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Nach Brexit: Großbritannien und die EU – die Party von Boris Johnson ist vorbei


Die Party ist vorbei

Eine Analyse von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 04.02.2020Lesedauer: 6 Min.
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Boris Johnson: Der britische Premierminister Boris Johnson drängt auf ein Freihandelsabkommen mit der EU.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson: Der britische Premierminister Boris Johnson drängt auf ein Freihandelsabkommen mit der EU. (Quelle: imago-images-bilder)

Großbritannien ist nicht mehr in der EU und Premier Boris Johnson sieht sein Land als "Superchampion des Freihandels". Doch die angebliche Stärke der Briten ist Fassade – in Wahrheit stehen sie extrem unter Druck.

Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn ein Staats- oder Regierungschef an die Größe und den Ruhm seines Landes in der Vergangenheit erinnert: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erzählt gern vom ruhmreichen Osmanischen Reich, sein russischer Amtskollege Wladimir Putin erinnert an die große Stärke der Sowjetunion. Die Rückbesinnung auf vergangene Stärke dient dazu, von den Problemen der Gegenwart abzulenken. Den Ruhm der Vergangenheit zu beschwören, ist das Narkosemittel für eine zunehmend unzufriedene Bevölkerung.

Auch Boris Johnson erzählt in diesen Tage oft vom "Commonwealth", der britische Premierminister sieht nun die Zeit gekommen, um an vergangene britische Größe anzuknüpfen. Der Brexit ist vollzogen, Großbritannien ist seit dem 1. Februar 2020 nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Nachdem in Großbritannien die Brexiteers über die Straßen tanzten und Sektkorken knallen ließen, geht es für Briten und EU nun zurück an den Verhandlungstisch, um die künftigen Beziehungen zueinander zu klären.

Doch die Verhandlungen werden nicht einfach, die Zeit bis zum Ende der Übergangsphase am 1. Januar 2021 ist knapp. Um seine Position am Verhandlungstisch zu stärken, lässt Johnson die Muskeln spielen, betont die vergangene und künftige Größte seines Landes. Aber die demonstrative Stärke der Briten ist zum Teil nur Fassade. Die Brexit-Party ist nun vorerst vorbei.

Eine schillernde Zukunft?

"Wir kehren nach Jahrzehnten des Winterschlafs als Vorkämpfer des weltweiten Freihandels zurück." Mit diesen Worten tritt der Premierminister an diesem Montagmittag in London vor die Presse. Mit den Jahren des Winterschlafs meint Johnson die Jahre seines Landes in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und in der EU. Der Ort der Pressekonferenz ist mit Bedacht gewählt, Johnson spricht in der prachtvollen barocken Painted Hall im Royal Naval College im Londoner Stadtteil Greenwich.

Deshalb hält der Premier zu Beginn seiner Rede erst einmal inne, beschreibt die beeindruckende Deckenbemalung des Gebäudes. Die Nachricht ist klar: die Fesseln der EU für Großbritannien sind nun weg, die Zukunft der Briten ist schillernd.

Nach dem Brexit hat sich für die Briten bislang nur wenig geändert, weil innerhalb einer Übergangsfrist alle EU-Regeln im Vereinigten Königreich weiter gelten. Erst am 31. Dezember ist es damit vorbei. Bis dahin müssen die wichtigsten Fragen vertraglich geregelt sein, sonst kommt es doch noch zu einem harten Bruch.

Auch Boris Johnson weiß, dass bis dahin noch viel zu tun ist. Deswegen spart der Premier nicht mit Pathos und Superlativen. "Wir wollen ein Super-Champion des Freihandels sein und wir werden zu alter Größe zurückfinden", erklärt er. "Großbritannien ist bereit für das multidimensionale Schachspiel des Freihandels."

Große Herausforderungen

Den Freihandel erwähnt Johnson wieder und wieder. Es ist die Rolle, die Brexit-Befürworter in Großbritannien für das Land angedacht haben. Die Insel solle führend im Welthandel werden, ganz unabhängig von EU-Regularien. "Ich möchte unseren Einfluss nicht über-, aber auch nicht untertreiben", gibt sich der Premierminister in London selbstbewusst.

Dabei verdeckt Johnsons Kampfeslust, dass Großbritannien vor großen Herausforderungen steht, wenn die Briten den EU-Binnenmarkt erst einmal verlassen haben. Das Land muss bis dahin Handelsabkommen mit vielen internationalen Partnern abschließen, eben nicht nur mit der EU. Dafür ist die Zeit knapp.

In diesen Verhandlungen vertritt die britische Regierung einen Markt mit 66 Millionen Einwohnern, die EU hat auch ohne die Briten über 450 Millionen Einwohner. Und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Insel betrug im Jahr 2018 2.390 Milliarden Euro – im Vergleich dazu war das der USA (20.500 Milliarden Euro) und das der EU (knapp 13.500 Milliarden Euro) ungleich höher.

Es ist klar, dass Großbritannien abhängiger von einer Einigung ist als umgekehrt, die britische Regierung sitzt mit einem schlechteren Blatt am Verhandlungstisch als ihre Partner, aber das ist man auf der Insel nach dreieinhalb Jahren Brexit-Drama schon gewöhnt. Trotzdem sieht Johnson sein Land weiterhin als Partner auf Augenhöhe, eine Strategie, die nun kaum mehr funktionieren wird: denn bei den Freihandelsabkommen geht es lediglich ums Geschäft. Und die EU möchte weiterhin ein Exempel statuieren, um für die Zukunft mögliche weitere austrittswillige Länder abzuschrecken.

