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Psychologie: Schuldgefühle schaden der Eltern-Kind-Beziehung


Schuldgefühle sind wie eine emotionale Zwangsjacke

t-online, Simone Blaß

12.08.2010Lesedauer: 4 Min.
Frustrierte Frau stützt ihren Kopf.Vergrößern des BildesSchuldgefühle helfen nicht weiter und können sogar krank machen. (Bild: imago) (Quelle: imago-images-bilder)
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Wenn Kinder sich verletzen, weil die Eltern nicht richtig aufgepasst haben, wenn sie wegen einer Scheidung unglücklich sind, wenn Eltern sich ihnen gegenüber unfair verhalten haben, sie gar Drogen nehmen oder auf die schiefe Bahn geraten, dann können bei den Eltern schnell Schuldgefühle entstehen und eine ganz eigene negative Dynamik entwickeln. Dabei, so der Diplom-Psychologe Tim Ziegenhorn, helfen solche Schuldgefühle nicht weiter. Sie belasten und blockieren nur.

Ideale kollidieren mit der Realität

Um Schuldgefühle zu entwickeln, eignet sich eine Elternschaft ganz wunderbar. Schließlich gibt es eine ganze Menge Erziehungsideale, die man eigentlich erfüllen wollte und die mit der Realität täglich in Konflikt geraten. Es gibt Dinge, die man sagt oder auch macht, und die schon kurz danach bitter bereut werden. Die Erziehung eines Kindes oder auch eines Jugendlichen ist eine sehr emotional beladene Sache, in die nicht nur unsere Ideale und die des Partners hineinspielen. Auch die eigene Kindheit und die gesellschaftlichen Anforderungen an uns mischen hier mit. Ganz typisch sind beispielsweise die unguten Gefühle, die manche Mütter entwickeln, wenn sie mal an sich denken, und die freigeschaufelte Zeit für sich dann gar nicht genießen können.

Schlechtes Gewissen oder Schuldgefühl?

Zunächst einmal muss man unterscheiden zwischen einem schlechten Gewissen und einem echten Schuldgefühl. Ein schlechtes Gewissen haben alle Eltern einmal. Es ist zeitlich begrenzt und stark von der Situation abhängig. Und es hat in erster Linie etwas damit zu tun, dass das eigene Verhalten in diesem Moment nicht mit dem zusammen passt, was man selbst von sich beziehungsweise was auch andere von einem erwarten. Wohingegen echte Schuldgefühle sich als innerer Dauer-Konflikt zeigen, oft auch unterbewusst gären, andere Gefühle wie Angst oder Wut auslösen oder gar zu psychosomatischen Erkrankungen führen. Tim Ziegenhorn ist sich sicher, dass starke Schuldgefühle etwas mit der eigenen Biografie zu tun haben. Mit verinnerlichten Werten, Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Selbstliebe und der Liebe zum eigenen inneren Kind, aber auch mit der Unvorstellbarkeit, sich selbst zu vergeben. Also tiefer gehen. Viel tiefer.

Schuldgefühle können blockieren

"Häufig erlebe ich in der Praxis, dass Eltern das schuldhafte Gefühl entwickeln, ihren Kindern nicht gerecht zu werden, und in der Erziehung zu hart oder zu nachgiebig zu sein, zu wenig Zeit zu haben, zu erschöpft zu sein oder die Gefühle der Kinder in bestimmten Entwicklungsabschnitten nicht zu verstehen und nicht adäquat handeln zu können", beschreibt der Psychotherapeut Dr. Marcus Riedel seine Erfahrungen mit dem Thema. "Oft beobachte ich hierbei, dass Eltern, im Bestreben alles richtig zu machen, aus Verunsicherung in eine Handlungsstarre geraten, was sich wiederum negativ auf die Beziehung zwischen Eltern und Kindern auswirken kann." Nicht selten verwechseln Eltern die eigene Bedürftigkeit mit dem tatsächlichen Bedürfnis des Kindes. "Innere Konflikte, Wünsche und Defizite werden in die Eltern-Kind-Beziehung unbewusst eingebracht und können Schuldgefühle auslösen." Und zwar nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den Kindern. Meistens geschieht es unüberlegt, wenn Eltern ihren Kindern Schuldgefühle bereiten, manchmal wird dieses Mittel aber auch absichtlich eingesetzt.

