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Proteste im Iran – Nach Festnahme: Teheran bestellt britischen Botschafter ein


Wütende Proteste in Teheran
Nach Festnahme: Iran bestellt britischen Botschafter ein

Von afp, dpa, reuters, dru, pdi

Aktualisiert am 12.01.2020Lesedauer: 5 Min.
Teheran am Samstagabend: Iranische Studenten demonstrieren nach einer Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes vor der Amir Kabir Universität in der Innenstadt.Vergrößern des BildesTeheran am Samstagabend: Iranische Studenten demonstrieren nach einer Trauerfeier für die Opfer des Flugzeugabsturzes vor der Amir Kabir Universität in der Innenstadt. (Quelle: Rouzbeh Fouladi/ZUMA Wire/dpa)
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Nachdem der Iran den Abschuss des ukrainischen Flugzeuges zugegeben hat, gibt es in Teheran große wütende Proteste. Das iranische Regime lässt den britischen Botschafter im Land festnehmen.

Großbritannien hat auf die vorübergehende Festnahme des britischen Botschafters in Teheran empört reagiert. "Die grundlose und unbegründete Festnahme unsere Botschafters in Teheran ist eine ungeheuerliche Verletzung internationalen Rechts", erklärte der britische Außenminister Dominic Raab am Samstagabend.

Botschafter Rob Macaire war laut Nachrichtenagentur Tasnim am Samstag für einige Stunden festgenommen worden. Er habe die Demonstranten vor der Universität Amir Kabir provoziert, "radikale Aktionen" durchzuführen, schrieb Tasnim. Nach "einigen Stunden" sei er wieder freigelassen worden. Macaire selbst gab an, wegen des Gedenkens für die Absturzopfer – unter denen auch Briten waren – an der Kundgebung teilgenommen zu haben. Die Veranstaltung verließ er nach eigenen Angaben nach fünf Minuten, als Parolen gerufen wurden. Er habe nicht an einer Demonstration teilgenommen, betonte er.

Am Sonntag wurde Macaire dennoch ins iranische Außenministerium einbestellt. Ihm sei mitgeteilt worden, dass seine Teilnahme an einer "illegalen Kundgebung" gegen die diplomatischen Vorschriften verstoßen habe. Die Teilnahme habe nichts mit seinen Verpflichtungen als Vertreter seines Landes zu tun gehabt, wie das Außenministerium nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA dem Diplomaten weiter bekanntgab.

Der britische Außenminister Raab erklärte weiter: "Die iranische Regierung steht an einem Scheideweg." Sie könne ihren Marsch in Richtung eines Außenseiterstatus weitergehen, mit aller politischer und wirtschaftlicher Isolation. Oder sie könne deeskalierende Schritte einleiten und sich auf einem diplomatischen Weg nach vorn bewegen.

Wütende Proteste in Teheran

Nach dem Bekenntnis des Iran zum versehentlichen Abschuss hat es in Teheran Proteste gegen die Regierung gegeben. Am Samstagabend versammelten sich mehrere hundert Menschen an den Universitäten Teheran, Amir Kabir und Sharif, um der 176 Toten zu gedenken.

Aus dem Gedenken wurde ein wütender Protest: Die Demonstranten bezeichneten die iranische Regierung als "Lügner" und forderten die Verantwortlichen für den Abschuss und die tagelange Leugnung zum Rücktritt auf. Auf Twitter waren Videos zu sehen, in denen Demonstranten auch den Rücktritt des religiösen und politischen Führers des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, forderten.

Wie die iranische Nachrichtenagentur Fars berichtete, wurden die Demonstrationen von der Polizei aufgelöst. Die Studenten hätten "schädliche" und "radikale" Sprechchöre gerufen, schrieb Fars, die den Konservativen im Iran nahe steht. Dem Bericht zufolge rissen einige Studenten auch ein Poster von General Ghassem Soleimani ab, der vor gut einer Woche bei einem US-Drohnenangriff im Irak getötet worden war. Fars gab die Zahl der Demonstranten mit bis zu 1.000 an.

Am Sonntag soll es erneut Proteste gegeben haben. Nach Medienberichten versammelten sich Demonstranten an den Universitäten Beheschti und Alarme Tabatabei. Demnach gab es zunächst Trauerzeremonien für die 176 Todesopfer, danach wurden der Abschuss angeprangert und auch die tagelange Vertuschung der Fakten durch die iranischen Behörden und Medien. Viele forderten den Rücktritt der zuständigen Verantwortlichen, hieß es weiter. Auf Twitter verbreiteten sich diese Aufnahmen von der Beheschti-Universität:

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Iran spricht von "unverzeihlichem Vorfall"

Nach tagelangem Abstreiten hatte der Iran am Samstag eingestanden, für den Absturz von Flug PS752 verantwortlich zu sein. Das Militär habe die Maschine unbeabsichtigt abgeschossen, es handele sich um menschliches Versagen, hieß es in einer Presseerklärung. Präsident Hassan Ruhani äußerte sein Bedauern, versprach eine gründliche Untersuchung und erklärte: "Dieser unverzeihliche Vorfall muss juristisch konsequent verfolgt werden." Die Familien der Opfer sollten entschädigt werden.

