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Machtkampf: Hamas ringt mit Clans um Vorherrschaft im Gazastreifen


Friedensprozess bedroht
"Dann sind wir dem Untergang geweiht"

Von t-online, jha

Aktualisiert am 14.10.2025Lesedauer: 5 Min.
Nahostkonflikt - GazastreifenVergrößern des Bildes
Hamas-Mitglieder (Archivbild): Die Terrorgruppe geht gegen Gegner innerhalb des Gazastreifens vor. (Quelle: Abed Rahim Khatib/dpa/dpa-bilder)
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Nach dem Ende der Kämpfe im Gazastreifen bleibt die Lage instabil. Während Helfer vor einer humanitären Katastrophe warnen, sichert die Hamas ihre Machtbasis.

Der Krieg in Nahost ist vorbei, doch der Frieden bringt riesige Aufgaben mit sich. Was droht, wenn der Friedensprozess hin zu einem Palästinenserstaat scheitert, hat Jordaniens König Abdullah II. in harten Worten formuliert: "Wenn wir dieses Problem nicht lösen, wenn wir keine Zukunft finden für Israelis und Palästinenser und eine Beziehung zwischen der arabischen und muslimischen Welt und Israel, sind wir dem Untergang geweiht", sagte der Monarch dem britischen Sender BBC. Werde diese Frage nicht gelöst, gehe der Konflikt wieder von vorn los.

Nach zwei Jahren Krieg zwischen Israel und der Hamas hat ein von US-Präsident Donald Trump vermitteltes Abkommen erstmals eine umfassende Waffenruhe gebracht. Die letzten 20 Geiseln der Hamas wurden freigelassen, im Gegenzug kamen fast 2.000 palästinensische Häftlinge frei. Doch die Lage im Gazastreifen bleibt angespannt. Vor allem die Rolle der Hamas sorgt für Unruhe: Anstatt die Waffen abzulegen, festigt die islamistische Organisation ihre geschwächte Machtbasis erneut – und geht dabei rücksichtslos gegen Rivalen vor.

Mangelernährung und Seuchengefahr

Die humanitäre Lage im Gazastreifen bleibt dramatisch. Nach Angaben von UNICEF leben Hunderttausende Familien in zerstörten Häusern oder improvisierten Zelten. Sprecherin Tess Ingram beschreibt Gaza-Stadt als "Skelett einer einst lebendigen Stadt". Kinder liefen "barfuß durch Trümmer", viele seien unterernährt und krank. UNICEF versucht derzeit, täglich rund 50 Lastwagen mit Hilfsgütern ins Gebiet zu bringen – darunter Wasser, Spezialnahrung und Winterkleidung.

Katja Storck von Ärzte ohne Grenzen erzählte in der Tagesschau von ihren Eindrücken vor Ort. "Wir spüren hier Erleichterung und können mal eine Nacht ohne Bomben und Krieg durchschlafen", sagte sie der ARD. Doch sie sehe weiterhin täglich unermessliches Leid, das der Krieg ausgelöst habe. "Viele Menschen sind krank oder verletzt und die verbreitete Mangelernährung erschwert ihre Genesung", sagt Storck.

„Die hygienischen Bedingungen sind schwierig. Es gibt kein sauberes Trinkwasser und auch keine funktionierende Kanalisation. Das Abwasser steht überall offen herum". Deshalb bestehe Seuchengefahr. Aktuell würden bereits viele Kinder an Durchfallerkrankungen und Infektionen leiden.

Hamas nutzt Waffenruhe zur Machtfestigung

Mit dem Abzug israelischer Truppen wagt sich die Hamas wieder auf die Straßen. Mitglieder der Kassam-Brigaden, der militärische Arm der Terrorgruppe, patrouillieren in Gegenden, in denen zuvor die israelische Armee stationiert war. Dabei hat die Hamas seit Beginn der Waffenruhe mindestens 32 Rivalen und Clanangehörige getötet. Die Terrorgruppe verbreitete dazu Videos, auf denen zu sehen ist, wie mehrere Menschen hingerichtet werden.

In ihrem Vorgehen erhielt die Gruppe offenbar die Zustimmung der USA. Die Hamas solle vorübergehend "für Ordnung sorgen", hieß es aus Sicherheitskreisen. Seitdem geht sie brutal gegen lokale Gruppen vor, die während des Kriegs zeitweise mit Israel kooperiert oder eigene Sicherheitsstrukturen aufgebaut hatten.

Die Clans im Gazastreifen

In der Vergangenheit hatte Israel einige dieser Clans – darunter Teile der Doghmush- und Abu-Schabab-Familien – bewaffnet und ermutigt, gegen die Hamas vorzugehen. Nun rächt sich die Organisation für diese Kooperation. Mehrere Anführer solcher Gruppen wurden gezielt getötet. Gleichzeitig bemühen sich einige Clans, wieder ein gutes Verhältnis zur Hamas aufzubauen, um sich abzusichern.

So erklärte der mächtige Al-Madschajda-Clan in Chan Junis, er unterstütze die "Sicherheitsmaßnahmen der Hamas" und rief seine Mitglieder zur Kooperation auf.