"Du machst mich noch wahnsinnig!"

Sätze wie "Wenn du nicht damit aufhörst, bringst du mich noch ins Grab", "Von deinem Theater bekomm ich Kopfweh", "Du bist selbst schuld, dass es so weit kam", "Wie konnte dir das nur passieren?", "Wenn du nicht brav bist, kann ich dich auch nicht liebhaben" oder gar "Du machst mich krank" können dazu führen, dass das Kind auch im späteren Leben immer sich die Schuld geben wird und unterbewusst davon überzeugt sein wird, dass es für die Gefühle und das Glück eines anderen verantwortlich ist. "Eventuell kann es so für das Kind schwieriger werden, bestimmte eigene Bedürfnisse und Gefühle zu spüren und zu zeigen, also als kleiner Mensch möglichst vollständig zu reifen und zu gedeihen", meint Tim Ziegenhorn. Das kann so sein, muss aber nicht. Denn hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle.

Den Ursachen auf den Grund gehen

Der Berliner Psychologe, selbst Vater, erklärt, dass vor allem das Gesamtsystem der Eltern-Kind-Beziehung wichtig ist für den Umgang mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen. Eltern sind nicht perfekt und machen Fehler. Wenn sie allerdings in der Lage sind, zu bemerken, dass sie auf dem besten Weg dazu sind, ihrem Kind Schuldgefühle zu bereiten, so wäre es falsch, sich dafür wiederum schuldig zu sprechen. Stattdessen sollten sie stolz sein über ihren Mut, sich einen Fehler einzugestehen und auf das Kind entsprechend zugehen. "Schließlich gibt es ja auch die Möglichkeit, im Nachhinein zu erklären, dass man Quatsch erzählt hat und das Kind selbstverständlich keine Verantwortung zum Beispiel für die Kopfschmerzen der Eltern trägt. Schuldgefühle sind ja im Grunde immer unnötig. Sie helfen nicht weiter und belasten meist alle beteiligten Seiten. Nur kann ich sie ja nicht einfach abstellen. So verrückt das klingen mag: Es kann helfen, diese lästigen Schuldgefühle erst einmal als einen Teil von mir zu akzeptieren und sie dann vorsichtig und liebevoll zu erforschen."

Kinder muss man auch loslassen können

Schuldgefühle und Selbstvorwürfe vergiften die Atmosphäre, können krank machen und bis zur Depression führen. So manches Mal wird der Druck weitergegeben an die Familie und es entsteht ein Teufelskreis. Der kann nur durchbrochen werden, indem man lernt, mit den Schuldgefühlen umzugehen. Und indem man herausfindet, wo sie herkommen. Gespräche mit anderen, eventuell auch mit einem Therapeuten oder Erziehungsberater, können dabei helfen, mehr über sich und den Grund der tief sitzenden Gefühle zu erfahren und sich zu befreien von etwas, das eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung nur blockiert. So fällt es leichter, zu akzeptieren, dass man zum Beispiel auch nicht dauerhaft für das Handeln und das Glück seines Kindes verantwortlich ist. Psychotherapeut Marcus Riedel fasst es zusammen: "In das Leben hineinbegleiten? Ja. Fürsorge und gute Bindung in der Kindheit und frühen Jugend? Selbstverständlich. Kommunikation und Klarheit? Ebenso. Dauerhaft Festhalten und Korrigieren? Nein."

Jeder Mensch macht seine eigenen Fehler. Das gehört in gewisser Weise auch zu seiner Entwicklung dazu. Dabei zuzusehen ist nicht immer einfach, aber so lange das eigene Kind weiß, dass es aufgefangen wird, wenn es Probleme hat, dass es zu seinen Eltern kommen kann, auch wenn es Fehler gemacht hat, dann muss man auch mal loslassen. Frei nach Johann Wolfgang von Goethe: "Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel."

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