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Übervorsichtige Eltern: Moderne "Schutzengel" – Fluch oder Segen?


Übervorsichtige Eltern
Moderne "Schutzengel" – Fluch oder Segen?

t-online, Simone Blaß

12.05.2010Lesedauer: 4 Min.
Mutter hält ihr Kind fest.Vergrößern des BildesAls Grund für die Überwachung des Kindes nennen viele Eltern die Angst vor Entführung. (Bild: Imago) (Quelle: imago-images-bilder)
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"Elternparanoia" nennt es der britische Soziologe Frank Furedi, als "Helicopter-Parenting" bezeichnen es amerikanische Psychologen, gemeint ist die Dauerüberwachung des eigenen Kindes, die vor allem in England und den USA fast schon hysterische Ausmaße annimmt. Die aber auch bei uns immer alltäglicher wird.

Kontrolle rund um die Uhr

Armbändchen mit GPS sollen in manchen Kliniken bereits die Neugeborenen vor Entführung schützen, spezielle Kinderhandys verfügen ebenfalls über das so genannte Global Positioning System, für größere Kinder gibt es sogar kleine Peilsender, die in die Anziehsachen eingenäht werden können. Sozusagen schlagen dann Jacke oder Schuhe Alarm auf dem Rechner der Eltern, wenn das Kind sich aus dem vorher abgesteckten Bereich heraus bewegt. Kinder können via Satellit geortet werden - vorausgesetzt es besteht eine Verbindung zum Satelliten, was möglicherweise nicht mehr der Fall ist, sobald das Kind in ein Auto einsteigt oder ein Haus betritt.

Mit Sicherheit kann man auch zu weit gehen

Für Jugendliche gibt es in Amerika bereits intelligente Kreditkarten, die den Kauf von Waffen, Alkohol und Zigaretten verbieten und ein Sicherungssystem mit Kamera für das Auto, das neben einer Höchstgeschwindigkeit auch nur einen bestimmten Radius der Entfernung vom Elternhaus zulässt. Hält sich der Teenager nicht daran, werden die Eltern sofort per Handy benachrichtigt.

Kinder sind nicht für das elterliche Glück verantwortlich

Befragt man Eltern, die ihr Kind möglichst rund um die Uhr bewachen möchten, nach dem Grund, dann wird meist die Angst vor Entführung genannt, geschürt auch durch die Medien, die Fälle wie den der kleinen Madeleine McCann ausführlich ausschlachten. Tatsächlich aber sind die Zahlen verschwundener Kinder in den letzten Jahren gar nicht gestiegen und wahrscheinlich spielen zumindest unbewusst ganz andere Faktoren eine Rolle. "Kinder haben in unserer Gesellschaft einen Bedeutungswandel erfahren", so Stefan Hetterich von der Erziehung-, Jugend- und Familienberatungsstelle in Regensburg. "Heute stehen in vielen Familien die Kinder stellvertretend für das eigene Glück. Sie sind zu einer Art Besitz für die Eltern geworden und werden weniger in ihrer eigenen Art und ihrem persönlichen Charakter gesehen, sondern eher als 'Bestandteil' der Eltern. Das führt dazu, dass diese - da sie ihren Kindern eine so hohe Bedeutung beimessen - die Kinder, ihre Entwicklung und ihr alltägliches Handeln wie ihren Augapfel hüten und somit auch stärker kontrollieren wollen."

