Das intelligente Zuhause wird immer mehr zur gelebten Realität. Heizungen, Fenster, Rollos und Haustür sind über modernste Elekztronik miteinander vernetzt und reagieren aufeinander. Öffnet man das fenster, fährt automatisch die Heizung herunter, um keine Energie zu verschwenden. Jetzt wollen Forscher auch Textilien das Denken beibringen. Zuhause.de hat mit Textilwissenschaftlerin und Künstlerin Kärt Ojavee aus Estland darüber gesprochen, wie intelligente Stoffe Wohnen verändern werden. Unsere Foto-Show zeigt die intelligenten Stoffe im Einsatz. Auch deutsche Forscher arbeiten an "schlauen Stoffen" wie das Video zeigt.
Beheizbare Unterwäsche oder Freizeitjacke mit Solarmodul zum Aufladen des Handys: Während smarte Textilien bei der Bekleidung schon längst Gang und Gäbe sind, halten sich Wohnstoffproduzenten immer noch zurück – ein guter Grund für Kärt Ojavee, das Thema in einem Forschungsprojekt an der Estonian Academy of Arts in Tallinn aufzugreifen. "Äratus", auf Deutsch "Erwachen", hieß die Studie, in deren Rahmen Kärt im hohen Norden Europas zusammen mit ihren Studierenden smarte Textilprodukte gestaltete. Das Ergebnis: sensible Stoffe, die mit ihren Nutzern kommunizieren.
Fühlende Stoffe
Zunächst sei der größte "Miesepeter" des ansonsten eher fröhlichen Projekts genannt: der "Vannikardin", auf Deutsch Duschvorhang, von Pamela Peepson. Je mehr heißes Wasser eine Badenixe oder ein Duschfreak ver(sch)wendet, desto mehr verliert der Vorhang während des Reinigungsvorhangs sein Muster.
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Kissen, die trösten
Pädagogisch, allerdings in einem tröstenden Sinn, wirkt auch das kleine Kissen mit dem etwas monströsen Namen "Öönööbik". Das Knuddelteil hat einen integrierten SOS-Knopf für Kinder, die nachts Angst bekommen. In das Gewebe des Kissens sind LED-Lichter eingearbeitet, die gütig leuchten, wenn die Kleinen sich in Sicherheit wiegen möchten.
Fühlende Stoffe werden natürlich auch anderswo – zum Beispiel in Kopenhagen von der Professorin Mette Ramsgard Thomsen – erforscht. Die Wissenschaftlerin kreiert Textilien, die auf die Anwesenheit und Wärme von Menschen reagieren, indem sie pulsieren oder sich verformen. Das Material soll künftig in der Architektur angewendet werden und, ähnlich wie eine Haut, der Anwesenheit und den Bedürfnissen von Menschen entsprechen.
Helfende Stoffe
Sicherheit und Sensibilität, insbesondere für unbeholfene und ältere Menschen, kann schon jetzt der sogenannte "Moonwalk" aus dem Äratus-Projekt bieten – ein schlauer modularer Teppich für die nächtliche Wanderung durch die dunkle Wohnung. Werden die jeweiligen Teppichfliesen berührt, glimmen Lichter auf.
Teppiche, die Leben retten
Interaktive Teppiche werden in Deutschland sogar schon serienmäßig geliefert. So hat die Firma Future Shape aus Höhenkirchen einen "SensFloor"-Teppich im Programm, der Informationen über die vitalen Funktionen seines Nutzers (Zielgruppe sind vor allem Senioren) per Elektronik an Dritte sendet. Die Firma Drapilux aus Emsdetten hält ebenfalls intelligente Textilien für den Pflege- und den Krankenhausbereich bereit: bioaktive Stoffe, die antibakteriell wirken. und/oder das Raumklima verbessern.
Leuchtende Stoffe
Textilien, mit denen der Zyklus der Natur nachempfunden wird, sind ebenfalls ein beliebtes Entwicklungsthema. "Photosynthese" heißt beispielsweise der Stoffkörper von Äratus-Teilnehmer Alberto Aprea, der am Morgen noch vor dem Läuten des Weckers sanft zu leuchten beginnt und so das Aufwachen angenehmer gestaltet.
Sehr direkt reagieren zwei andere Techno-Textilien aus dem Äratus-Projekt auf das Sonnenlicht. Stella Kalkuns "Light Curtain" ist mit Solarzellen verbunden, die tagsüber die Sonne speichern und diese Energie abends in die magischen Linien des Vorhangs abgeben. Annette Fauvel lässt ihren Vorhang "K6IV" noch unmittelbarer mit der Helligkeit interagieren: Je nach Lichteinfall wechseln die Farben ihres Gardinen-Gespinsts.
Textilien, die auf Licht reagieren
Kärt Ojavee selbst, die ihre Entwicklungen mittlerweile unter dem Label KO! vertreibt, arbeitet ebenfalls gern mit Licht. "Ich halte Licht für ein sehr wichtiges Thema, weil es einen so starken Einfluss auf den Menschen hat. Das natürliche Licht, das künstliche Licht, und die richtige Ausbalancierung zwischen den beiden ist besonders für die Bewohner der nördlichen Hemisphäre lebensbestimmend."
Waschbar bei 40 Grad
Und so hat die Techtextil-Künstlerin unter anderem eine Kissenserie namens "Pillowhugger" entworfen. Die lichtsensiblen Kissen leuchten, wenn sie umarmt werden oder nehmen die Geräusche in der Umgebung auf, um sie auf Wunsch Wunsch abzuspielen. Was die Pflegeeigenschaften der Kissen betrifft, so sind sie mittlerweile kaum mehr der Rede wert. Einige können sogar ganz normal bei 40 Grad gewaschen werden.
Bei Berührung ein neues Muster
Noch verblüffender ist ein rein spielerisches Projekt, das die Estländerin zusammen mit dem New Yorker Softwareexperten Eszter Ozsvald realisiert: "SymbiosisO", eine Serie von textilen Oberflächen aus Filz, die von Informationselektronik durchdrungen sind, ähnlich wie Lebewesen reagieren und beispielsweise als Tapete einsetzbar sind. Wird die "SymbiosisO"-Fläche mit den Fingerspitzen oder den Füßen berührt, bildet sie je nach Art des Drucks unterschiedliche Muster. "Wir wünschen uns, dass SymbiosisO neue Impulse für die Cyber-Evolution liefert und können es uns sehr gut in den Wartezimmern von Krankenhäusern, in Rehabilitationszentren oder in Kindergärten vorstellen", erklärt Eszter Ozsvald.
Nun ja. Irgendwie hat dieser Symbiosefilz auch etwas Gespenstisches an sich. Am Ende fängt er an, von selbst weiterzuwachsen? Ist da nicht doch eine Wand aus natürlichem Moos – wie sie auf der Kölner Möbelmesse von der Freund GmbH aus Berlin vorgestellt wurde – sympathischer?