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Ueli Steck gelingt die Solo-Erstbegehung der Annapurna-Südwand


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Ueli Steck: "Am Ende machst du es nur für dich"

Ein Interview von Johanna Stöckl

Aktualisiert am 25.10.2013Lesedauer: 10 Min.
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Annapurna-Südwand: Route von Ueli Steck.Vergrößern des Bildes
Direkter geht es kaum: Ueli Stecks Route durch die Annapurna-Südwand (grober Verlauf: trax.de). (Quelle: CHROMORANGE/imago-images-bilder)

Der Schweizer Alpinist Ueli Steck stieg am 9. Oktober 2013 solo und ohne Zusatzsauerstoff auf einer neuen Route durch die Annapurna-Südwand. Den Gipfel des 8091 Meter hohen Achttausenders erreichte er gegen ein Uhr nachts. Mit dieser Erstbegehung schreibt der 37-jährige Profi Alpin-Geschichte. Jedoch: Nachdem Steck im Aufstieg seine Kamera verloren hat, fehlt als Beweis das Gipfelfoto. Ein Gespräch über Jahrhundert- bedingungen, Kontrollblick, Leere am Gipfel, Medienhype und wie Ueli Steck mit Kritikern und Zweiflern umgeht.

Johanna Stöckl: Im dritten Anlauf ist es dir gelungen, im Alleingang und ohne Zusatzsauerstoff die Annapurna-Südwand zu durchstiegen. Was braucht es, um einen so großen Erfolg zu realisieren?

Ueli Steck: In erster Linie braucht es den Glauben daran. Natürlich muss man die technische Fähigkeit besitzen, durch so eine Wand zu klettern. Weiter braucht man Geduld und eine gewisse Hartnäckigkeit, um am Ziel festzuhalten und nicht aufzugeben. Am Ende braucht man Glück. Dieses Mal hatte ich Glück. Das Wetter hat gepasst. Ich hatte Verhältnisse, die findet man so vielleicht wieder in 100 Jahren vor.

Die 8091 Meter hohe Annapurna gilt als ein sehr schwieriger Achttausender. In der über 2500 Meter hohen Südwand haben sich bisher nur wenige Alpinisten versucht. Deine Solo-Route ist die direkteste durch die Wand. Wie muss man sich als Laie "perfekte" Bedingungen in derart schwierigem Gelände vorstellen?

Vor meinem Aufstieg hatte es vier Tage lang immer wieder geschneit, es war relativ warm. Einen Tag vor meinem Gipfelversuch wurde es ungewöhnlich warm. Dann kam ein Temperatursturz. Die gesamte Schneedecke, die sich über vier Tage aufgebaut hatte, verfestigte sich. Als wir aufbrachen, um den Gipfel zu versuchen, fanden wir somit eine ideale Struktur vor. Auch die Temperaturen während des Aufstiegs waren gut. Es war nie kälter als minus 20 Grad.

Heißt, du warst durchgängig auf Schnee beziehungsweise Eis unterwegs oder musste man samt Steigeisen auch Felspassagen klettern?

Ich fand mehr oder weniger durchgängig eine harte Schneegrundlage vor. Gelegentlich gab es Eis, was etwas schwieriger zu klettern ist. In ein paar wenigen Passagen musste ich für ein paar Züge in den Fels greifen. Reines Felsklettern war aber nicht vonnöten.

Das sind also Jahrhundertbedingungen?

(Lacht) Ja.

Der kanadische Bergsteiger Don Bowie war als dein Kletterpartner vorgesehen. Am Wandfuß änderte er seine Meinung und kehrte um. Wie schwer ist es, die gesamte Strategie zu ändern und sich kurzfristig auf eine Solo-Begehung umzustellen?

Das war eine schwierige Situation für mich. Die Idee, diese Wand solo zu klettern, hatte ich nach zwei vergeblichen Versuchen bereits verworfen. Dann sagt dir dein Partner am Bergschrund, dass er umkehrt. Und das bei perfekten Verhältnissen!



Dann geht Ueli Steck eben alleine?

Für mich war rasch klar, dass ich solo einen Versuch wagen würde. Ich wollte soweit gehen, wie es eben geht. Geht es nicht mehr weiter, kehre ich um. Das war mein Plan. Bei diesen Bedingungen musste ich es versuchen.

Unvorbereitet in ein Solo an der Annapurna-Südwand?

