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Kinderheime: Ein Heim ist keine Kinder-Reparaturwerkstatt


Erziehung
Ein Heim ist keine Kinder-Reparaturwerkstatt

t-online, Simone Blaß

03.02.2011Lesedauer: 5 Min.
Für manche Kinder ist Heimerziehung eine bessere Lösung als eine Pflegefamilie.Vergrößern des BildesFür manche Kinder ist Heimerziehung eine bessere Lösung als eine Pflegefamilie. (Quelle: imago/imago-images-bilder)
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Es gab Zeiten, da landeten Kinder relativ schnell in einem Heim, auf der Stirn meist - symbolisch gesehen - den Stempel des Schwererziehbaren. Und nicht wenige, das zeigt der im Dezember 2010 vorgelegte Abschlussbericht eines von der Bundesregierung eingerichteten Runden Tisches zum Thema Heimerziehung, mussten vor allem in den 50-er und 60-er Jahren körperliche Züchtigung, sexuelle Gewalt und religiösen Zwang erleiden. Doch auch später hatten es Kinder in Heimen nicht immer leicht und entsprechende Negativschlagzeilen sind nach wie vor nicht ausgeschlossen. Schade für all die vielen Einrichtungen und deren engagiertes Personal, für die das Kindeswohl nicht nur per Gesetz an erster Stelle steht.

Für manche Kinder ist ein Heimaufenthalt besser als eine Pflegefamilie

Laut § 8a des Sozialgesetzbuches, überschrieben mit "Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung", hat das Jugendamt die Aufgabe, bei einem Gefährdungsrisiko zu reagieren und das kann unter anderem auch auf einen Aufenthalt im Heim hinauslaufen. Dabei kann es sich um wenige Wochen, aber auch um mehrere Jahre handeln. "Grundsätzlich kann man immer davon ausgehen, dass, wenn ein Kind ins Heim kommt, eine Konfliktsituation mit massiver Überforderung beiderseits besteht - sowohl bei den Eltern als auch beim Kind", erklärt Christian Held, Sachgebietsleiter für den Bereich Besondere Sozialdienste in Erlangen. "Und dass wir versuchen werden, vor allem für jüngere Kinder, etwa bis zu einem Alter von sieben, acht Jahren eine geeignete Pflegefamilie zu finden. Die Frage ist dann aber immer, ob diese den Anforderungen, zum Beispiel denen eines massiv traumatisierten Kindes, gerecht werden kann oder ob es nicht doch besser ist, das Kind in eine Einrichtung zu geben, in der speziell ausgebildetes Personal arbeitet. Es gibt ja auch Heime, die mit familienähnlichen Strukturen arbeiten." Die Frage nach der Unterbringung in einem Heim oder in einer Pflegefamilie ist immer eine Einzelfallentscheidung, die im Team von Fachleuten getroffen wird. "Wir versuchen, die Eltern und betroffenen jungen Menschen in diese Entscheidung mit einzubeziehen", erklärt der Sozialpädagoge.

Unter Umständen muss das Familiengericht entscheiden

Grundvoraussetzung aber ist immer eine Familiensituation, in der das Kind nicht in der Familie bleiben kann. "Allgemein herrscht die Meinung, dass das Jugendamt Kinder gegen den Willen ihrer Eltern aus den Familien herausnimmt. Das ist in der Realität nur selten der Fall!", erklärt Christian Held. "Tatsächlich sind es in der Regel die Eltern, die - manches Mal auch auf unser Anraten hin - die so genannten 'Hilfen zur Erziehung' beantragen. Häufig sind es auch Jugendliche selbst, die den Wunsch äußern. Nur in einer ganz begrenzten Zahl von Fällen entscheidet das Familiengericht. Wir vom Jugendamt können eine solche Entscheidung gegen den Willen der Betroffenen gar nicht treffen." Eine Ausnahme stellen akute Gefährdungssituationen im Sinne der Inobhutnahme dar.

Das Heim als letzte Möglichkeit

Bevor heutzutage aber ein Kind in ein Heim kommt, werden zunächst einmal sämtliche weiteren Möglichkeiten ausgeschöpft. "Heimerziehung ist meist das letztmögliche Mittel, das eingesetzt wird", erklärt René Jurisch, Leiter der Heilpädagogischen Kinder- und Jugendwohnanlage "Waldschlösschen" in Lübben. Zuvor versucht man, das Kind in seiner Familie zu lassen und dort von außen kleinere oder mittlere Schwierigkeiten zu bearbeiten. Dazu aber ist es selbstverständlich notwendig, dass sowohl die Eltern als auch das Kind beziehungsweise der Jugendliche anerkennen, dass es ein Problem gibt und auch bereit sind, sich bei der Lösung desselben helfen zu lassen.

