Sängerin festgenommen In Putins Heimat regt sich Widerstand

In Russland gibt es nur noch selten Demonstrationen gegen die Regierung. Ausgerechnet in Putins Heimatstadt wagten sich nun Menschen auf die Straße.
In Sankt Petersburg hat es Proteste gegen die russische Regierung und den Kreml-Machthaber Wladimir Putin gegeben. Eine Sängerin wurde festgenommen. Hunderte junge Menschen sollen bei einer Kundgebung Lieder von Künstlern gesungen haben, die von der russischen Regierung als "extremistisch" und als "ausländische Agenten" eingestuft werden. Nach Angaben der unabhängigen belarussisch-polnischen Nachrichtenagentur Nexta wurde die Sängerin Naoko von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Die 18-Jährige soll Antikriegslieder gesungen haben, darunter "Co-operative Swan Lake" vom russischen Regimekritiker und Rapper Noize MC. Die Künstlerin sei am Mittwoch auf eine Polizeistation gebracht worden. Nach Angaben von Nexta gehe es ihr gut, ein Anwalt sei an ihrer Seite.
Hunderte sangen regimekritische Lieder
Am Sonntag hatten sich hunderte Menschen in Sankt Petersburg versammelt und dort regimekritische Lieder gesungen, wie Aufnahmen in sozialen Medien jetzt zeigten. Dabei wurde auch das Lied von Noize MC gesungen. Darin heißt es unter anderem: "Wo wart ihr acht Jahre lang, ihr verdammten Monster? Ich will Ballett sehen – lasst die Schwäne tanzen!" Er spielt damit auf das Ballett "Schwanensee" an, das in Zeiten von Krisen oder beim Tod von Staatsführern im russischen Fernsehen gesendet wurde. Es ist zu einem Symbol des politischen Widerstands in Russland geworden.
Der Titel des Songs spielt zugleich auf die Osero-Datschenkooperative im Nordwesten Russlands an, eine exklusive Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, die 1996 von Mitgliedern des damaligen Petersburger Machtzirkels gegründet wurde und als Keimzelle des Putin-Systems gilt. Im Songtext spricht der Rapper, der mit bürgerlichem Namen Ivan Alekseev heißt, in Bezug auf Putin den Wunsch aus, "der alte Mann soll vor Angst um seinen See zittern."
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Protestsong ist populär in Russland
Kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 floh der 40-jährige Musiker nach Litauen. Moskau hat ihn seitdem zum "ausländischen Agenten" erklärt, eine Bezeichnung, mit der die russische Regierung und ihre Organe versuchen, Kritiker des Kremls zu diskreditieren. In seinem 2022 veröffentlichten Lied "Co-operative Swan Lake" fordert Alekseev ein Ende der Herrschaft Putins. Noize MC tritt international auf, insbesondere bei Konzerten der russischen Exil-Community in Europa. Er lebte auch eine Zeit lang in Deutschland.
Obwohl Alekseevs Musik in Russland verboten ist, hören Millionen die Lieder weiterhin, indem sie mithilfe von Programmen zur Umgehung von Internetzensur (VPN-Clients) auf das Netz zugreifen, berichtet der britische "The Telegraph".
Im vergangenen Monat sagte Alekseev dem Magazin "The Atlantic": "Die Menschen wollen nichts über den Krieg hören, denken oder sprechen. Sie verdrängen ihn aus ihrem Bewusstsein." Er bezeichnete die "Gleichgültigkeit" seiner Landsleute gegenüber dem fast vierjährigen Konflikt als "Tragödie" und drückte die Hoffnung aus, dass seine Lieder die Menschen wieder aufrütteln.
Kritik aus Putins Heimatstadt
Die Videos aus Sankt Petersburg, in denen vornehmlich junge Menschen Protestlieder singen, lösten in kremlfreundlichen Telegram-Kanälen Empörung aus. Prominente Propagandisten forderten die sofortige Bestrafung der Beteiligten. Es gab bereits im Sommer dieses Jahres Berichte über öffentliche Versammlungen in Sankt Petersburg, der zweitgrößten Stadt Russlands, bei denen Bands und Gruppen junger Menschen gemeinsam Antikriegslieder gesungen haben.
Nach den russischen Zensurgesetzen sind alle als "extremistisch" eingestuften Lieder oder Videos effektiv verboten. Seit Juli wird jeder, der verbotene Inhalte verbreitet, ebenfalls als "Extremist" eingestuft und kann dafür bestraft werden.
Die Proteste sind auch deshalb von Bedeutung, weil Putins Geburtsstadt Sankt Petersburg als die Wiege seiner Karriere gilt. Schon während seines Studiums schloss er sich dem KGB an, für den er bis 1990 unter anderem in Dresden arbeitete. In den 1990er Jahren war er stellvertretender Bürgermeister seiner Heimatstadt. Viele seiner Vertrauten, darunter Dmitri Medwedew, stammen ebenfalls aus Sankt Petersburg. Hier findet auch eine der wichtigsten russischen Konferenzen statt: das Petersburger Forum.
- x.com: Beitrag von Nexta
- telegraph.co.uk: "Crowds sing banned song calling for overthrowing Putin in St Petersburg" (englisch)