Johnsons Kritik an Trump

Der britische Premier präsentiert sich am Montag als Vorkämpfer des Freihandels. "Immer wenn Waren frei über die Grenze kommen, werden keine Soldaten diese Grenzen passieren und es gibt keinen Krieg", meint Johnson. Dabei verteilt er auch eine Spitze gegen seinen Freund US-Präsident Donald Trump und spricht sich gegen Protektionismus aus. "In der Weltpolitik werden Zölle als Spielzeug benutzt und Probleme, wie der Coronavirus werden dazu genutzt, um Panik zu machen und die Märkte weiter zu teilen", sagt er.

Trump vertritt eben diese Form der protektionistischen Weltpolitik, der britische Premierminister möchte nun als Vermittler zwischen EU und USA auftreten, kann nach dem Brexit nun beide Seiten gleichsam kritisieren. So fordert er zwar ein Ende der US-Strafzölle gegen Whiskey, ruft die "Anti-Amerikaner" in Großbritannien aber auch dazu auf, "endlich erwachsen zu werden." Die britische Regierung sieht die EU und die USA gleichsam als wichtige Partner, um neue Handelsdeals abzuschließen.

Differenzen mit der EU

Doch speziell die Kluft in den Verhandlungen zwischen der EU und den Briten scheint größer zu werden. Johnson droht auf seiner Pressekonferenz sogar mit einem harten Bruch nach der Brexit-Übergangsphase. Er wolle zwar einen umfassenden Freihandelsvertrag schließen, aber Großbritannien werde sich bei den anstehenden Gesprächen mit Brüssel aber auf keinen Fall vertraglich auf die Einhaltung von EU-Standards bei Umweltschutz, Arbeitnehmerrechten und staatlichen Beihilfen festlegen lassen.

"Wir möchten nicht wie Norwegen werden, die sich dem EU-Recht und den EU-Regeln für den Markt unterwerfen", erklärt Johnson. Das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada sei das Vorbild.

Es gebe für Großbritannien genauso wenig Grund, wegen eines Freihandelsabkommens die Regeln der EU in Kauf zu nehmen wie andersherum, sagte Johnson. "Wir werden die höchsten Standards in diesen Bereichen beibehalten, besser in vielerlei Hinsicht als die der EU – ohne den Zwang eines Vertrags, und es ist elementar, das jetzt zu betonen."

"Werden Kinder nicht in Schornsteine schicken"

Und genau hier liegt das Problem: Die EU fordert von Großbritannien die Einhaltung von EU-Standards, wenn britische Waren auf den EU-Markt gelangen sollen. In Brüssel befürchtet man, dass die Briten nach ihrem Austritt Steuer-Dumping betreiben, Rechte von Arbeitnehmern beschneiden und Umweltstandards missachten. Brüssel spricht von einem "Konkurrenten vor der Haustür".

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Diese Vorwürfe wiegelt Johnson als Gerüchte ab und sieht sein Land in Sozial- und Umweltfragen über den EU-Standards. "Es liegt nicht an Brüssel, dass wir Kinder nicht mehr in Schornsteine schicken", kommentiert Johnson suffisant die Befürchtungen der EU.

Es wird die nächsten Monate entscheidend für die Verhandlungen sein, ob man diese Standards in vertragliche Vereinbarungen verwandeln kann und dass London darin nicht einen Eingriff in die britische Souveränität begreift.

Die Notwendigkeit einer Einigung spielt Johnson herunter: "Wir haben auch keine Notwendigkeit uns an die EU zu binden", meint der Premier. Absichtlich vergisst er dabei, dass die EU für sein Land der wichtigste Handelspartner ist. Hier ist die britische Stärke nur Schauspiel und Fassade. Scheitert ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU und gibt es eine Zollgrenze, schadet das vor allem der britischen Wirtschaft massiv und daran werden auch die ehemaligen Commonwealth-Staaten nichts ändern, die Johnson als mögliche Alternativen für diesen Freihandel anführt.

Zentrale Streitpunkte werden also die vertraglichen Verpflichtungen der Briten beim Freihandel sowie die Rechte von EU-Fischern in britischen Gewässern sein.

Drama mit verhärteten Fronten

Genau die beiden genannten Punkte erwähnen Johnson und die EU am Montag unabhängig voneinander auf Pressekonferenzen. "Mit mit dem Brexit geht auch das Ende der Freizügigkeit für die Briten einher", unterstreicht EU-Chefunterhändler Michel Barnier in Brüssel, kurz nach Johnsons Pressekonferenz. Der Zugang für britische Waren und Dienstleistungen zum EU-Binnenmarkt werde davon abhängen, wie eng sich Großbritannien künftig an EU-Regeln und Standards halte.

Der Streit um das Handelsabkommen ist also die Bühne für die nächsten großen Streitigkeiten im Brexit-Drama.

Großbritannien habe sich bereits in der im Herbst vereinbarten Politischen Erklärung zu fairen Wettbewerbsbedingungen bekannt, betont Barnier. Die Forderungen der EU seien also für niemanden eine Überraschung. Auch das beste Freihandelsabkommen sei nicht mit den bisherigen Wirtschaftsbeziehungen im gemeinsamen Markt vergleichbar. Es gebe kein "Business as usual". Warenkontrollen seien angesichts unterschiedlicher Regeln unvermeidlich. Großbritannien habe diesen Weg gewählt.

Es ist wie so oft in den letzten Jahren, seitdem die Briten dafür gestimmt haben, die Europäische Union zu verlassen: Die Fronten zwischen der EU und Großbritannien sind verhärtet und festgefahren. Am Ende konnte man sich am Verhandlungstisch bislang immer einigen, aber davor standen bislang immer Monate der gegenseitigen Drohungen und des Stillstands. Großbritannien hat die EU nun verlassen, doch der Streit zwischen der Insel und dem europäischen Gemeinschaft ist noch lange nicht beigelegt.

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