"Die Heimerziehung, also die 'Herausnahme' des Kindes aus der Familie ist ein sehr gravierender, eingreifender Schritt und Schnitt für Kind, Familie und Umfeld. Er kann notwendig sein, wenn vorher andere Maßnahmen nicht oder nicht ausreichend gewirkt haben oder die Problematik in der Herkunftsfamilie so groß ist, dass andere Hilfen nicht mehr greifen."

Rückkehr in die Familie ist auch vom Gesetzgeber her primäres Ziel

In §34 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist klar festgelegt, dass im Rahmen eines Heimaufenthaltes versucht werden soll, eine Rückkehr in die Familie zu erreichen, die Erziehung in einer anderen Familie vorzubereiten oder aber eine auf längere Zeit angelegte Lebensform zu bieten und auf ein selbstständiges Leben hinzuarbeiten. Durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten sollen die Kinder in ihrer Entwicklung gefördert werden und Jugendliche in Fragen der Ausbildung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden.

Die betroffenen Kinder können hier zu sich selbst finden

"Wir schaffen den Kindern ein Lebensumfeld, in dem sie geschützt untergebracht sind und zunächst mal zur Ruhe kommen können. Dazu bieten wir ihnen verlässliche Beziehungen zu ihren erwachsenen Mitmenschen an, die sie bislang sehr oft nicht erfahren haben." Hinzu kommt eine feste Tagesstruktur, an der sich die Kinder und Jugendlichen orientieren können, mit festgesetzten Regeln und Pflichten, wobei sie meistens, so wie in der Einrichtung des ASB Lübben auch, die Möglichkeit haben, bei der Festlegung die eigenen Ansichten mit einzubringen.

Negative Aufmerksamkeit durch positive ersetzen

Viele der Heimkinder sind in ihrem bisherigen Leben schnell in bestimmte Schubladen gesteckt worden und immer waren es die vermeintlich negativen Seiten, anhand derer sie identifiziert wurden. "Dieses Muster wollen wir durchbrechen. Wir zeigen den Kindern, dass sie etwas können, sich etwas zutrauen können und dass es durchaus möglich ist, auch durch positives Verhalten Aufmerksamkeit zu erlangen."

Eltern sollen im Heim nicht ersetzt werden

Im optimalen Fall unterstützen die Eltern, die häufig auch weiterhin das Sorgerecht haben, den Heimaufenthalt und kooperieren mit der Einrichtung. Dazu gehören nicht nur das Wahrnehmen von Terminen und Gesprächsbereitschaft, sondern auch Einsicht, was den eigenen Anteil an der Entwicklung des Kindes angeht. "Wenn Eltern für Hilfe offen sind und nicht mit der Einstellung 'Bitte, hier ist mein Kind. Reparieren sie es und dann ist alles wieder gut' die Hilfe beginnen, dann kann sie gelingen und auch langfristig erfolgreich und anhaltend wirksam sein." René Jurisch erklärt, dass es nicht darum gehe, die Eltern zu ersetzen, sondern darum, die Kinder ein Stück auf dem Weg ihres Lebens zu begleiten. Und die aufgetretenen Probleme zu bearbeiten, zu korrigieren oder zu minimieren.

Das häusliche Umfeld muss entsprechend verändert werden

"Die Eltern bleiben immer die Eltern. Wenn sie die Kinder fragen, dann würde ein Großteil sagen, dass sie sofort wieder nach Hause gehen würden. Dabei ist es ihnen fast egal, was vorher wie schief gelaufen ist." Damit die Kinder aber wieder nach Hause können, sind häufig deutliche Veränderungen im bisherigen Umfeld notwendig. Nicht selten müssen Eltern erst lernen, welche Bedürfnisse ein Kind hat und wie man darauf eingeht. Bei manchen mangelt es da an den elementarsten Dingen wie Möbeln und Nahrung. Bei anderen genügt es, ihnen beizubringen, wie sie sich sinnvoll und mit Respekt mit den Kindern auseinandersetzen, welchen Freiraum diese benötigen und wie man eine kindgerechte Entwicklung fördert. Allein das schon ein hartes Stück Arbeit.

Heimlandschaft ist vielfältig

Inzwischen haben sich viele verschiedene Formen von Kinderheimen durchgesetzt, immer orientiert an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen. Es gibt Heime, in denen die Kinder in familienähnlichen Gruppen zusammenleben, es gibt Wohngruppen, Kurzzeitunterbringung und betreutes Wohnen, in dem Jugendliche und junge Volljährige ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit unter Beweis stellen können, unterstützt von Sozialpädagogen. Sie stellen neben Erziehern, Pädagogen und Psychologen den größten Anteil an Fachkräften in einem Heim. Nicht zuletzt deshalb ist der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung eine ziemlich teuere Angelegenheit. Mehrere tausend Euro fließen da schon pro Monat. Im Rahmen der "Zumutbarkeit" werden die Eltern an diesen Kosten beteiligt, den größten Teil allerdings übernimmt der Staat. Und investiert damit in seine Zukunft.

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