Krise in Frankreich Plötzlich scheint es einen Ausweg zu geben
Kann Sébastien Lecornu doch noch einen Ausweg aus der Regierungskrise in Frankreich finden? Am heutigen Mittwoch gab sich der zurückgetretene Premier zunächst optimistisch.
Eigentlich hätte Sébastien Lecornu noch bis heute Abend Zeit gehabt. Präsident Emmanuel Macron hatte dem bereits zurückgetretenen Premier am Montag den Auftrag erteilt, bis Mittwochabend einen Ausweg aus der politischen Krise zu finden. Lecornu trat dann aber schon am Morgen in Paris vor die Kameras.
Der Wunsch, dass Frankreich am Ende des Jahres einen Haushalt habe, sei so groß, "dass sich die Möglichkeit von Neuwahlen entfernt", sagte Lecornu am Mittwochmorgen. Gemeint war damit: Der 39-Jährige ist optimistisch, noch im Laufe des Tages eine Lösung zu präsentieren und damit weiteres Chaos in Frankreich zu verhindern.
- Sébastien Lecornu: Frankreichs Premier sieht Lösung
- Kommentar: Emmanuel Macron – ein Gescheiterter
Doch wie genau könnte eine solche Lösung jetzt aussehen und welche Optionen hätten Lecornu und Macron? Ein Überblick über mögliche Szenarien:
1. Lecornu einigt sich mit anderen Parteien
Im Zentrum von Lecornus Gesprächen steht die Aufstellung eines Haushalts für das kommende Jahr: Die französische Nationalversammlung muss bis Ende dieses Jahres einen Plan für 2026 beschließen. Bislang waren alle Versuche gescheitert, einen mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden.
Lecornu machte am Morgen deutlich, dass eine Lösung mit dem linken Lager im Parlament wohl die wahrscheinlichste Option sei: Er wolle als Nächstes mit der "republikanischen Linken" darüber sprechen, "welche Zugeständnisse sie verlangt, um Stabilität zu garantieren".
Sollte es so kommen, wäre das eine Abkehr von der bisherigen Linie der Regierungschefs unter Macron: Bislang hatten die Regierungen unter seiner Führung größtenteils die Zusammenarbeit mit den konservativen Republikanern im Parlament gesucht, deren Politiker auch zum Teil in der Regierung vertreten waren.
Die Fraktionen links der Mitte blieben bei der Regierungsbildung bislang eher außen vor, was durchaus ungewöhnlich ist: Bei der vergangenen Parlamentswahl hatte das Wählerbündnis NFP, das aus Sozialisten, Grünen, Linkspopulisten und Kommunisten besteht, knapp die meisten Stimmen erzielt. Traditionell ernennt der Präsident einen Politiker aus der stärksten Fraktion zum Premier. Bislang hatte aber Macron stets auf Politiker der Mitte oder aus dem konservativen Lager gesetzt.
Sollte es zu einer Einigung mit den linken Parteien kommen, bleibt offen, was mit Lecornu geschieht: Macron hatte seinen Rücktritt am Montag bereits angenommen. Aus dem Umfeld des 39-Jährigen hieß es zuletzt, er wolle unabhängig von den Verhandlungen nicht mehr als Premier weitermachen. Macron müsste dann einen neuen Premier ernennen. Denkbar wäre, dass in diesem Fall der Regierungschef einer der linken Parteien angehört.
2. Es kommt zu Neuwahlen im Parlament
Sollte Lecornu keine Lösung für den Haushalt finden, ist es wahrscheinlich, dass Macron das Parlament auflöst und Neuwahlen ausruft. Zuletzt hatte der französische Präsident das überraschend im Sommer 2024 nach den Europawahlen getan. Seitdem gibt es im Parlament drei nahezu gleich große Fraktionen: das linke Lager der NFP, Macrons Fraktion der Mitte und der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen.
Dadurch ist die Regierung für Abstimmungen im Parlament immer wieder auf wechselnde Mehrheiten angewiesen. Als besonders stabil hat sich das bislang nicht erwiesen. Lecornus Vorgänger Michel Barnier und François Bayrou wurden beide innerhalb kürzester Zeit durch Misstrauensvoten gestürzt.
Neuwahlen könnten dafür sorgen, dass es zu klareren Mehrheitsverhältnissen in der Nationalversammlung kommt. Umfragen sehen Le Pens RN schon seit Längerem in der Wählergunst deutlich auf Rang eins. Dass die Partei allerdings dann auch die meisten Sitze erringen wird, ist nicht ausgemacht.
Schon bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr ging die Partei als klarer Favorit ins Rennen, landete am Ende hinter Macrons Renaissance und der NFP auf Rang drei. Aufgrund des Wahlsystems in Frankreich wurden viele Sitze im Parlament durch einen zweiten Wahlgang per Stichwahl entschieden: Die linken und zentristischen Parteien hatten sich im zweiten Wahlgang gegenseitig unterstützt, um Siege von RN-Kandidaten zu verhindern.
Hinzu kommt, dass im Falle einer Neuwahl Le Pen ihren Sitz im Parlament verlieren wird: Die Politikerin wurde im Frühjahr wegen Veruntreuung von EU-Geldern verurteilt und darf in den kommenden fünf Jahren bei keiner Wahl mehr antreten. Le Pen hat gegen die Entscheidung Einspruch eingelegt, ein Berufungsgericht soll darüber allerdings erst im kommenden Sommer entscheiden.
Sollte es bei der Sperre bleiben, dürfte Jordan Bardella bei den Rechtspopulisten künftig noch stärker in den Fokus rücken. Der 30-Jährige ist bereits Parteichef und gilt neben Le Pen als aussichtsreichster Kandidat für die höchsten politischen Ämter.
Ein Datum für mögliche Neuwahlen scheint es bereits zu geben. In den einzelnen Regionen habe man die inoffizielle Anweisung erhalten, sich darauf vorzubereiten, am 16. und 23. November Parlamentswahlen zu organisieren, berichtete das Enthüllungsblatt "Le Canard enchaîné".
3. Macron tritt zurück
Vom Präsident hieß es am Montag, er werde im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen "Verantwortung übernehmen". Was damit genau gemeint ist, ließ Macron offen. Allerdings hatte er bislang einen Rücktritt ausgeschlossen. Offiziell ist er noch bis 2027 im Amt und darf nach seiner zweiten Amtszeit nicht mehr erneut antreten.
Dennoch waren zuletzt die Stimmen lauter geworden, die sich für einen Rücktritt Macrons ausgesprochen hatten. Während die Linkspopulisten und der RN schon länger seinen Rückzug gefordert hatten, waren auch ehemalige Regierungschefs von Macron abgerückt. Die seit sechs Monaten andauernde Krise dürfe nicht bis zur Präsidentschaftswahl in eineinhalb Jahren verlängert werden, sagte Édouard Philippe dem Sender RTL. Philippe war von 2017 bis 2020 französischer Ministerpräsident.
Ähnlich hatte sich Gabriel Attal geäußert, der im vergangenen Jahr neun Monate die Regierung angeführt hatte. "Ich verstehe die Entscheidungen des Präsidenten nicht mehr", sagte Attal am Montagabend dem Sender TF1. Sowohl Attal als auch Philippe werden allerdings eigene Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP








