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"Lust, Laster und Liebe": Als ich meinen Chef nackt gesehen habe


Kolumne "Lust, Laster und Liebe"
Mit dem Chef nackt in der Sauna: Was nun?

  • Jennifer Buchholz
MeinungEine Kolumne von Jennifer Buchholz

Aktualisiert am 16.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Sauna: Einige Personen möchte man lieber nicht nackt sehen. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Sauna: Einige Personen möchte man lieber nicht nackt sehen. (Symbolbild) (Quelle: Mordolff/getty-images-bilder)

Es gibt Orte, an denen ich meinem Chef nicht begegnen möchte. Doch an einem Ort standen wir uns plötzlich in ungewohntem Bild gegenüber – nackt.

Endlich! Ein freier Tag – an dem ich mir dringend mal etwas Gutes tun wollte. Wellness! Allerdings wollte ich die kostbare Freizeit nicht in einem Raum mit schwerer Luft verbringen. Auf einer Holzbank, wie die Hühner auf der Stange, dicht gedrängt zwischen Fremden, deren Schweiß auf mich drauftropft. Und ich wollte Ruhe vor Menschen. Darum fällte ich eine harte Entscheidung: Ich schleppte mich – noch schlaftrunken – um 9 Uhr morgens in ein Spa.

Dort angekommen beeilte ich mich, um beim ersten Aufguss pünktlich zu sein – denn Sauna-Fans wissen: Unpünktlichkeit wird mit hasserfüllten Blicken, Kopfschütteln und "tztztz"-Kommentaren der anderen Saunagänger geächtet. Und darauf hatte ich keine Lust. Auch wenn der Wellness dadurch massiver Stress vorausging. Also hetzte ich, so schnell es in Badelatschen eben ging, in mein kleines Handtuch gehüllt in den aufgewärmten Raum. Schweißgebadet kam ich gerade noch rechtzeitig in dem noch schweißtreibenderen Raum an.

Ich windete mich wie ein Schlangenmensch

Ich atmete durch und ließ meinen Blick schweifen: Drei Senioren und ein Pärchen. Und: Er! Direkt mir gegenüber saß mein Chef. Im Adamskostüm. Den Blick auf mich gerichtet.

Beschämung bekroch mich. Ungelenk und verdattert versuchte ich, meine intimen Stellen möglichst unauffällig mit meinen Armen, Händen oder Beinen zu bedecken. Ich, ein Schlangenmensch – nur wesentlich weniger elegant. Dafür herrlich verkrampft und angespannt.

Die Neugierde siegt

Doch glücklicherweise verflog meine Überforderung recht schnell und machte einem anderen Gefühl Platz: Neugierde. Wann sieht man seinen Chef schon einmal nackt – ausgenommen man hat eine Affäre oder Beziehung mit ihm. Und wer weiß, wofür das mal gut ist? "Was würde wohl der konservative Geschäftsführer zu Ihren Tattoos sagen, Chef?"

Dezent musterte ich seinen Körper. Sein graues, wild wucherndes Brusthaar war mir bekannt, das sah man ohnehin meist durch seine weißen Hemden durchschimmern. Und seinen Waschbärbauch konnte selbst das maßgeschneiderte Jackett nicht kaschieren. Ein Durchschnittsmann. Kein Herzchen-Tattoo mit "Love you, Mummy"? Keine Nippelpiercings? Auch keine Narben von lebensgefährlichen Unfällen oder lebensrettenden OPs? Ich war ein bisschen enttäuscht.

Schweiß rann mir über die Stirn

Dennoch ließ mich eins nicht los: seine Beine. Sie waren stramm, muskulös und braungebrannt. Profifußballer wären neidisch. Aber Moment mal: Sie waren rasiert. Oder vielleicht doch gewaxt? Ich starrte sie an und merkte plötzlich: Mein Chef starrte mich ebenfalls an – keine Miene verziehend. Ich fühlte mich – obwohl ich es ja ohnehin war – komplett entblößt. Schweiß rann mir über die Stirn und tropfte auf mein Dekolleté – wegen der Hitze?

Oder weil ich realisierte: Nicht nur ich weiß jetzt, wie er nackt aussieht –, er weiß das auch von mir. Fettröllchen, Muttermale, Intimfrisur, Körperschmuck: All das, was ich sonst unter meiner Kleidung verstecke, weiß mein Chef jetzt über mich. "Also das Muttermal auf Ihrem Po sollten Sie mal untersuchen lassen, Frau Buchholz!“ oder "Eine interessante Intimfrisur haben Sie, Frau Buchholz."

Was wird er sagen, wenn wir uns morgen in der Arbeit sehen? Oder beim nächsten Feedbackgespräch? "Ich kann Ihnen nur raten, abends weniger Kohlenhydrate zu essen, bei den Speckröllchen auf Ihrer Taille."

Das Spa verlassen?

Endlich: das Ende. Noch während die anderen Saunagäste ächzend und schwer atmend den Saunameister beklatschten – scheinbar heilfroh, dem Hitzetod noch einmal entkommen zu sein –, sprang ich hoch, riss die Tür auf und warf mir meinen Bademantel über.

Den Schock musste ich erst einmal bei einem Glas Crémant an der Spa-Bar verdauen. Das Spa verlassen? Mich beschlich die Vorstellung, die Laute meines Chefs beim Eisduschen nach dem Saunagang zu hören oder ihn splitterfasernackt im Pool zu sehen – oder: im selben Becken mit ihm zu schwimmen. In seinem Schweiß, seinen Ausdünstungen, seinen Schamhaaren ... die natürlicherweise auch ab und zu ausfallen. Diese Art von Nähe wäre mir dann doch zu viel. Kaum zu glauben, dass es in Finnland gang und gäbe ist, mit dem Chef zusammen in die Sauna zu gehen!

"Oh, hallo Chef."

"Da bin ich aber froh, dass ich mit meinem täglichen Saunagang fertig bin, wenn Sie kommen. Es wäre sonst ziemlich peinlich für mich geworden, wenn Sie mich nackt gesehen hätten“, sagte mein Chef, der plötzlich lächelnd neben mir stand.

"Wenn der Chef vor dem Mitarbeiter die Hosen runterlässt, ist sein Standing nicht mehr dasselbe. Vor allem dann, wenn Sie meine Jugendsünde entdeckt hätten. Das wäre ein gutes Druckmittel bei unserem nächsten Feedbackgespräch für Sie gewesen."

Ich stammelte erschrocken: "Oh, hallo Chef." Ich war verdutzt. Wir haben uns doch vor wenigen Minuten im selben Raum aufgehalten. Hatte er durch den Begegnungsschock einen kurzzeitigen Gedächtnisverlust?

"Sie brauchen nichts zu befürchten. Ohne Brille bin ich quasi blind wie ein Maulwurf", sagte er lachend, schob mit einem Finger die von seiner Nase rutschende Brille in die korrekte Position zurück und ließ mich perplex zurück. "Bis morgen und einen angenehmen Abend noch, Frau Buchholz."

Tatsächlich hatte ich vergessen, dass mein Chef eine Sehschwäche hat. Und zwar eine relevante von -6.0 Dioptrien, wie er mir einmal selbst berichtet hatte. Ohne Brille erkennt er so gerade einmal seine Hand vor den Augen. Also hat er mich einfach nicht erkannt. Wie erleichtert ich bin.

Trotzdem: Ob die nackte Begegnung für ihn oder für mich unangenehmer gewesen wäre, wenn er die Brille aufgehabt hätte? Ich weiß es nicht. Spätestens beim nächsten Mitarbeitergespräch oder bei der Weihnachtsfeier hätte ich es vermutlich erfahren.

Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe" über Liebe, Partnerschaft und Sex.

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