Der Doghmush-Clan gilt als einer der größten und am besten bewaffneten Familienverbände im Gazastreifen. Ein prominentes Mitglied, Mumtas Doghmush, gründete die radikale Gruppe "Armee des Islam", die sich einst zum Islamischen Staat bekannte. Wiederholt kam es zu schweren Gefechten zwischen Clanmitgliedern und Hamas-Kämpfern – zuletzt um das Jordanien Hospital, wo über 20 Menschen getötet wurden. Die Familie wies jedoch jede Zusammenarbeit mit Israel zurück und sprach von "individuellen Handlungen".

Der Abu-Schabab-Clan agiert im Süden der Enklave. Der Familienverbund wird geführt von Jasser Abu Schabab und hat nach Angaben von Reuters etwa 400 Kämpfer. Während des Kriegs galt er als wichtiger Gegenspieler der Hamas und soll Unterstützung von israelischer Seite erhalten haben. Nun droht die Hamas mit Vergeltung. Abu Schabab weist die Vorwürfe der Kollaboration jedoch zurück. Beobachter gehen davon aus, dass auch er versuchen wird, sich mit der Hamas zu arrangieren, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.

Israel: Rückzug statt Annexion

In Israel sorgte die Rückkehr der letzten lebenden Geiseln für Freude und Erleichterung. Doch weil die Hamas bislang nur einige wenige Leichen der verstorbenen Geiseln übergeben hat, reagiert die israelische Regierung zunehmend gereizt. Verteidigungsminister Israel Katz sprach von einem "eklatanten Verstoß" der Hamas gegen das Abkommen.

Dieses zeigt weitere Risse. So eröffnete die israelische Armee am Dienstag das Feuer auf mehrere Personen im Norden des Gazastreifens, die eine vereinbarte Grenze überschritten hatten, wie das Militär mitteilte. Sechs Palästinenser sollen dabei getötet worden sein, berichtet Reuters.

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Die instabile Lage wird durch die politische Situation in Israel verschärft. Dort führt Premier Benjamin Netanjahu eine fragile Koalition mit dünner Mehrheit an. Mit dem Ende des Kriegs rücken für alle Parteien die Neuwahlen in den Fokus, die offiziell für den Oktober 2026 vorgesehen sind.

Insbesondere Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht unter großem Druck. Ihm droht ein Korruptionsprozess, dem er sich bislang durch Verweis auf sein Amt entziehen konnte. Gleichzeitig arbeitet Netanjahu in einer Koalition mit rechtsextremen Partnern, die öffentlich auf die Besetzung und Besiedelung des Gazastreifens sowie des Westjordanlands drängen. Sie opponieren die Errichtung eines Palästinenserstaats. Beobachter befürchten nun, dass Netanjahu den Friedensprozess für seinen Wahlkampf instrumentalisieren könnte.

Verhandlungen über Trumps Friedensplan laufen

Dieser läuft aktuell in Scharm El-Scheich weiter. Weder Israel noch die Hamas haben die "Erklärung für dauerhaften Frieden" unterschrieben. Trotzdem verhandeln Diplomaten nun über die zweite Phase von Trumps 20-Punkte-Plan, die den politischen Umbau des Gazastreifens regeln soll. In den kommenden sechs Monaten soll eine internationale Übergangsverwaltung eingerichtet werden. Diese soll sich aus Vertretern Ägyptens, Katars, der Vereinten Nationen und der USA zusammensetzen. Sie soll Verwaltung, Energieversorgung und Grenzüberwachung übernehmen, bis palästinensische Institutionen funktionsfähig sind.

Ebenfalls Teil der zweiten Phase sind ein international koordinierter Wiederaufbaufonds, humanitäre Korridore für den Warenverkehr und die Entwaffnung der Hamas. In den kommenden Wochen sollen Expertenteams den Zustand der Infrastruktur prüfen und ein Sicherheitskonzept ausarbeiten, um neue Kämpfe zu verhindern. Langfristig ist ein Übergang zu einer zivilen palästinensischen Selbstverwaltung vorgesehen – unter Aufsicht der internationalen Gemeinschaft.

EU ist nicht geeint und bleibt außen vor

Die Europäische Union ist dabei jedoch größtenteils außen vor. Zwar nahmen unter anderem Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Ägypten teil, doch die EU tritt nicht geeint auf. Die Mitgliedstaaten sind insbesondere in ihrer Haltung zu Israel nicht geeint.

So will Deutschland 29 Millionen Euro Soforthilfe für die Menschen in Gaza leisten. Zudem plant die Bundesregierung eine internationale Wiederaufbaukonferenz in Kairo. Gleichzeitig forderte die CSU aber auch, die Waffenlieferungen an Israel wieder aufzunehmen. Diese hatte die Bundesregierung aufgrund Israels Kriegsführung eingestellt.

Spanien hält dagegen an seinem Waffenembargo fest. Außerdem betonte Ministerpräsident Pedro Sánchez, Frieden dürfe "nicht Straflosigkeit bedeuten". Er kündigte an, die israelischen Verantwortlichen für mutmaßliche Kriegsverbrechen und Völkermord vor Gericht bringen zu wollen.

Verwendete Quellen

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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