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IWF warnt: Renten und andere staatliche Leistungen nicht mehr finanzierbar


Folgen für ganz Europa
Die Bombe von Brüssel

MeinungEin Kommentar von Florian Harms

05.11.2025Lesedauer: 3 Min.
Kanzler Friedrich Merz: Die Warnung des IWF ist ein schrilles Alarmsignal für Europas Regierungen.Vergrößern des Bildes
Kanzler Friedrich Merz: Die Warnung des IWF ist ein schrilles Alarmsignal für Europas Regierungen. (Quelle: Ebrahim Noroozi/AP)
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Europas Direktor des Internationalen Währungsfonds hat eine alarmierende Prognose veröffentlicht. Deutschland muss schnell, aber umsichtig darauf reagieren.

In Brüssel ist eine Bombe gezündet worden, aber zu wenige Menschen hören den Knall. Zwischen den Schlagzeilen zum Zwist in der Bundesregierung, dem Ukraine-Krieg und Donald Trumps täglichen Knallfröschen droht die Warnung Alfred Kammers zu verhallen. Es wäre fatal.

Der Europadirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat in einer aufrüttelnden Rede vor Bankmanagern ein düsteres Bild der Wirtschaftslage in der EU gezeichnet. Wichtige Branchen: im Abwärtstaumel. Die Staatshaushalte: massiv überschuldet. Die Hoffnung auf Wachstum: mit noch mehr Schulden erkauft. Die Sozialsysteme: sündhaft teuer. Die Regierungen: zu träge beim Gegensteuern.

In diesem Zustand verliert der bislang mächtigste Staatenbund der Welt den Anschluss an die globale Entwicklung. Schon jetzt liegt das Bruttoinlandsprodukt in der EU um knapp 30 Prozent niedriger als in den USA – und die Kluft wächst weiter. Jeder Monat, in dem Berlin, Paris, Rom, Athen und Co. nicht entschlossen gegensteuern, verschärft in der Zukunft das Problem. Werkeln die europäischen Regierungen weiter so mutlos wie bisher vor sich hin, werde die durchschnittliche Verschuldung in den kommenden 15 Jahren bei 130 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, warnt der IWF-Direktor.

130 Prozent, das ist nicht einfach nur eine Zahl, das ist der Abgrund. Ein Schuldenberg in dieser Höhe würde Europas Staaten nicht nur jeglichen Handlungsspielraums berauben. Um nicht von Ratingagenturen und Kreditgebern heruntergestuft zu werden und Bankrotte zu vermeiden, müssten sie sparen, dass es kracht. Soziale Konflikte, womöglich sogar Revolten, triumphierende Extremisten und der Bruch des gesellschaftlichen Zusammenhalts wären absehbare Folgen. Nicht nur in peripheren Ländern wie Griechenland und Portugal, auch im Zentrum der Union, in Deutschland und Frankreich.

Geradezu beschwörend klingt daher der Appell des IWF-Experten: Renten, Gesundheitsvorsorge und viele andere staatliche Leistungen seien in der jetzigen Form nicht mehr finanzierbar. Ein rigoroser Sparkurs müsse her, um den Kollaps des Sozialstaats zu vermeiden. Parallel sollten die Regierungen alles tun, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, also deregulieren, die Energieinvestitionen verstärken, den europäischen Binnenmarkt ausbauen.

Ist dies der richtige Plan, um Europas Gesellschaften vor dem Niedergang zu retten? Ja und nein. Die erste Pille des IWF-Rezepts zur Rettung des europäischen Patienten ist goldrichtig, die zweite nur zur Hälfte.

Es ist höchste Zeit, dass die nationalen Regierungen das Bürokratiemonster bändigen und die ausufernden Sozialsysteme kürzen. Nicht mit der Nagelschere, sondern mit der Sense. Dafür brauchen sie den Konsens mit EU-Kommission und EU-Parlament, die sich leider zu Bannerträgern des Bürokratismus entwickelt haben.

Vor allem aber brauchen sie Mut, den Bürgern harte Einschnitte zuzumuten – auch ihrer Wählerklientel. Wer sieht, wie schwer sich die SPD tut, auch nur ein paar Millionen aus dem Sozialstaatsspeck herauszuoperieren, oder wie unverantwortlich Frankreichs linke Parteien jeden Einschnitt ins luxuriöse Rentensystem verhindern, kann bezweifeln, dass Europa in der Lage ist, sich aus dem Schlamassel zu retten. Aber eine Alternative gibt es nicht, das ist die ebenso bittere wie wahre Botschaft des IWF.

Die zweite Empfehlung – massives Wirtschaftswachstum zu fördern – wirkt dagegen kurzsichtig bis nachgerade gefährlich. Sie folgt der kühlen Logik von Ökonomen, blendet jedoch die verheerenden Folgen des ungezügelten Produzierens und Konsumierens aus. Soeben hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen seine Prognose für den Anstieg der Erderhitzung vorgelegt: Machen die Staaten der Welt weiter wie bisher, wird sich die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bis Ende des Jahrhunderts um voraussichtlich 2,8 Grad erhöhen.

Es wäre eine andere Welt. 2,8 Grad bedeuten nach allem, was man heute weiß, katastrophale Zustände in vielen Regionen Afrikas, Asiens, Amerikas und insbesondere Europas, wo sich die Temperaturen am schnellsten erhitzen. Orkane, Überschwemmungen, Dürren, steigende Lebensmittelpreise, Klimaflüchtlinge, enorme Kosten für die Staatshaushalte zur Eindämmung der Schäden: Es wäre eine Multikrise, die sich kaum noch bewältigen ließe.

Deshalb sollten Friedrich Merz und die anderen EU-Regierungschefs die Warnung des IWF zwar dringend beherzigen, aber nur den ersten Teil des verschriebenen Rezepts in politische Medikamente umwandeln. Eine harte Generalreform der Sozialsysteme: ja, unbedingt. Aber Wachstumsförderung bitte nur für eine nachhaltige, klimafreundliche Produktion.

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