Ostsee als neue Frontlinie Darum nimmt Putin Dänemark ins Visier

Drohnen attackieren Dänemark. Das ist die Folge des strategischen Kampfes um die Kontrolle im Ostseeraum. Auch ein ukrainisches Vorzeigeprojekt im Land spielt wohl eine Rolle.
Erst war es der Flughafen in Kopenhagen. Dann folgte der Airport in Aalborg auf der Halbinsel Jütland. In der Nacht zum Samstag traf es auch den größten dänischen Militärstützpunkt Karup. Dänemarks Verteidigungsminister Troel Lund Poulsen sprach von einem "hybriden Angriff".
Die Ostseeanrainer kennen solche Übergriffe. Nicht nur in Dänemark. Auch in Schweden machte man bereits Erfahrungen mit der Militärmacht Russland. Einst waren über der schwedischen Insel Gotland russische Suchoi Su-27 nicht nach Süden in Richtung der russischen Exklave Kaliningrad abgedreht, sondern hatten weiterhin Kurs auf den schwedischen Luftraum genommen. Schwedische Abfangjäger konnten nicht aufsteigen, denn die Piloten weilten daheim bei ihren Familien. Es waren Osterfeiertage.
- Neuer Zwischenfall: Drohnen über Dänemarks größter Militärbasis
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Als Osterangriff ging der Vorfall in die schwedische Geschichte ein. Das Ganze ereignete sich schon 2013. Aber der Experte Oliver Moody sieht darin einen frühen Beleg für Russlands verändertes strategisches Interesse im Ostseeraum. In seinem neuen Buch "Konfliktzone Ostsee" hält Moody grundsätzlich fest: Es gehe "um etwas deutlich Größeres: einen generationenübergreifenden Wettstreit zwischen dem Westen auf jeder denkbaren Ebene (…) angefangen bei Energie und Wirtschaft bis hin zu Parlamenten und sozialen Netzwerken. Dieser Wettstreit hat zwei Dreh- und Angelpunkte: Einer ist die Ukraine. Der andere ist der Ostseeraum."
Die veränderte strategische Lage
Spätestens mit dem Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato ist im Ostseeraum alles anders. Finnlands "neutrale Fassade ist abgeblättert", so Russlands Außenminister Sergei Lawrow.
Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hält in ihrer Studie "Geopolitik im Ostseeraum" fest: "Die geostrategische Realität hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Aus russischer Sicht ist dieser Raum Teil von Putins Europastrategie, in der Moskau einen Wirtschafts- und Sicherheitsraum vom Atlantik bis zum Pazifik errichten und eine zentrale und kontrollierende Position einnehmen will."
Um die neue Lage zu verstehen, nützt ein kurzer Blick zurück auf die Welt vor 1989. Zu Zeiten des Kalten Krieges gehörten rund um die Ostsee die baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen zur Sowjetunion, Polen und die DDR zum Warschauer Pakt, und Schweden sowie Finnland waren neutral. Die Ostsee wurde durch den Warschauer Pakt als "Meer des Friedens" beschrieben, erinnert die SWP in ihrer Studie.
In der Analyse der Militärs des Kalten Krieges verlief die Front entlang der beiden deutschen Staaten. Jetzt wandert der Fokus im Fall eines militärischen Konflikts nach Norden. "Die Ostsee, die neue Frontlinie der Nato", notierte die französische Zeitung "Le Monde" beim Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato.
Die Bedeutung von Dänemark und Schweden
Dänemark ist ein wichtiger Partner der Nato und, pro Kopf betrachtet, einer der stärksten Unterstützer der Ukraine. Auf der strategisch wichtigen dänischen Ostseeinsel Bornholm sind seit Frühjahr 2025 auch wieder eigene Soldaten stationiert.
Für Schweden galt schon im 16. Jahrhundert die Devise: "Entweder wir schützen das Land durch eine starke Flotte oder durch die gegenüberliegende Ostseeküste." Mit Estland, Litauen, Lettland und Polen wird dieses Ziel erreicht. Zudem liegt die schwedische Ostseeinsel Gotland nur knapp dreihundert Kilometer vor der russischen Konklave Kaliningrad.
Im Spiel um die Vorherrschaft gewinnt die Nato die strategische Kontrolle zum Zugang der für Russlands Staatschef Wladimir Putin wichtigen Häfen Sankt Petersburg und Kaliningrad. Zu Zeiten des Kalten Krieges "war die sowjetische Flotte darauf ausgelegt, die Ostsee zu kontrollieren, während ihr Zweck heute darin besteht, zu verhindern, dass andere die Kontrolle übernehmen", zitiert die Zeitung "Le Monde" den dänischen Militär Esben Salling Larsen.
Es ist in der Ostsee wie in der Ukraine: Putin hat die strategische Kontrolle in der Region verloren.
Der Zeitpunkt der Eskalation
Erst tauchten russische Drohnen über Polen auf, eine Woche später über Dänemark. Zwischendrin kreuzten russische Kampfjets den Luftraum des Nato- und EU-Mitglieds Estland.
Die Nato gibt sich entschieden. Der neue Oberbefehlshaber der Allianz, der US-Befehlshaber Alexus G. Grynkewich, stellt in einem Interview mit der Zeitung "Le Monde" grundsätzlich klar: "Im Falle einer nachgewiesenen Bedrohung sind wir bereit, alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz unserer Bevölkerung zu ergreifen."
Die estnische Expertin Kristi Raik vom International Centre for Defence and Security (ICDS) in Tallinn urteilt differenzierter. Der Zeitung "NRC Handelsblad" sagt sie mit Blick auf die niedrige Abfangquote (maximal 4 der 19 russischen Drohnen über Polen wurden ausgeschaltet): "Bei den russischen Drohnen-Angriffen in Polen scheint die Nato keine passende Antwort gefunden zu haben." Mit Blick auf die Luftraumverletzung in ihrem Heimatland Estland erklärt die Expertin: "Hier weiß die Nato, was sie tun muss."
Und warum die Provokationen in Dänemark? Das Land hat derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten inne. Am Mittwoch werden sich dort die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Gipfel versammeln, tags darauf mit den Vertretern der EU-Anrainerstaaten beraten.
Und noch etwas zählt: Zu den Zielen der Drohnen-Attacken gehörte auch der dänische Luftwaffenstützpunkt Skydstrup. Ganz in der Nähe will die Ukraine demnächst ihre erste eigene Waffenfabrik im Westen eröffnen. Es geht um Treibstoff für die neue ukrainische Drohne "Flamingo".
"Die Russen wollen überraschen", so Kristi Raik. Sie sagt über die zunehmenden russischen Provokationen: "Ich denke, es gibt zwei Motive. Der Krieg in der Ukraine verläuft nicht im Sinne Russlands; er steckt sowohl militärisch als auch diplomatisch fest. Deshalb versuchen sie, den Druck auf die Verbündeten der Ukraine zu erhöhen, indem sie in Europa Angst säen. Auf diese Weise versuchen sie, die Unterstützung für die Ukraine zu brechen."
- swp-berlin.org: Geopolitics in the Baltic Sea Region (Englisch)
- lemonde.fr: La mer Baltique, nouveau front de l’OTAN (Französisch, Bezahlschranke)
- lemonde.fr: Alexus Grynkewich, chef des armées de l’OTAN en Europe :“En cas de menace avérée, nous sommes prêts à défendre nos populations“ (Französisch, Bezahlschranke)
- nrc.nl: "Russen willen verrassen" (Niederländisch, Bezahlschranke)








