Drohnenjagd im Nato-Luftraum Polen findet Drohnen und Trümmer einer Rakete
Drohnen am Himmel, Warnungen an die Bürger: Polens Luftwaffe greift durch. Wie ernst ist die Lage in Deutschlands Nachbarland?
Während russischer Angriffe auf die Ukraine sind in der Nacht zu Mittwoch mehr als ein Dutzend Drohnen in Polens Luftraum eingedrungen. Polen spricht offiziell von 19 Verletzungen des eigenen Luftraums und bestätigt den Abschuss von mindestens drei Drohnen.
"Dies ist ein Akt der Aggression, der eine reale Bedrohung für die Sicherheit der Bevölkerung dargestellt hat", hieß es in einer Mitteilung der polnischen Streitkräfte auf dem Kurznachrichtendienst X. Die Luftoperation der Armee sei inzwischen beendet. Die Suche nach Trümmerteilen hält laut der Mitteilung noch an.
- Donald Tusk: Zerstörte Drohnen sind aus Russland
- Mit kyrillischer Aufschrift: Drohne stürzt auf Nato-Gebiet
Bisher sieben Drohnen und -teile sowie Trümmer einer Rakete gefunden
Nach Angaben des Innenministeriums sind bisher sieben Drohnen oder Trümmerteile von Drohnen gefunden worden. Zudem meldet die Behörde den Fund von Teilen einer Rakete. Fünf Drohnen seien in der ostpolnischen Wojwodschaft Lublin entdeckt worden, sagte eine Sprecherin. Eine Drohne sei über der Wojwodschaft Lodz in Zentralpolen abgestürzt, eine weitere über der nordöstlichen Wojwodschaft Masuren-Ermland. Außerdem seien Trümmer eines Geschosses unbekannter Herkunft gefunden worden.
Nach Angaben des Ministeriums handelt es sich um vorläufige Angaben – Polizei und Militär suchen weiterhin nach Drohnen beziehungsweise Drohnenteilen.
Embed
Polen ersucht Konsultationen nach Nato-Artikel 4
Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat indes im polnischen Parlament bestätigt, dass die Drohnen aus Russland stammen, und erklärt, er werde die Nato um eine dringende Konsultation nach Artikel 4 des Nato-Vertrags ersuchen. Weiterhin erklärte er, dass am Dienstagabend um 22.06 Uhr erste Informationen über einen massiven russischen Luftangriff mit Drohnen und Raketen auf die Ukraine eingegangen seien.
Daraufhin sei unter anderem das Awacs-System der Nato in Bereitschaft versetzt worden. Awacs steht für "Airborne Early Warning and Control System" (Luftgestütztes Frühwarn- und Kontrollsystem). Gegen 23.30 Uhr sei es zur ersten Verletzung des polnischen Luftraums gekommen, sagte Tusk vor den Abgeordneten. Diese Verletzungen des Luftraums hätten bis etwa 6.30 Uhr am Mittwochmorgen angedauert.
Der Vorfall lasse sich nicht mit vorangegangenen Zwischenfällen mit Drohnen im polnischen Luftraum vergleichen: "Dies ist das erste Mal in diesem Krieg, dass sie nicht aufgrund von Fehlern oder kleineren russischen Provokationen aus der Ukraine kamen. Zum ersten Mal kam ein erheblicher Teil der Drohnen direkt aus Belarus", sagte Tusk. Bevor Tusk sich an das polnische Parlament wandte, gab es eine Krisensitzung der Regierung in Warschau.
Beschädigtes Wohnhaus
Zwar wurde nach ersten Erkenntnissen niemand durch die russischen Drohnen verletzt, doch der polnische Nachrichtensender Polsatnews berichtet, dass ein Wohngebäude in Wyryki in der Region Lublin getroffen wurde. Dabei seien das Dach des Hauses sowie ein auf dem Grundstück geparktes Auto beschädigt worden.
Der Bürgermeister des Kreises Włodawa sagte im Gespräch mit Polsatnews: "Wir kennen die genauen Einzelheiten noch nicht. Wir wissen nicht, ob es die Drohne selbst war, die auf das Gebäude fiel (…) oder ob es Trümmer der Drohne waren."
Die örtliche Polizei hat außerdem im ostpolnischen Dorf Czosnówka eine beschädigte Drohne entdeckt. Der Fund sei um 5.40 Uhr bestätigt worden, schreibt die Polizei der Region Lublin auf X. Der Fundort befindet sich in der Nähe der Grenze zu Belarus.