Dauerüberwachung bietet nur Pseudosicherheit

Heutzutage verbringen viele Kinder ihre Freizeit extrem verplant, spielen statt auf freier Flur auf überschaubaren Indoorspielplätzen und werden von den Eltern überall hingefahren und wieder abgeholt. Früher ist man zu Fuß zur Schule, selbst dann, wenn eine gefährliche Kreuzung auf dem Weg lag, man verbrachte seine Nachmittage draußen und holte sich auch beim Werkeln am Baumhaus nicht gleich eine Blutvergiftung. Fahrrad fuhr man ohne Helm, Inliner ohne Knieschutz und meistens wussten die Eltern nicht so ganz genau, wo man sich gerade aufhielt - außer man kam heim, weil man ein Pflaster brauchte. Heute gelten Kinder, die den ganzen Nachmittag alleine draußen 'herumstreunen' fast schon als vernachlässigt. "Das inzwischen häufig praktizierte Überwachen der Kinder führt zu einer Form von Pseudosicherheit für die Eltern", so der Psychologe. Und sein Kollege Franz Braunmiller ergänzt: "Es vermittelt das Gefühl von Kontrolle über das eigene Kind. Gleichzeitig hat aber jedes Kind allein durch sein Wachsen, den Vergleich mit anderen und durch sein inneres Größerwerden den Drang nach Selbstständigkeit und Autonomie." Dafür braucht es Halt und Hilfe in Form von Anleitung durch die Eltern.

Jugendliche brauchen Freiraum, um Erfahrungen machen zu können

Falsch verstandene Kontrolle führt aber dazu, dass das Kind gar nicht die Chance bekommt selbstständig zu werden und mit Herausforderungen zu wachsen, was sich spätestens in der Pubertät rächt. Denn dann geht es primär darum, sich vom Elternhaus zu lösen und eigenständig zu werden. "Pubertät schreit nach Freiräumen und dem Glauben der Eltern an ihre Kinder, dass sie in diesen Freiräumen eine gute Entwicklung nehmen können." Der Familientherapeut warnt vor übersteigerten Machtkämpfen oder einem zu langen Verharren in der Nestwärme des Elternhauses.

Ein "Nicht-Zutrauen" kann demütigend sein

Je mehr Überwachungstechnik man nutzt, desto weniger lernt ein Kind, sich auch auf unbekanntem Terrain zu bewegen. Es spürt das elterliche Misstrauen und interpretiert es als ein "Nicht-Zutrauen". Es bringt seine Eltern automatisch mit dem Begriff "Kontrolle" in Zusammenhang.

Technische Errungenschaften angemessen nutzen

Dabei können die Errungenschaften der Neuzeit durchaus ihre Vorteile haben. "Ein Handy kann dem Kind durchaus eine Hilfe sein und es ihm leichter machen, sich vom Elternhaus wegzubewegen und eigene Autonomieräume zu erobern - solange es nicht zum Kontrollinstrument wird. Ein adäquater Einsatz moderner technischer Möglichkeiten kann dem Kind durchaus vermitteln 'Ich trau dir das zu, dass du mit deinen Fähigkeiten hinausgehen kannst ins Leben – und wenn du mich brauchst, bin ich für dich da."

Kinder müssen sich ihre Welt erobern

Vereinfacht könnte man jetzt sagen: "Trauen Sie Ihrem Kind einfach mehr zu!", aber damit wird man den inneren Bedürfnissen der Eltern, die ihren Nachwuchs am liebsten rund um die Uhr im Auge behalten würden, nicht gerecht. Laut Hetterich kann sich nur etwas verbessern, wenn der Ursprung der Ängste aufgedeckt wird und der Blick der Eltern auf die Bedürfnisse des Kindes nach uneinsehbaren Freiräumen gelenkt wird. Zugleich müssen aber auch die Bedürfnisse der Eltern und ihre Angst wahrgenommen und respektiert werden. Auch Furedi rät in seinem Buch "Die Elternparanoia – Warum Kinder mutige Eltern brauchen" dazu, mehr Vertrauen in die Fähigkeiten unserer Kinder zu haben. Schließlich sei die Kindheit keine Zeit der Gefahren und Risiken, vor denen die Kleinen dauernd geschützt werden müssten. Im Gegenteil, wer sein Kind in Watte packt und nicht mehr aus den Augen lässt, hindert es ein Stück weit daran, sich die Welt selbst zu erobern.

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