Es war nicht der Plan. Diese Situation war so nicht vorgesehen. Als ich zu meinem Partner Dan sagte, dass ich den Aufstieg ohne ihn fortsetze möchte, drückte er mir das Sechs-Millimeter-Seil in die Hand und seine Wasserflasche. Es war kein leichter Entscheid, aber ich bin alleine los.

Was trägt man bei so einem Versuch eigentlich in seinem Rucksack?

Auf 6100 Metern habe ich noch einmal umgepackt und den Schlafsack herausgenommen und deponiert. Ich hatte zwei Flaschen Wasser, sechs Energieriegel, zwei Peronin (Anm. d. Red,: Komplettnahrung für extreme Leistungsansprüche), eine Art Kakaogetränk, einen Kocher, eine Gaskartusche, das Seil, ein 900 Gramm leichtes Zelt, zwei Eisschrauben, fünf Normalhaken und ein Satellitentelefon bei mir. Die Kamera hing an meinem Klettergurt.

Diese hast du später verloren. Wie konnte das passieren?

Das war unterhalb eines gewaltigen Felsriegels. Die Eisrinnen, denen ich folgen wollte, waren deutlich zu sehen. Ich machte ein Foto, damit ich mich nachts anhand dieses Fotos besser orientieren kann. Ich haute die beiden Pickel ins Eis, hängte einen Daunenhandschuh darüber und nahm die Kamera in die Hand. Just in diesem Moment kam Schnee von oben. Ich war nicht angeseilt. Ich stand nur auf den Steigeisen und griff automatisch nach den Pickeln. Ich kauerte mich in die Wand, um nicht mitgerissen zu werden. Dabei gingen Handschuh und Kamera verloren.

Du hattest auch mit starkem Wind zu kämpfen.

Bereits beim Einsteigen war der Wind stark. In der Wand selbst spürte ich ihn vorerst kaum. Allerdings gingen immer wieder heftige Spindrift-Lawinen ab. In einer Höhe von etwa 7000 Metern wurde der Wind dann allerdings so stark, dass ich nicht mehr weiterklettern konnte. Ich zog mich in einer tiefer gelegenen Gletscherspalte zurück. In einer Höhe von etwa 6800 Metern wartete ich also in dieser Spalte, geschützt durch mein Zelt, auf Besserung.

Abwarten und Tee trinken in der Todeszone?

(Lacht) Warten stimmt. Trinken stimmt auch. Ich hatte die Wand ja eingehend studiert und die Tage davor auch intensiv die Verhältnisse beobachtet. Ich wusste, dass sich der Wind während der Nacht legt. Oder besser: Ich hoffte darauf, dass er das wieder tut. Also saß ich circa eine Stunde lang in meiner Spalte, habe Schnee geschmolzen, etwa 1,5 Liter Wasser getrunken, einen Riegel gegessen, meine Wasserflaschen wieder angefüllt. Als die Sonne unterging, war es dann tatsächlich mehr oder weniger windstill.

Dann wieder los?

Ja, das war meine Chance.

In der Dunkelheit durch so eine schwierige Wand zu klettern, ist schwer vorstellbar. Wie findet man die richtige Linie?

Eine Stirnlampe leuchtet schon an die 150 Meter weit. Mir war klar: Der Wind ist weg. Morgen früh kommt er wieder. Wenn ich noch höher steigen will, muss ich das jetzt machen. Dunkelheit hin oder her. Während der Nacht zu klettern war schon vorher meine Idee, sonst hätte ich ja den Schlafsack mitgenommen. Du bist auf 7000 Metern, der Wind hat sich gelegt, du fühlst dich gut. Dann probierst du es einfach. Ich hatte die Wand ja tagsüber ganz genau studiert. Und, wenn man so will, eine Übersicht im Kopf. Das Gelände bei so perfekten Bedingungen kann man im Schein einer Stirnlampe problemlos klettern.

Was, wenn du dich verstiegen hättest?

Dann hätte ich wieder zurück klettern müssen. Der Wetterbericht war nur für kurze Zeit gut. Meine Entscheidung festigte sich. Jetzt oder nie. Einen Versuch war es wert und dieser Versuch ging auf.

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Konnte man dich vom Basecamp aus sehen?

Im ABC (Advanced Base Camp) haben mir bis zum Einbruch Dunkelheit meine fünf Begleiter zugeschaut und auch im unteren Wandteil Fotos von mir gemacht. In so einer Wand kannst du dich nicht verstecken.

Kann man nachts den Schein einer Stirnlampe aus weiter Entfernung sehen?

Mit einem Teleobjektiv ja.

Könnte man nachts vom ABC aus auch Fotos machen?

Das wäre möglich.