In einem Telefongespräch mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj entschuldigte sich Ruhani offiziell bei der Ukraine für den versehentlichen Abschuss. "Das Zugeben der 'Raketenversion' als Ursache für die Katastrophe hat den Weg für die Fortsetzung der Ermittlungen ohne Verzögerungen und Behinderungen geöffnet", sagte Selenskyj einer Mitteilung zufolge. Kiew werde an Teheran eine offizielle Note unter anderem mit Kompensationsforderungen senden.

In einer Videobotschaft erklärte Selenskyj noch einmal, warum die ukrainische Regierung zuvor zurückhaltend auf den Verdacht eines Abschusses reagiert habe. "Wir haben systematisch und ohne Hysterie für ein Ziel gearbeitet: die Aufklärung der Wahrheit über die Umstände der Flugzeugkatastrophe." Zuvor hatte ihm die Opposition vorgeworfen, sich den von den USA und anderen westlichen Staaten geäußerten Abschussvorwürfen nicht sofort angeschlossen zu haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach einem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin in Moskau, es sei gut, dass die Verantwortlichen damit bekannt seien. "Es bleibt aber ein dramatisches Ereignis."

Kommandeur: "Ich wünschte mir, lieber selbst tot zu sein"

Zum Hergang erklärte ein Kommandeur der iranischen Revolutionsgarde, die ukrainische Passagiermaschine habe sich am Mittwoch einer strategisch wichtigen Militäranlage genähert, sei versehentlich als feindlicher Marschflugkörper eingestuft und schließlich abgeschossen worden. Der Kommandeur der Luft- und Weltraumabteilung der Revolutionsgarde, Amir Ali Hadschisadeh, sagte, der zuständige Offizier habe der Zentrale die Gefahr melden wollen, aber genau zu dem Zeitpunkt habe es einen Defekt im Kommunikationssystem gegeben. Der Offizier hatte laut Hadschisade dann nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, ob er eine Luftabwehrrakete abfeuert oder nicht. "Und leider tat er es, was dann zu dem Unglück führte", sagte der Kommandeur. "Als ich davon erfahren habe, wünschte ich mir, lieber selbst tot zu sein, statt Zeuge dieses Unglücks", sagte Hadschisadeh.

In der iranischen Pressemitteilung hieß es weiter, der für den Abschuss Verantwortliche werde vor ein Militärgericht gestellt. Die Streitkräfte entschuldigten sich bei den Opferfamilien und versprachen, solch ein "Fehler" werde nicht mehr vorkommen.

Auch Irans oberster Führer Ajatollah Ali Chamenei bedauerte den Abschuss. "Das menschliche Versagen in dem Vorfall ist äußerst bedauerlich, und mein tiefstes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer", erklärte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna. Von den Streitkräften forderte er eine lückenlose Aufklärung.

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Sarif: Spannungen mit USA trugen zum Umglück bei

Außenminister Mohammed Dschawad Sarif schrieb auf Twitter von einem "traurigen Tag". Er entschuldigte sich bei den Familien der Opfer und der iranischen Bevölkerung. Weiter schrieb er: "Menschliches Versagen in Krisenzeiten, vom Abenteurertum der USA verursacht, hat zu diesem Desaster geführt." Auch Ruhani versuchte, den Abschuss mit den militärische Spannungen mit den USA zu rechtfertigen.

Die Europäische Union forderte den Iran zu Konsequenzen aus dem versehentlichen Abschuss auf. "Es müssen angemessene Maßnahmen getroffen werden um sicherzustellen, dass solch ein schrecklicher Unfall nie wieder geschehen kann", erklärte EU-Kommissionssprecher Peter Stano am Samstag in Brüssel. Nach entsprechenden Zusagen von Irans Präsident Hassan Ruhani erwarte die EU, dass Teheran weiter voll kooperiere und nach internationalen Standards umfassend und durchschaubar untersuche, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte.

Wut in sozialen Medien

In sozialen Medien reagierten iranische Bürger mit Wut und Enttäuschung. Besonders aufgebracht waren sie wegen der vielen offiziellen Dementis in den Tagen zuvor. Ein User schrieb auf Twitter: "Ich wäre lieber auch in der Maschine gestorben, dann hätte ich als Iraner diese Peinlichkeit nicht erlebt."

Mehrere ausländische Expertenteams, auch eins von Boeing, waren nach Teheran eingeladen worden, um zusammen mit iranischen und ukrainischen Experten die Blackboxen der Maschine zu untersuchen. Am Freitag hatten die Ermittlungen dann begonnen.

Seit dem Vorfall haben mehrere ausländische Fluggesellschaften, auch Lufthansa und Austrian Airlines, ihre Flüge nach Teheran eingestellt. Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA hatte nach dem Absturz von Flügen über den Iran abgeraten.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen AFP, dpa, Reuters
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