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Hat Deutschland ein Problem mit Romantik und Liebe?


Kolumne "Lust, Laster und Liebe"
Sind die Deutschen Romantik-Killer?

  • Jennifer Buchholz
MeinungEine Kolumne von Jennifer Buchholz

29.09.2021Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Liebe: Nicht jeder steht auf Romantik.Vergrößern des Bildes
Liebe: Nicht jeder steht auf Romantik. (Quelle: Nazarevich/getty-images-bilder)

Blumen, Pralinen und ein Dinner bei Kerzenschein? Romantik definiert jeder anders. Was ist romantisch? Und wie sieht es damit in Deutschland aus?

Woran denken Sie beim Stichwort Paris? Vermutlich auch an die Stadt der Liebe? Nächtliches Knutschen am Seine-Ufer? Prickelnde Dates in einem der zahllosen Eck-Cafés? Die Assoziationen mit Deutschlands Hauptstadt sehen da etwas anders aus: "Arm aber sexy" lautet deren Motto. Wie sexy Berlin tatsächlich ist, ist aber zumindest zweifelhaft.

Hier kann das erste Date im Restaurant durchaus an einem Tisch neben dem Klo stattfinden – es könnte sich ja noch eine finanziell einträglichere Vier-Personen-Gruppe für den schöneren Tisch am Fenster interessieren. Ganz anders in Frankreich: Da werden nicht selten Tischgruppen extra auseinandergerissen – die beiden Verliebten sollen schließlich ein möglichst hübsches Plätzchen für ihr Stelldichein haben. Die weise Einsicht dahinter: Auch Kleinigkeiten können der romantischen Stimmung sehr dienlich sein.

Wenig verwundert war ich darum, als mich kürzlich Freunde aus dem Ausland nach ihrem Deutschlandbesuch fragten: "Wo zum Teufel ist eigentlich eure Romantik?"

Was ist mit uns los?

Ja. Die Frage hat ihre Berechtigung. Deutschland hat da ein Problem! Zumindest, was die Pflege der Romantik betrifft. Wir gehen nicht nur zum Lachen in den Keller. Sondern auch zum Austauschen von Zärtlichkeiten. Händchenhalten und flüchtige Küsse – mehr scheint nicht drin zu sein. Gehen zwei – oh Schreck – doch mal ganz öffentlich ihren Gefühlen nach und küssen sich innig auf der Straße, sind die Blicke der Passanten selten wohlwollend. "Nehmt euch ein Zimmer" lässt sich aus den pikierten Blicken ablesen.

Aber warum? Was ist denn los mit uns?

Die hiesige Definition von Romantik liefert jedenfalls Anhaltspunkte. Hierzulande halten es Männer und Frauen laut Umfragen (oder auch Beziehungstipps von Paarberatern) ja schon für ungemein romantisch, abends im Wohnzimmer ein paar Kerzen anzuzünden und sich auf dem Sofa bei einem Film kuschelnd anzunähern.

Anderswo – so zumindest meine Beobachtung – geht hinsichtlich Leidenschaft und Gefühl etwas mehr: Da wird häufig und öffentlich geflirtet. Und mit Komplimenten wird nicht gehaushaltet, als wären sie teure Delikatessen, die man sich nur zu besonderen Anlässen gönnt.

Apropos haushalten. Sparsam, als müssten wir auch da auf die Schwarze Null achten, sind wir Deutschen sogar bei Liebesbekundungen. Hier schmeißen sich Pärchen beim Abschied ein "Ich lieb dich" im denkbar lieblosen Tonfall hinterher. Wir knausern nicht nur an Leidenschaft. Wir nehmen der Liebe sogar das "e". Sprachökonomie nennt man das.

Zärtlichkeiten gehören ins Schlafzimmer

Kein Wunder, dass wir im Ausland oft als akkurat, kalt und geizig gelten. Genussverächter. Selbst in der deutschen Kultur spiegelt sich das wieder: Romantische Filme haben gefühlt alle den gleichen platten Plot, Bücher mit gefühlvollen Stories sind vorwiegend Groschenromane. Und deutsche Liebeslieder klingen häufig verdächtig nach jenen Schlagern, in denen sich die heile Welt, unkomplizierte Beziehungskonstellationen und harmlose Gefühlsaudrücke zu einem weltfremd klischeehaften Brei vermengen.

Überhaupt. Kompliziert und unkonventionell ist nicht unser Ding. Streit oder große Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit wissen die meisten Deutschen zu vermeiden. Für den Austausch von Zärtlichkeiten gibt es darum nur ein angemessenes Terrain: das Schlafzimmer. Wir wollen uns schließlich nicht lächerlich machen.

Außerdem haben wir Angst. Angst, uns emotional angreifbar zu machen. Sicherheit ist uns auch in zwischenmenschlichen Belangen äußerst wichtig. Ehe wir über unsere Gefühle und Bedürfnisse sprechen, muss viel Zeit vergehen. Auch für Freundschaften brauchen Deutsche darum viel Zeit.

Liebe ist zu kommerziell

Dennoch: "Typisch Deutsch" zu sein ist kein Grund zur Scham! Es liefe auch etwas falsch, wenn wir uns sklavisch an Hollywood oder der Flirtkultur in anderen Ländern orientieren würden. Und es sollte uns um Himmels Willen auch nicht die Industrie diktieren, an welchen Tagen wir gefühlvoll zu sein haben. Dass uns gewisse Kommerzialisierungsstrategien tendenziell kalt lassen, zeigt schließlich auch, dass wir die Liebe ernst nehmen. Mit der Pflege der eher kleinen Dinge und Gesten sind wir ja nicht gleich unromantisch. Wir haben einfach unsere eigene Definition von Romantik. Und das ist gut so.

Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online.de, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe" über Liebe, Partnerschaft und Sex.

Verwendete Quellen
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