Klimakatastrophe schon 2050? Sie warnen – und geraten selbst unter Beschuss
"Wir müssen mit einer Welt denken, in der wir 2050 die 3-Grad-Grenze überschreiten": Mit diesem Appell erregen Wissenschaftler Aufsehen. Andere Experten halten das für überzogen.
Drei Grad globale Erwärmung – und das bereits bis zum Jahr 2050. Vor diesem Szenario warnen die Deutsche Meteorologische Gesellschaft (DMG) und die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) in einem gemeinsamen Appell an die Politik. Es sei eine Entwicklung, die als eine drohende Möglichkeit ernst genommen werden müsse, erklärte Frank Böttcher, Vorsitzender der DMG, auf dem Extremwetterkongress in Hamburg. "Wir müssen jetzt mit einer Welt denken und planen, in der wir 2050 bereits die 3-Grad-Grenze überschreiten", erklärte er.
Klaus Richter, Präsident der DPG, erklärte im Interview mit t-online: "Der Temperaturanstieg scheint sich zu beschleunigen – global, aber auch in Deutschland." Dies habe zur Folge, dass das Erreichen einer weltweiten Temperatursteigerung um 3 Grad bereits bis zum Jahr 2050 möglich sei. "Wir sprechen hier nicht von einer exakten Prognose", betont der Physiker. "Was wir sehen, ist ein Entwicklungstrend. Nach aktuellen Studien erscheint eine globale Erwärmung von zwei bis drei Grad bis 2050 möglich. Drei Grad können nicht ausgeschlossen werden", so Richter.
Es gehe nicht darum, zu sagen: "So wird es sein." Sondern: "Dieses Risiko besteht." Und dieses Risiko wachse, weil die weltpolitische Lage den Klimaschutz zunehmend in den Hintergrund dränge. "Manche Staaten, allen voran die USA, konterkarieren Klimaschutzmaßnahmen sogar aktiv", erklärt Richter. "Deshalb warnen wir: Zwei bis drei Grad bis 2050 sind nicht ausgeschlossen. Aber sie sind kein Schicksal – wir haben die Zukunft unseres Klimas in unseren Händen."
Appell löst Widerspruch aus
Auf dem Extremwetterkongress, zu dem sich in der vergangenen Woche Klimaforscher aus der gesamten Bundesrepublik versammelt hatten, löste der Appell von DMG und DPG allerdings Kopfschütteln aus. Es sei eine alarmistische Botschaft, die in der aktuellen Situation nicht hilfreich sei, so der Standpunkt der Kritiker. Auf Widerspruch stieß vor allem die Angabe zum Tempo der Erderwärmung. Zumal im Vorfeld eine Fassung des Appells an die Öffentlichkeit gelangt war, in der das Erreichen der 3-Grad-Marke bis 2050 als wahrscheinlich genannt wurde und von einem Worst-Case-Szenario die Rede war.
Tobias Fuchs, Leiter der Klima- und Umweltberatung beim Deutschen Wetterdienst (DWD), betonte im Gespräch mit t-online: "Wir gehen von einer Überschreitung von 1,5 Grad globalem Temperaturanstieg gegenüber dem frühindustriellen Niveau in der nächsten Dekade aus." Von drei Grad im Jahr 2050 wollte er hingegen nicht sprechen. Der Klimaaufruf von DMG und DPG habe viele gute Elemente. "Ein Diskussionspapier sollte sich jedoch bei Zahlenangaben nicht an Worst-Case-Szenarien aus einzelnen Modellen für 2050 aufhängen. Diese sind zu wenig belastbar und daher für externe Kommunikation nicht geeignet."
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Auch Frank Böttcher von der DMG relativierte nach der Aufregung die These des Appells mit einem Vergleich: "Es besteht die Möglichkeit, dass dieses Gebäude einmal brennt", sagte er auf dem Extremwetterkongress. "Deswegen gibt es Feuermelder. Aber es heißt nicht, dass es auch einen Brand geben wird."
"Kein Konsens darüber, dass sich die Erwärmung beschleunigt"
Zum Vergleich: Der jüngste Weltklimabericht geht davon aus, dass sich die Erde bis zum Jahr 2100 um durchschnittlich 3,2 Grad erwärmen wird, sollten die bisherigen politischen Maßnahmen fortgesetzt werden.
Nico Wunderling vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagte dem MDR: "Wir sind gerade eher auf dem Weg zu 3 Grad Erwärmung zum Ende des Jahrhunderts und das sind bereits Erwärmungen, die auf jeden Fall verhindert werden müssen." Drei Grad zur Mitte des Jahrhunderts seien ein "relativ pessimistisches Szenario." Er könne es aber nicht ausschließen. "Zu hoffen wäre – und da bin ich ein bisschen optimistischer – dass wir im Jahr 2050 bei um die zwei Grad landen. Das ist bereits Grund genug zur Sorge."
Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie in Leipzig hält die Überschreitung von drei Grad bis 2050 für unrealistisch, "da der Temperaturanstieg sich auf deutlich über 0,5 Grad pro Dekade erhöhen müsste, was die derzeitige Tendenz von 0,3 Grad pro Dekade nicht hergibt".
Auch Bjorn Stevens, Direktor der Abteilung Klimaphysik am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, warnt vor Übertreibungen: "Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, dass sich die Erwärmung beschleunigt", erklärte er dem MDR. Zwar sei der Zeitraum von Mitte 2023 bis Mitte 2024 hinsichtlich der sprunghaften Temperaturveränderung alarmierend gewesen, aber nicht beispiellos.
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Eine Welt mit drei Grad mehr
Aber was würde eine Erderwärmung um drei Grad überhaupt bedeuten? Wichtig ist es, zu verstehen, dass es sich um einen Durchschnittswert handelt. Konkret bedeutet es, dass der Temperaturanstieg nicht überall auf der Welt flächendeckend bei 3 Grad liegen würde. In Deutschland beispielsweise wäre der Temperaturanstieg deutlich höher, warnt Klaus Richter vom DPG.
"Das hätte gravierende Folgen: häufigere und längere Hitze- und Trockenperioden, intensivere Starkregenereignisse, insgesamt mehr Extremwetter", führte er im Gespräch mit t-online aus. "Wir spüren heute schon, dass sich das Klima verändert. Deshalb fordern wir nicht nur Emissionsreduktion, sondern auch rechtzeitige Anpassungsstrategien – etwa im Gesundheitswesen oder bei der Stadtplanung."
"Unser Anliegen ist ein aktivierender Appell"
Mit dem Appell wolle man keine Schreckensszenarien heraufbeschwören und auch keine Schockstarre auslösen. "Unser Anliegen ist ein aktivierender Appell: Wir zeigen Risiken auf – und gleichzeitig Handlungsmöglichkeiten", betont Richter. "Es ist nie zu spät, gegenzusteuern."
Die Forderung hinter dem Appell sei: "Ein beherztes und entschlossenes Handeln – sofort. Zwei Dinge sind nötig: erstens wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen, zweitens Strategien zur Anpassung an unvermeidbare Folgen", sagt Richter. "Wichtig ist, dass die Politik die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so setzt, dass klimafreundliches Handeln sich lohnt."
- Gespräch mit Klaus Richter, Präsident der DPG
- Gespräch mit Tobias Fuchs, Leiter der Klima- und Umweltberatung beim Deutschen Wetterdienst (DWD)
- Gespräche vor Ort auf dem Extremwetterkongress in Hamburg
- mdr.de: "Klimaaufruf: Ist ein Plus von drei Grad realistisch?"
- dwd.de: "Klimawandel – Informationen des Deutschen Wetterdienstes"







