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Boris Pistorius plant Waffendeals mit Indien – Putin öffnet Deutschland Tür


Pistorius in Indien
Putin öffnet Deutschland die Tür

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 08.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Boris Pistorius in Indien: Der Verteidigungsminister sprach mit Vertretern der Atommacht über die zukünftige militärpolitische Zusammenarbeit. (Quelle: Britta Pedersen/dpa)

Verteidigungsminister Pistorius möchte Waffendeals mit Indien abschließen. Damit wollen Deutschland und die USA eine Schwäche von Wladimir Putin ausnutzen. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen.

Yoga kann Brücken bauen, besonders in Indien. Die indische Regierung sieht die traditionellen Geistes- und Körperübungen als wertvollen Kulturexport. In der Vergangenheit eröffnete Premierminister Narendra Modi den Welt-Yoga-Tag am 21. Juni stets mit einer Massenmeditation – eine große Propaganda-Show, die live in die Welt gestreamt wurde. Deswegen erzählte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei seinen Besuchen in Neu-Delhi und Mumbai am Dienstag und Mittwoch von seiner persönlichen Yoga-Leidenschaft. Sein indischer Amtskollege Rajnath Singh nannte das am Dienstagabend auf Twitter "lobenswert".

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Das Yoga-Bekenntnis des deutschen Verteidigungsministers ist Teil einer großen Charmeoffensive. Deutschland will seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China perspektivisch lösen und setzt dabei auch auf Indien. Dafür soll die indische Regierung auch deutsche Waffen bekommen, und Pistorius will die Verkäufe in Zukunft einfacher gestalten.

Das ist nicht ohne Risiko, denn die Modi-Regierung wird immer autokratischer. Aber für den Westen ist die Chance, das bald bevölkerungsreichste Land der Erde auf seine Seite zu ziehen, zu verlockend: In Indien geht es auch für Pistorius darum, Kremlchef Wladimir Putin einen Waffenkäufer zu nehmen und gleichzeitig China im Indopazifik zu schwächen – ein Machtspiel mit hohem Einsatz.

Deutsche Waffen für Indien

In erster Linie geht es ums Geschäft. Indien zähle in der Indopazifik-Region zu den wichtigsten strategischen Partnern für Deutschland und Europa, sagte Pistorius am Dienstag in Neu-Delhi. "Demzufolge müssen wir ihn auch so behandeln", und zwar "mit Taten", fügte er hinzu.

Pistorius schweben folgende "Taten" vor: Der Verteidigungsminister kündigte gemeinsame Manöver mit der indischen Marine an, deutsche U-Boote sollen an Indien verkauft werden, und er warb dafür, die Beziehungen zu Indien "dem anzugleichen, wie auch Japan und Australien behandelt werden". Für Japan und Australien gelten bei Rüstungsgeschäften vereinfachte Regeln, da sie nicht zur Gruppe sogenannter Drittstaaten gehören, sondern Nato-Partnern gleichgestellt sind. Sie können bei deutschen Rüstungsunternehmen ohne aufwendiges Genehmigungsverfahren kaufen, die Bundesregierung kann aber weiter Einspruch erheben.

Das wäre ein risikoreicher Schritt, denn es ist unklar, in welche Richtung Indien politisch steuert. Der indische Premierminister Narendra Modi hält wenig von Pressefreiheit, und sein Hindu-Nationalismus richtet sich gegen die ethnische Vielfalt im Land. Journalisten sitzen im Gefängnis, die Regierung wird autokratischer. Im Demokratie-Index der Universität Würzburg von 2021 ist Indien auf Platz 84 – hinter Ländern wie Kolumbien, Indonesien oder Niger.

Neben Pistorius waren in den vergangenen Monaten auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sogar mehrfach in Indien. Immer wieder betonen deutsche Regierungsvertreter die wichtige Rolle Indiens als "größte Demokratie der Welt".

Eine effektive Pendeldiplomatie

Doch dahinter steckt vielmehr eine Diversifizierungsstrategie der deutschen Wirtschaft, bestätigen EU-Diplomaten t-online. Zwar betont die Bundesregierung immer wieder, dass sie gegen eine Entkoppelung der deutschen Wirtschaft von China ist. Dennoch muss sich vor allem Deutschland wirtschaftlich breiter aufstellen, um durch seine Abhängigkeit von China nicht in eine ähnliche Situation zu geraten wie bei der Rohstoffabhängigkeit gegenüber Russland. Deswegen schauen deutsche Unternehmen auch auf Indien.

Die indische Regierung dagegen gefällt sich in der Situation, international umgarnt zu werden. Der Ukraine-Krieg ist weit entfernt für einen Großteil der indischen Bevölkerung. Deshalb betreibt Staatschef Modi eine Pendeldiplomatie und sammelt im Interesse seines Landes auf beiden Seiten Zugeständnisse, Rohstoffe und Waffentechnologien ein.

Russland möchte Indien in seiner Einflusssphäre halten, garantiert der indischen Regierung billiges Öl und erwägt sogar, russische Kampfjets in Indien herstellen zu lassen. Das verkündete der russische Außenminister Sergej Lawrow im November 2022 in Moskau. Ein Auslagern der Produktion und die Weitergabe von Fachwissen sind dabei schon ein Verzweiflungsakt der russischen Regierung, denn dadurch macht Moskau die indische Waffenproduktion unabhängiger.

