Kurswechsel in Kopenhagen Dänemark schaut plötzlich anders auf Berlin

In Kopenhagen beraten diese Woche die europäischen Staats- und Regierungschefs. Russlands Krieg in der Ukraine verändert den Blick Dänemarks auf die EU und Deutschland.
"Dänen lügen nicht." So sang der deutsche Komiker Otto Waalkes in seiner ganz schön lustigen Verdrehung des Schlagerhits "Tränen lügen nicht".
Ob das immer der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Wahr ist es aber auf jeden Fall, dass wir Dänen es mit Europa und vor allem mit unserem großen Nachbarn, Deutschland, sehr ernst nehmen: Die Dänen schauen auf Deutschland mit Wohlwollen und Hoffnung wie nie zuvor. Gerade in diesen Zeiten. Denn Deutschland ist und bleibt ein zentrales Land in der EU – und ein stabiles Zentrum in Europa, wo sich die Dänen gerne anlehnen und große Übereinstimmungen spüren.
Das haben wir bei den gegenseitigen Besuchen unserer Staatschefs und einer Reihe von deutschen und dänischen Ministerinnen und Ministern in den vergangenen Jahren und Monaten in Berlin und Kopenhagen erlebt. Und wir werden es am Mittwoch in Kopenhagen erleben, wenn die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder bei einem informellen Treffen zu Besuch sind. Hier werden die europäischen Partner warm empfangen. Denn – wie unsere Premierministerin Mette Frederiksen es formuliert hat: Für die Dänen heißt es nicht mehr "da unten in der EU". Wir sind ein fester Teil von Europa, und Europa ist ein fester Teil von uns. Wir schauen deshalb auch auf Deutschland wie nie zuvor.
Der neue Blick nach Süden
Seit Dänemark 1973 zusammen mit Großbritannien und Irland in die EU – damals noch Europäische Gemeinschaft (EG) – aufgenommen wurde, pflegten die Dänen jahrzehntelang eine eher pragmatische Beziehung zur Europäischen Union: mit dem Binnenmarkt und der Reisefreiheit als zwei der wichtigsten Argumente für Europa.
In dieser Zeit hat das Land zentrale Opt-outs – sprich: Sonderregelungen für Dänemark – in den Bereichen Verteidigung, Justiz und monetäre Zusammenarbeit ausgehandelt. Aber auch in Dänemark hat sich in den vergangenen Jahren vieles bewegt. Dies gilt auch für die dänischen Beziehungen zu Europa und zum Teil auch zu Deutschland. Viele alte Vorbehalte verblassen, und eine neue Vertrautheit entsteht. Im Bereich Verteidigung ist eine alte Ausnahmeregelung sogar mit großer Mehrheit per Volksentscheid aufgehoben worden.

Zur Person
Thomas Østrup Møller, 58, ist seit 2024 Botschafter des Königreichs Dänemark in Deutschland. Zuvor war der dänische Diplomat unter anderem dänischer Botschafter in China und in Polen.
Er hat Wirtschaft studiert und ist mit nur wenigen Jahren Unterbrechung seit 1992 im Dienst des dänischen Außenministeriums.
An Berlin schätzt er das bunte Kulturleben und die tollen Möglichkeiten, im Grünen zu joggen und Fahrrad zu fahren. Den Handball der Berliner Füchse schaut er sich gern an: Im Team sind ja immerhin zwei der besten Handballer der Welt – nicht zufällig sind beide Dänen: Lasse Andersson und Mathias Gidsel.
Als größter Handelspartner und als solider Nachbar mit einer circa 15-mal größeren Bevölkerung war Deutschland natürlich immer ein wichtiges Land für Dänemark. In den vergangenen Jahren fühlten sich viele Dänen aber noch enger mit Deutschland verbunden.
Die Dänen haben nach 2016 erlebt, wie schwierig der Brexit-Prozess sich für die Briten gestaltet hat – parallel ist die dänische Unterstützung für das europäische Projekt entsprechend gestiegen. Sie haben den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit Bestürzung verfolgt und gehören jetzt, pro Kopf gerechnet, zu den stärksten Unterstützern der Ukraine. Und die Dänen haben erlebt, wie die Geopolitik zurückgekehrt ist und die transatlantischen Beziehungen schwieriger geworden sind – und sie schauen deshalb immer mehr nach Deutschland und Europa.