Luftraum über Warschau wieder geöffnet
Der Luftraum über dem polnischen Hauptstadtflughafen wurde indes wieder geöffnet. Das teilte der Chopin-Flughafen in Warschau mit. Flugausfälle und Verspätungen hielten vermutlich noch an. Auch die Flughäfen Modlin und Rzeszow haben den Betrieb nach Angaben der Luftsicherung wieder aufgenommen. Der Flughafen in Lublin bleibe aber zunächst geschlossen, sagt ein Sprecher der Behörde dem Fernsehsender TVN24.
Zuvor hatten die polnischen Behörden die vier Flughäfen geschlossen. In einer Mitteilung für Piloten hieß es, der Flughafen Warschau-Chopin sei "aufgrund ungeplanter militärischer Aktivitäten im Zusammenhang mit der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit" nicht verfügbar.
Außenminister: Putin testet den Westen
Am frühen Morgen schrieb Tusk auf X, es seien Waffen gegen die Flugobjekte eingesetzt worden. "Ich habe den Nato-Generalsekretär über die aktuelle Lage und die Maßnahmen informiert, die wir gegen die Objekte ergriffen haben, die unseren Luftraum verletzt haben. Wir stehen in ständigem Kontakt."
- Internationale Reaktionen: "Dann werden russische Raketen noch weiter nach Europa fliegen"
- Drohnen-Abschuss in Polen: So wahrscheinlich ist jetzt der Nato-Bündnisfall
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha bezeichnet das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum als Beweis für die Eskalation des Krieges durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Putin eskaliert, weitet seinen Krieg immer weiter aus und testet den Westen", schreibt Sybiha auf der Plattform X. Es müsse nun die Entscheidung getroffen werden, die Luftabwehr von Partnerländern zum Abfangen von Drohnen und Raketen über der Ukraine einzusetzen – einschließlich jener Geschosse, die sich den Nato-Grenzen näherten.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Kiesewetter: "Gesülze von Friedensverhandlungen muss aufhören"
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte auf X, mit "Konsequenz und Härte" zu antworten: Das "Gesülze von Friedensverhandlungen muss aufhören", schrieb er weiter. Es müsse jetzt die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus sowie weitere militärische Unterstützung für die Ukraine erfolgen, "denn Russland nährt sich durch unsere Schwäche".
Jarno Limnéll, Mitglied des finnischen Parlaments, deutet auf X auch einen potenziellen Bündnisfall der Nato an: "Wird der Luftraum eines Nato-Landes verletzt, ist das gesamte Bündnis betroffen. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall, sondern um eine Aktion, die die Reaktionsschwelle der Nato auf die Probe stellt." Dass die Drohnen unabsichtlich in den polnischen Luftraum eingedrungen sind, hält er für unwahrscheinlich.
Russischer Diplomat dementiert Polens Vorwürfe
Ein russischer Diplomat hat den Vorwurf einer Luftraumverletzung Polens durch Drohnen seines Landes zurückgewiesen. "Wir halten die Vorwürfe für haltlos. Es wurden keine Beweise vorgelegt, dass diese Drohnen russischen Ursprungs sind", sagte Andrej Ordasch, der Geschäftsträger der Botschaft Russlands in Warschau, der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge. Er verwies darauf, dass sich ein ähnlicher Vorwurf in der Vergangenheit als falsch herausgestellt habe.
Dabei bezieht er sich auf einen Vorfall von Ende 2022. Damals kamen in Polen nahe der Grenze zur Ukraine zwei Menschen durch den Einschlag einer Rakete ums Leben. Russland hatte zu der Zeit einen großen Luftangriff auf den Westen der Ukraine gestartet. Soweit bisher bekannt, war das in Polen abgestürzte Flugobjekt damals eine verirrte ukrainische Flugabwehrrakete.
Russland sei absolut nicht an einer Eskalation der Beziehungen zu Polen interessiert, behauptete der Diplomat. Leider werde dies aufgrund der "russenfeindlichen Stimmung" von der polnischen Regierung ignoriert, fügte er hinzu.
Härteres Vorgehen gegen Luftraumverletzungen angekündigt
Das Nato-Mitglied Polen ist ein wichtiger Unterstützer der Ukraine und ein zentraler Transitpunkt für westliche humanitäre und militärische Hilfe für die Ukraine. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 haben Polen und die baltischen Staaten wiederholt Verletzungen ihres Luftraums durch russische Drohnen gemeldet.
Auch in den vergangenen Wochen waren mehrfach Drohnen in den Luftraum über Polen eingedrungen und abgestürzt. Verletzt wurde dabei niemand. Verteidigungsminister Kosiniak-Kamysz hatte bereits am Dienstag gesagt, die Drohnen könnten zukünftig abgeschossen werden, wenn dies vertretbar sei. Polen fühlt sich auch selbst von Russland bedroht und rüstet massiv auf.
- Nachrichtenagenturen Reuters, afp und dpa
- Eigene Recherchen




