Krieg im Gazastreifen Deutschland will helfen – doch die Lage eskaliert

Die Bundesregierung spricht von Wiederaufbau – doch vor Ort eskaliert die Lage weiter: Israel weitet die Angriffe aus und Zivilisten sterben auf der Suche nach Hilfe.
Deutschland hat Unterstützung für den Wiederaufbau des Gazastreifens zugesagt. Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan erklärte während eines Besuchs in Ägypten, Deutschland werde nach einem Kriegsende einen Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. "Deutschland wird einen Beitrag zum Wiederaufbau von Gaza leisten", sagte die SPD-Politikerin. Die Hilfe solle unter anderem der Wasser- und Energieversorgung sowie dem Bau von Unterkünften zugutekommen. Voraussetzung sei jedoch eine sichere humanitäre Lage und ein dauerhafter Waffenstillstand.
Tatsächlich sind derzeit weder Waffenruhe noch Wiederaufbau in Sicht. Im Gegenteil: Die Lage im Gazastreifen hat sich zuletzt weiter zugespitzt. Die israelische Armee weitet ihre Angriffe im Zentrum und Norden des Gebiets aus.
Neue Kampfzonen, neue Räumungsbefehle
Nach Angaben der israelischen Armee wurden weite Teile der Stadt Gaza sowie das nördliche Grenzgebiet zu Israel zur Kampfzone erklärt. Betroffen seien unter anderem die Stadtteile Altstadt, Dschabalija und Al-Saitun sowie die Orte Beit Lahia und Beit Hanun. Die Streitkräfte würden dort "mit extremer Gewalt" vorgehen, teilte das Militär mit. Palästinenserinnen und Palästinenser wurden erneut zur Flucht aufgerufen. Die meisten von ihnen waren seit Beginn des Krieges bereits mindestens einmal vertrieben worden.
Auch im Zentrum des Gazastreifens bereitet sich das Militär auf neue Einsätze vor. In der Stadt Deir al-Balah rief Armeesprecher Avichay Adraee die Bevölkerung zur Flucht in die Küstenregion Al-Mawasi auf. Diese war zuvor von Israel zur "humanitären Zone" erklärt worden. Beobachter werten die neuen Operationen auch als möglichen Versuch, die Hamas zu Zugeständnissen in den laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe zu bewegen.
Dutzende Tote bei Hilfsgüter-Verteilung
Besonders dramatisch ist die Lage für die Zivilbevölkerung. Nach Angaben palästinensischer Behörden kamen 67 Menschen im Norden des Gazastreifens ums Leben, als sie auf humanitäre Hilfe warteten. Die Angaben lassen sich unabhängig nicht überprüfen. Israels Armee erklärte, Warnschüsse gegen eine "unmittelbare Bedrohung" abgegeben zu haben. Eine Untersuchung laufe.
Zuletzt hat es beinahe täglich Berichte über Tote bei Verteilzentren gegeben. Im Umfeld der wenigen zentralen Verteilstellen im Gazastreifen sollen israelische Soldaten wiederholt auf wartende Zivilisten geschossen haben. Laut Angaben palästinensischer Behörden wurden seit Ende Mai mehrere Hundert Menschen in der Umgebung von Hilfskonvois getötet.
Israel und die von den USA unterstützte Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) werfen der Hamas dagegen vor, gezielt Unruhe unter den Hilfesuchenden zu schüren. Die Organisation hatte zudem gewarnt, sich nicht in den Nacht- und Morgenstunden an den Sammelpunkten einzufinden.
Die Bundesregierung kritisiert die GHF. Nach Ansicht des Auswärtigen Amts erreicht der neue Verteilmechanismus die Zivilbevölkerung nicht in ausreichendem Maß und operiert nicht im Einklang mit humanitären Prinzipien. Die GHF verteilt seit Ende Mai Lebensmittel an wenigen zentralen Punkten im Gazastreifen. Zuvor hatten die Vereinten Nationen rund 400 Verteilstationen betrieben – diese funktionieren jedoch kaum noch, weil Israel deren Belieferung fast vollständig blockiert. Es fließen keine staatlichen Mittel aus Deutschland an die GHF, betont das Auswärtige Amt. Man setze sich dafür ein, dass Vorfälle mit Toten an Verteilstellen umfassend aufgeklärt würden.
Donald Trump stellt Einigung in Aussicht
Parallel zu den Kampfhandlungen verlaufen indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas. Die USA hoffen auf ein Abkommen, das die Freilassung von zehn Geiseln und eine 60-tägige Waffenruhe vorsieht. Laut Donald Trump könnte es bald zu einer Einigung kommen. Nach israelischen Angaben werden derzeit noch 49 Geiseln im Gazastreifen festgehalten, mindestens 27 von ihnen seien tot.
Die Familien der Verschleppten äußerten sich angesichts der Militäroffensive in Deir al-Balah besorgt. Sie forderten von der Regierung Klarheit, wie der Militäreinsatz das Leben der Geiseln schützen solle. In Tel Aviv demonstrierten am Wochenende Tausende Menschen für ein Abkommen mit der Hamas und ein Ende der Kampfhandlungen.
Vatikan kritisiert Israel wegen Angriff auf Kirche
Die Angriffe Israels auf zivile Einrichtungen stossen auch international auf Kritik. Der Vatikan zog nach einem Angriff auf eine katholische Kirche in Gaza-Stadt die Darstellung Israels in Zweifel. Kardinal Pietro Parolin sagte, man könne "berechtigterweise bezweifeln", dass es sich um ein Versehen gehandelt habe. In der betroffenen Kirche der Heiligen Familie hatten rund 600 vertriebene Zivilisten Schutz gesucht. Der Angriff hatte drei Todesopfer gefordert.
Der Krieg begann am 7. Oktober 2023 mit einem Angriff der Hamas auf Israel, bei dem 1200 Menschen getötet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Bei der massiven Reaktion Israels wurden seit Beginn des Krieges nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden mehr als 58.000 Menschen getötet – darunter sind sowohl Kämpfer als auch Zivilisten.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, afp und Reuters