Indien: Umgeben von Feinden

Der wichtigste Waffenlieferant für das indische Militär ist Russland, und deswegen ist das Land auch noch immer vom Kreml abhängig. Doch Moskau kann nach dem Beginn von Putins Krieg in der Ukraine seine Lieferzusagen teilweise nicht mehr erfüllen. Indien bekam zugesagte Waffensysteme nicht geliefert, weil die russische Armee diese an der Front in der Ukraine braucht. Putin hat damit die Tür für den Westen geöffnet.

Es sind vor allem die USA und Deutschland, die diese Chance nun ergreifen wollen. Auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin besuchte am Montag Indien, und die indische Regierung erklärte, dass beide Länder künftig im Verteidigungsbereich gemeinsam neue Technologien entwickeln und bestehende Systeme produzieren wollen. Indien bewegt sich in Richtung Nato, aber das ist für den Westen nicht umsonst.

Die indische Regierung zeigt momentan kein Interesse daran, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu verurteilen. Wie EU-Diplomaten berichten, erklärt Indien in Gesprächen immer wieder, dass es in einer komplizierten Situation sei. Damit meint es vor allem seine Nachbarschaft: Zwischen indischen und chinesischen Soldaten kommt es immer wieder zu Grenzscharmützeln im Himalaja, das Misstrauen zwischen den beiden Großmächten wächst. In der Vergangenheit haben indische Führungen Russland als Schutzmacht gegenüber China gesehen, aber der strategische Schulterschluss zwischen Xi und Putin bringt Neu-Delhi in ein Dilemma.

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Hinzu kommt die Feindschaft mit Pakistan, weswegen Indien zu einer Atommacht wurde. Der indische Erzrivale und ein weiterer Nachbar, Bangladesch, erhalten im großen Umfang Waffen aus China. Die Volksrepublik kontrolliert außerdem einen Mega-Hafen in Sri Lanka. Indien fühlt sich demnach zunehmend von China umzingelt, der Druck auf die indische Führung wächst.

Strategie gegen China

Es ist die komplizierte geopolitische Lage und vor allem die Rivalität mit China, weswegen Indien sein Militär aufrüstet. Die indische Armee verfügt über 1,45 Millionen aktive Soldaten. Laut dem Index der US-Seite "Global Fire Power" unterhält Neu-Delhi das viertstärkste Militär der Welt nach den USA, Russland und China. Im November nahm Indien seinen ersten Flugzeugträger in Betrieb, die Militärausgaben im Jahr 2021 betrugen 77 Milliarden US-Dollar. Für den Westen fast noch wichtiger: Indien ist dabei der größte Waffenimporteur weltweit, und davon profitiert momentan vor allem Putin. Das soll sich aus westlicher Perspektive ändern.

Es ist demnach kein Zufall, dass Pistorius in Indien einen besonders wichtigen Partner sieht. Die Nato blickt schon seit Jahren auf den Indopazifik und das Chinesische Meer, und vor allem den USA geht es darum, China in der Region zu isolieren und ein Gegengewicht aufzubauen. Die Verbündeten für diesen Plan sind vor allem Indien, Japan und Australien.

Somit stehen die Beziehungen zu Indien im Schatten des Konflikts der Supermächte – USA gegen China. Exemplarisch dafür war der Streit auf der Sicherheitskonferenz Shangri-La-Dialog in Singapur: Erst nannte der chinesische Verteidigungsminister Li Shangfu die USA indirekt "Wölfe und Schakale". Pistorius stritt dagegen mit China um Bundeswehrsoldaten, die in der Volksrepublik chinesische Kampfpiloten ausbilden.

In Singapur wurde erneut klar, dass der Konflikt – insbesondere um Taiwan – zwischen der Nato und China sich zuspitzt. Daraufhin reisten US-Verteidigungsminister Austin und Pistorius nacheinander nach Indien, und sie hatten Waffendeals im Gepäck. Die Yoga-Offensive des deutschen Ministers hat vor allem einen geopolitischen Hintergrund.

Verwendete Quellen
  • asia.nikkei.com: "Russia 'buying back' arms parts exported to Myanmar and India" (engl.)
  • nzz.ch: "Indiens Weg aus der Abhängigkeit von russischen Waffen ist lang – und führt Richtung Westen"
  • faz.net: "Indien fürchtet Ausfall russischer Materiallieferungen"
  • spiegel.de: "Indien 'zutiefst besorgt' über russische Montagsoffensive"
  • n-tv.de: "Russland erwägt Waffenproduktion mit Indien"
  • tagesschau.de: "Pistorius fordert von Peking Stopp des Trainings"
  • ndr.de: "Boris Pistorius beim Shangri La Sicherheitsdialog in Singapur"
  • demokratiematrix.de: "Ranking der Länder anhand der Demokratiequalität"
  • wiwo.de: "USA und Indien vereinbaren Rüstungskooperation"
  • zdf.de: "Militäreinsatz gegen Taiwan: USA warnen China"
  • foreignpolicy.com: "Xi Jinping Says He Is Preparing China for War" (engl.)
  • globalfirepower.com: "2023 Military Strength Ranking" (engl.)
  • tagesschau.de: "China verteidigt höhere Militärausgaben"
  • de.statista.com: "Wichtigste Empfängerländer von Exporten konventioneller Waffen aus China"
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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