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Türkei-Wahl: Erdogans "osmanische Ohrfeige" für die Demokratie


Wahl in der Türkei
Erdogans "osmanische Ohrfeige" für die Demokratie

Eine Analyse von Patrick Diekmann, Istanbul

Aktualisiert am 25.06.2018Lesedauer: 4 Min.
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Recep Tayyip Erdogan vor der offiziellen Residenz des Präsidenten in Istanbul: Als neuer Präsident kann er künftig regieren wie im Ausnahmezustand.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdogan vor der offiziellen Residenz des Präsidenten in Istanbul: Als neuer Präsident kann er künftig regieren wie im Ausnahmezustand. (Quelle: Uncredited/POOL Presidency Press Service/AP/dpa-bilder)

Mit Erdogans Triumph geht die parlamentarische Demokratie der Türkei unter. Während die Opposition von Betrug spricht, feiern die Deutschtürken ihren Präsidenten. Die Türkei ist auf einem gefährlichen Weg.

Ein Trompeter steht auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Er ist umringt von Hunderten feiernden Menschen und obwohl sein Lied kaum zu vernehmen ist und er sich gelegentlich verspielt, trompetet er weiter. Viele der Menschen um ihn herum haben Türkei- oder AKP-Flaggen in der Hand. Manche rufen: "Gott ist groß". Die Musik dröhnt.

Sie feiern den Wahlsieg von Recep Tayyip Erdogan. Zu diesem Zeitpunkt sind zwar noch gar nicht alle Stimmen ausgezählt. Aber Erdogan hat sich schon zum Sieger erklärt. Ihnen genügt das.

Die Türkei steht vor einer Zeitenwende

Während die Opposition von Wahlmanipulation spricht, feiern die Anhänger der AKP und der rechten MHP den ausgerufenen Sieg mit einem Autokorso an diesem geschichtsträchtigen Platz. 2013 war der Taksim-Platz Zentrum der Gezi-Proteste. Damals sah es so aus, als könne Erdogans Zeit an der Macht zu Ende gehen. Doch er ließ die Proteste mit Polizeigewalt niederschlagen. Seitdem stehen der Platz und der anliegende Gezi-Park unter strenger Polizeibewachung. Am Wahlabend räumen die Sicherheitskräfte das Feld. Aus den Lautsprechern der Autos tönt immer wieder das gleiche Lied – der Refrain: "Recep Tayyip Erdogan". Er ist immer noch da. Mächtiger als zuvor.

Erdogan hat laut Angaben der Wahlkommission die Präsidentschaftswahl in der Türkei mit 52 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. Auch die AKP hat im Parlament im Wahlbündnis mit der MHP eine komfortable Mehrheit. Welche Rolle das Parlament in Zukunft spielt, ist allerdings ungewiss. Denn die Türkei steht an einer Zeitenwende.

Bald ist dauernd Ausnahmezustand

Der Wahlsieg Erdogans ist der letzte Schritt hin zu einem Präsidialsystem nach Erdogans Wunsch. Damit gewinnt er weitreichende Kompetenzen. Er darf von jetzt an Minister ohne Zustimmung des Parlamentes bestimmen, er darf per Dekret Gesetze beschließen.

Die gute Nachricht des Abends war, dass der Ausnahmezustand, in dem sich das Land seit dem Putschversuch 2016 befindet, mit dem Sieg Erdogans bald enden könnte. Die schlechte Nachricht lautet allerdings: Der Präsident bekommt im neuen System nahezu die Kompetenzen, die er durch den Ausnahmezustand hat. Er braucht den Ausnahmezustand nicht mehr, um durchzuregieren.

Trotzdem votierte eine große Zahl von Türken für Erdogan und somit auch für das neue System. Dies hat unterschiedliche und meistens persönliche Gründe: Seit 15 Jahren ist Erdogan nun an der Macht, erst als Ministerpräsident, mittlerweile als Präsident. In dieser Zeit hat sich das Leben vieler Menschen verbessert. Sie rechnen das Erdogan an. Außerdem rückte er die Religion wieder in die Mitte der Gesellschaft. Früher fühlten sich viele gläubige Muslime unterdrückt, Erdogan gewann eine große Anzahl treuer Anhänger. Auch in Deutschland.

Für Erdogan oder gegen ihn

Mehr als 60 Prozent der Deutschtürken haben für Erdogan gestimmt. Die Verantwortung dafür geben sie auch den deutschen Medien. "Die Medien in Deutschland hetzen gegen Erdogan und die Türkei, auch deshalb habe ich Erdogan gewählt", sagt der 25-jährige Michail aus Hamburg am Wahlabend auf dem Taksim-Platz in Istanbul: "Ich bin eigentlich unpolitisch, aber ich glaube, dass das neue System gut für die Türkei ist." Die Spaltung der türkischen Gesellschaft hat auch Deutschland erreicht. Viele Türken, die für die AKP sind, fühlen sich von der deutschen Gesellschaft und von den Medien missverstanden.

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Erdogan nutzte diese Spaltung, er machte die Wahl ähnlich wie das Verfassungsreferendum im letzten Jahr zu einer Abstimmung über seine Person. Für ihn oder gegen ihn. Seine Anhänger stimmten für ihn, selbst wenn sie die Verfassungsänderungen kritisch sehen. "Erdogan ist gut für die Türkei. Wir vertrauen ihm, dass auch das neue System gut für die Türkei ist", sagt ein AKP-Anhänger auf dem Taksim-Platz.

Hinweise auf Wahlmanipulationen

Mit der Türkei wird nun ein parlamentarisches in ein präsidiales System umgewandelt. Erdogan gibt damit nicht wie angekündigt Europa eine "osmanische Ohrfeige", er gibt sie der Demokratie.

Die Oppositionsparteien werfen der Regierung Wahlbetrug vor. In der Tat kursieren in den sozialen Medien zahlreiche Bilder und Videos, die angeblich Wahlbetrug oder Einschüchterung dokumentieren. So sollen Wahlzettel der prokurdischen HDP weggeworfen worden sein oder Anhänger der AKP sollen in Ankara ein Wahlbüro gestürmt haben. Nachzuprüfen sind die Vorwürfe nicht.

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Verhaltener Protest in Istanbul

Die Opposition wird von der Wahlkommission wohl eine Überprüfung fordern. Doch diese Überprüfungen verlaufen regelmäßig im Nirgendwo. Zuletzt war es nach dem Verfassungsreferendum 2017 so. Danach verlief sich auch der Protest. So steht der Türkei eine Zeit unter einem mächtigen Präsidenten bevor. Eine Zeit, in der Erdogan die Kompetenzen und die Rückendeckung besitzt, um noch härter gegen Kritiker vorzugehen.

Die Menschen in Istanbul, die nicht Erdogan feierten, gingen in der Nacht schnell wieder anderen Tätigkeiten nach. So wechselten viele der Fernsehsender, die vorher die Wahl übertragen hatten, schnell auf die Spiele der Fußball-WM. Nur einige wenige Gegner Erdogans kamen vor das Büro der Wahlkommission im Istanbuler Stadtteil Besiktas. Doch ihr Protest verhallte bald in der Nacht.

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