Hat aber offensichtlich keiner gemacht?

Nein. Die Leute im ABC hatten mich vorher in einem Nebelband verloren und haben sich dann als es dunkel war, in ihre Zelte zurückgezogen.

Wieso lässt sich ein eigens mitgereister Fotograf im ABC die Chance einer Time-Lapse-Aufnahme entgehen?

Das musst du den Fotografen fragen. Der Deal war so: die Fotografen kommen mit und sind völlig frei. Sie wurden weder von mir noch irgendeinem Sponsor bezahlt. Ich konzentrierte mich einzig aufs Bergsteigen. Im ABC wusste niemand, dass ich die Kamera verloren hatte. Um einer weiteren Frage vorzugreifen: Ich habe nicht im ABC angerufen. Ganz einfach, weil ich mich abgrenzen musste. Sonst verliere ich die Nerven in der Wand.

28 Stunden alleine in schwierigem Klettergelände unterwegs zu sein, zum großen Teil nachts, das muss Stress pur sein.

Das ist es. Es fällt mir schwer, den Zustand, in dem man sich befindet, so gut zu beschreiben, dass man mich auch verstehen kann. Fakt ist: Wenn du solo in so einer Wand unterwegs bist, hast du die Situation vorher akzeptiert. Du weißt, was passiert: Wenn du einen Fehler machst, bist zu tot.

Blendet man Angst und Emotionen aus?

Alles blendest du aus. Du kannst so etwas nur machen, wenn du fähig bist, in deinem Kopf den Schalter umzulegen. Dein Fokus reduziert sich auf das Überleben. Alles andere ist - pardon - scheißegal. Es gilt nur: Bloß keinen Fehler machen! Du schaltest komplett ab. Wirklich, da ist alles weg. Du denkst nicht, weder an deine Frau, noch an deine Freunde, nicht an die Leute im ABC. 28 Stunden lang geht es immer nur um den nächsten Schritt.

Über einen Tag unter Strom. Funktioniert man in einer Art Flow wie eine Maschine?

Es ist auf alle Fälle das Schönste am Ganzen. Genau darum geht es. Dieser Zustand macht ja Erlebnisse dieser Art so schön und so intensiv! Du bist nur auf dich gestellt. Alles andere ist weg. Es ist egal, was zu Hause ist, völlig egal, wie viel Geld auf deinem Konto ist. Kann man das verstehen? Du überlegst nicht. Auch nicht, was danach ist. Es gibt es nur das Jetzt, den Moment. Schritt für Schritt. Vorsichtig und konzentriert.

Kann man nach 28 Stunden diesen Schalter einfach wieder auf "normal" drehen?

Nein. Es fällt mir dieses Mal sehr schwer, wieder an- beziehungsweise zurückzukommen. Mich fragen viele Leute: Wie war es denn ganz oben auf dem Gipfel? Ich kann dazu nicht viel sagen. Ich fühlte mich leer.

Nach einem so großen Erfolg keine Freude?

Verrückt oder? Ich weiß, ich habe ein großes Ziel geschafft, aber richtig freuen kann ich mich nicht. Schwer zu formulieren. Ich fühle mich wie auf einem anderen Planeten. Irgendwie auch alleine gelassen. Es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl. Kein berauschendes.

Zurück zur Wand. Nicht einmal für einen Bruchteil von Sekunden gedacht: Jetzt bloß kein Steigeisen verlieren?

Ich habe noch nie eines verloren. Aber es kann natürlich immer passieren. Das wäre kritisch. Aber man denkt nicht daran. Man funktioniert wie ferngesteuert. Bei jedem Schritt - auch im Abstieg - kontrollierte ich die Steigeisen. Immerzu dieser Kontrollblick. Das sind Abläufe, Automatismen. Nun kenne ich diesen Zustand ja schon, ich habe so etwas, also Solokletterei, ja nicht zum ersten Mal gemacht. Schritt, Kontrollblick, Schritt, Kontrollblick. Ich denke, es ist tatsächlich eine Art Flow-Zustand. Da ist kein Raum, um sich Gedanken zu machen.

Ich habe Bilder von dir unmittelbar nach dem Ankommen im Lager gesehen. Du siehst nicht sonderlich mitgenommen aus. Wie macht Ueli Steck das bloß?

Ich war schon fertig und hundemüde. Aber ich war auch nur 28 Stunden am Berg und eben nicht zehn Tage bei Sturm und Wetter. Ich fühlte mich ganz gut. Es war alles zu jeder Zeit kontrolliert. Die gesamte Unternehmung war anstrengend, aber zu keinem Zeitpunkt über meinem Limit.

Wie viel Gewicht hast du verloren?

Das kann ich nicht sagen, weil ich danach nicht auf der Waage stand.

Gibt es an der Annapurna so etwas wie eine Normalroute, die man für den Abstieg nehmen kann?

Es gäbe einen Normalweg auf der Nordseite, aber der erschien mir solo saugefährlich. Er führt über einen Gletscher. Das ist als Alleingänger keine Option. Es war besser, die Wand wieder retour zu klettern. Das ist zwar technisch anspruchsvoller, aber das kann ich besser kontrollieren.

Seit Christian Stangl und seiner K2 Gipfellüge, sollte man Erfolge in den Bergen tunlichst beweisen können. Kannst du, nachdem es kein Gipfelfoto gibt, noch Beweise liefern? Gibt es GPS-Daten, ein Tracking oder ähnliches?

Es gibt keinen Beweis. Ich habe die Leute, die mir zugeschaut haben. Mehr kann ich bedauerlicherweise nicht liefern. Hätte ich einen Sologang geplant, dann hätte ich ein Tracking Device mitgenommen. Aber der Entscheid kam ja wie beschrieben spontan. Ich weiß, dass ich oben war. Die Meinung anderer will und kann ich nicht beeinflussen.

So ein großer Erfolg und dann keine Bilder! Wie sehr ärgert dich das?

Natürlich ärgert mich das. Aber: Ich habe die Kamera und einen Daunenhandschuh verloren, wäre dabei beinahe aus der Wand gefallen. Ich hatte freilich eine Uhr am Arm. Aber: Ich schalte nicht das Tracking ein, sodass ich im Extremfall keine Batterie mehr hätte. Ich sagte es ja schon: Ich war aufs Überleben, auf das Funktionieren fokussiert, nicht auf Beweislieferung. Als ich die Kamera verloren hatte, dachte ich schon kurz: Verdammt, es wird, sollte ich den Gipfel erreichen, kein Foto geben. Aber nur deshalb nicht weiter zu klettern, kam für mich nicht in Frage. Am Ende mache ich es nur für mich.

Hat sich nach der Sherpa-Attacke am Everest der Erfolgsdruck für dich erhöht? Anders gefragt: Du musstest nach der Prügelei am Everest in der Schweiz viel Kritik einstecken, während dein Kollege Simone Moro zu Hause in Italien als Held gefeiert wurde. Wie bist du damit umgegangen?

Wenn mich Journalisten kritisieren, dann ist das nicht angenehm, aber mehr auch nicht. Nach den Vorfällen am Everest gab es schon einen Moment, an dem ich die Schnauze voll hatte. Aber dann dachte ich: Ueli, Bergsteigen ist doch dein Leben. Gehe an die Annapurna und halte den Ball erst mal flach. Ich habe vorab wenig bis gar nichts über diese Expedition kommuniziert. Die Lust auf Kommunikation, Medien und das Berichten überhaupt ist mir vergangen. Eigentlich will ich nur klettern, nicht ständig darüber reden.

Wieso machst du das nicht?

Das geht nicht mehr. Ich habe als Profi einen anderen Weg eingeschlagen und damit muss ich jetzt auch umgehen. Aber die Everest-Geschichte hat mich schon sehr geprägt. Der ganze Medienrummel - auch jetzt um die Annapurna ... (lange Pause) ... ich könnte gut ohne das alles leben.

Was, wenn jemand aus der Bergsteiger-Szene mangels Beweisen deinen Annapurna-Erfolg öffentlich in Frage stellt?

Es wird Zweifler geben. So wie es auch immer Neider gibt. Jeder ist frei in seinen Gedanken. Bis heute hat mich niemand direkt darauf angesprochen. Das war auch bei der Everest-Geschichte ein Thema. Wenn jemand Zweifel hat, mir nicht glaubt, dann kann man mich anrufen und ich werde mich erklären. Aber wenn man sich sein Bild, seine Meinung nur über das Internet macht, also über Behauptungen anderer, dann wird das Bild schon sehr verzerrt.

Ich kann am Ende des Tages niemandem verbieten mich anzuzweifeln. Es ist wie es ist. Nicht selten haben gerade die Zweifler selbst irgendwelche Defizite. Sollten Kollegen mir nicht glauben, was ich sage, können sie mich jederzeit anrufen. Dann trinken wir ein Bier zusammen und reden darüber.

Weitere Informationen: www.uelisteck.ch

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