Neue Akzente – auch in der Sicherheitspolitik
Dass Dänemark in diesem Halbjahr den EU-Ratsvorsitz innehat, bedeutet vor allem, dass Dänemark die Rolle des "honest broker" einnimmt: die Rolle des "ehrlichen Vermittlers" zwischen den 27 Mitgliedstaaten. Das ist an sich eine sehr große Aufgabe für ein kleines Land.
Aber natürlich möchten wir auch Akzente setzen, die Europa voranbringen. Vor allem in der Wirtschaft, bei der Energiewende, bei der Verteidigung – und bei der Erhaltung unserer demokratischen Werte.
Erstens müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Wachstumsbedingungen in den EU-Ländern fördern. Das fordert eine schlankere Bürokratie, etwa durch Digitalisierung, aber auch eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EU. Angesichts der unvorhersehbaren Lage des Welthandels müssen wir das EU-Netzwerk von Handelsabkommen und Partnerschaften ausbauen. Hier ist das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur mit dänischem Blick ein wichtiger und richtiger Schritt.
Zweitens müssen wir die Energiewende voranbringen. Zugegeben: eine sehr große Aufgabe. Sie hat aber gleichzeitig das Potenzial, viele Probleme zu lösen. In Dänemark profitieren wir stark davon, früh auf nachhaltige Entscheidungen in der Energieproduktion, in der Wärmeversorgung und im Bereich der Energieeffizienz gesetzt zu haben.
Viele dänische Lösungen reichen bereits zurück in die 1970er-Jahre. Wir sind etwa schon jetzt einer klimaneutralen Wärmeversorgung sehr nahe und können Erdgas in der Wärmeversorgung bald auslaufen lassen. Ein weiteres Beispiel ist unser strategischer Fokus auf den Ausbau der Windenergie. Hier hat Dänemark – auch gemeinsam mit Deutschland – eine Vorreiterrolle eingenommen.
Damit haben wir mit unseren heimischen erneuerbaren Energien einerseits eine wichtige strategische Unabhängigkeit im Energiebereich erhalten. Und anderseits profitieren wir heute sehr von der Energiewende in Form von Exporten und vielen gut bezahlten Arbeitsplätzen. In Dänemark sagen wir deshalb nicht Energiewende oder Wettbewerbsfähigkeit, sondern Energiewende ist Wettbewerbsfähigkeit.
Gemeinsam stark
Drittens müssen wir Europäer dringend und gemeinsam unsere Verteidigungsfähigkeiten ausbauen. Dass eine stärkere europäische Verteidigung nötig ist, haben wir leider in den letzten Jahren deutlich erfahren – von dem russischen Angriff auf die Ukraine bis hin zu den jüngsten Verletzungen des Luftraums europäischer Nato-Länder und den hybriden Drohungen durch Drohnen in Dänemark und Skandinavien.
In dieser neuen Sicherheitslage müssen die Europäer nicht nur ihre jeweilige Verteidigung verbessern, sondern vor allem auf eine vertiefte Zusammenarbeit in der Verteidigung hinarbeiten, damit Europa schon 2030 auf eigenen Beinen stehen kann. Den Willen zu einer solchen Zusammenarbeit erleben wir schon bei dieser informellen Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU, wo die deutsche Bundeswehr Dänemark mit einem Beitrag im Bereich der Drohnenabwehr unterstützt. Das schätzen wir Dänen sehr.
All das kann ein kleines Land wie Dänemark natürlich nicht allein voranbringen. Mit der dänischen EU-Ratspräsidentschaft hoffen wir aber, dass wir Europa ein bisschen in diese Richtung mitbewegen können. Wir sehen hier Deutschland als einen der wichtigsten Mitspieler überhaupt. Und wir wissen, dass viele Deutsche auch in Dänemark einen guten europäischen Partner sehen. Vielleicht in einigen Bereichen wie Digitalisierung oder Sicherheit sogar einen etwas optimistischeren und progressiveren Partner, weil die Dänen nun mal dazu neigen, eher das Glas als halb voll als halb leer zu sehen.
All das werden auch die europäischen Staats- und Regierungschefs am Mittwoch in Kopenhagen erfahren. Denn es bleibt ganz sicher: Wenn es um unseren Blick auf die europäische Zusammenarbeit und die große Bedeutung Deutschlands geht, hatte Otto Waalkes völlig recht: Dänen lügen nicht.
Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.
- Gastbeitrag des Botschafters








