Patienten und ein zu früher Zeitpunkt, um etwas über die langfristigen Folgen sagen zu können.

Er könne sich jedoch kaum Langzeitnebenwirkungen vorstellen, denn "man modifiziert hier ja keine Gene". Der Erfolg des Versuchs sei "super". Auch der Mut der Eltern sei toll – der Leidensdruck der Betroffenen sei groß.

Ihre Ergebnisse haben die Erlanger Ärzte im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • dpa
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