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Angst vor Corona-Mutation – Frankreich riskiert die Katastrophe


Angst vor der Mutation
Frankreich riskiert die Corona-Katastrophe

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 17.01.2021Lesedauer: 5 Min.
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Polizei in Frankreich kontrolliert Ausgangssperre und verhängt Bußgelder
Frankreich: Aufnahmen zeigen, wie streng die Polizei seit der geltenden Ausgangssperre kontrolliert und Verstöße ahndet. (Quelle: Glomex)

Im Gegensatz zu Deutschland setzt die französische Regierung auf deutlich mildere Corona-Maßnahmen. Das ist eine Strategie, die auch für die Bundesrepublik zum Risiko werden kann.

Der Schrecken wütet auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Mit großer Sorge blicken viele Franzosen derzeit nach Großbritannien, dort ist die Corona-Pandemie außer Kontrolle, die Mutation B.1.1.7 breitet sich rasant aus. Trotz dieser tödlichen Bedrohung versucht die französische Regierung aber weiterhin, den "harten Lockdown" zu vermeiden. Die Prioritäten sind klar: Die französische Wirtschaft soll geschont werden, Schulen und Kitas sollen geöffnet bleiben.

Dabei ist die Corona-Lage in Frankreich weiterhin ernst und das Land legte bei den Impfungen einen Fehlstart hin. Die Regierung verschärfte zwar am Donnerstag erneut die Ausgangsbeschränkungen, unter anderem die Geschäfte und Hotels bleiben aber weiterhin geöffnet.

Diese Strategie ist äußerst riskant: Es ist ein "Lockdown light", wie er schon in Deutschland die Infektionszahlen nur in geringem Maß reduzierte, mit geöffneten Schulen, was sich in Großbritannien rächte. Damit riskiert Frankreich eine Corona-Katastrophe, die mitten in Europa ein großes Gefahrenpotenzial birgt.

Fehlstart bei den Corona-Impfungen

Zuletzt wurden in Frankreich über 21.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden registriert. Das ist mehr als vier Mal so viel wie der Höchstwert von 5.000, den Präsident Emmanuel Macron Ende Oktober als Ziel ausgegeben hatte. Die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt im Land bei 194, über 70.000 Menschen sind mit dem Coronavirus gestorben.

Zum Vergleich: Deutschland hat am Samstag über 18.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet, die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 139. In der Bundesrepublik starben über 45.000 Menschen mit einer Covid-19-Erkrankung. (Alle Zahlen stammen vom 16. Januar 2021)

Die gegenwärtigen Lagen in Deutschland und Frankreich sind demnach vergleichbar. Mit einem Unterschied: Während in der Bundesrepublik schon mehr als eine Million Menschen eine Corona-Impfung erhielten, sind es im Nachbarland nur knapp 413.000 (beide Zahlen Stand 16. Januar). Der Impffehlstart sorgt in Frankreich für großen Ärger, viele Bürgermeister werfen der französischen Regierung Versagen vor, weil viele Städte schon viel früher Impfzentren errichten wollten, was die Regierung ablehnte.

Milde Verschärfungen angekündigt

Doch im Gegensatz zu Deutschland, wo aktuell über einen noch schärferen Lockdown diskutiert wird, hält Frankreich weiterhin an der milderen Version fest. Aber aus Sorge vor einer Ausbreitung der britischen Mutation gibt es einige Verschärfungen der Maßnahmen: Ab Samstag gilt eine landesweite Ausgangssperre ab 18 Uhr, wie Premierminister Jean Castex am Donnerstagabend in Paris mitteilte. Auch alle Geschäfte müssen um diese Uhrzeit schließen. Zudem sollen die Kontrollen für Einreisende verschärft werden.

Castex sagte, Frankreich werde "alles tun", um die Ausbreitung der britischen Coronavirus-Variante zu verhindern. Die verschärfte Ausgangssperre gilt nach seinen Worten vorerst für zwei Wochen. Im Fall einer Verschlechterung der Lage schloss er auch einen neuen Lockdown wie zuletzt im November nicht aus.

Zudem setzt Frankreich auf schärfere Tests für Einreisende aus Nicht-EU-Staaten: Sie müssen ab Montag zur Einreise einen negativen PCR-Test vorlegen und sollen zudem in Frankreich eine Woche lang vorsorglich in Quarantäne gehen. Danach soll ein zweiter PCR-Test fällig werden. Einen negativen Test zur Einreise verlangt Frankreich bisher bereits von Bürgern Großbritanniens.

Gefahr durch geöffnete Schulen

Doch damit ist das Programm der französischen Regierung auch erschöpft, um dieser neuen Bedrohung zu begegnen. Zwar zeigen erste Untersuchungen, dass bei rund einem Prozent der Getesteten die britische Mutation nachgewiesen werden kann, die als deutlich ansteckender gilt. Doch in Großbritannien hat sich die Mutation nur innerhalb eines Monats rasant ausgebreitet, die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt momentan bei über 500.

Frankreich hofft, dass mit verschärften Grenzkontrollen eine Ausbreitung der Mutation im Land verhindert werden kann, der Reiseverkehr auf die Insel ist massiv eingeschränkt. Aber das Virus macht für gewöhnlich nicht vor Grenzkontrollen halt, die französische Strategie ist deshalb riskant.

Diese Maßnahmen gelten in Frankreich:
- Abendliche Sperrstunde von 18 bis 6 Uhr. Bürger dürfen nur aus triftigen Gründen oder mit einer Bescheinigung des Arbeitgebers auf die Straße.
- Ein Mund-Nasen-Schutz ist überall verpflichtend.
- Auch die nicht-lebensnotwendigen Geschäfte sind – ebenso wie Kirchen – geöffnet.
- Homeoffice bleibt – sofern möglich – verpflichtend in Frankreich.
- Kitas und Schulen waren und bleiben geöffnet.
- Private Treffen sollen auf ein Minimum beschränkt werden. Zu Hause dürfen nicht mehr als 6 Erwachsene zusammenkommen.
- Veranstaltungen und große Zusammenkünfte sind verboten.
- Restaurants, Kinos, Museen und andere kulturelle Einrichtungen bleiben geschlossen.
- Hochschulen sollen ab dem 25. Januar teilweise wieder öffnen.

Die französischen Schulen sollen "um jeden Preis" offen bleiben. Dafür hat Gesundheitsminister Olivier Véran groß angelegte Testreihen angekündigt. Nach seinen Worten sollen sich monatlich bis zu eine Million Schüler ab sechs Jahren sowie ihre Lehrer Corona-Tests unterziehen. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sprach nun sogar von "300.000 Tests pro Woche". Die Schulen sollen zum Hort der Getesteten werden, so der Plan der Regierung.

Damit nicht genug: Auch die Hochschulen sollen in Frankreich Schritt für Schritt wieder auf Präsenzunterricht umstellen. Ab dem 25. Januar sollen zunächst Studierende im ersten Jahr wieder an die Unis gehen können, vorerst jedoch nur jeder zweite Studierende.

Regierung macht Hoffnung

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Die Feiertage haben in Frankreich nach ersten Daten zu keinem sprunghaften Anstieg von Neuinfektionen geführt. Dies gab Ministerpräsident Castex bekannt. Die Lage bleibe trotzdem besorgniserregend.

Das Ziel der Regierung ist außerdem, dass die Wirtschaft weniger Schaden nimmt als beim Lockdown im Frühjahr 2020. Auch dafür gibt es gute Signale: Finanzminister Bruno Le Maire rechnet trotz anhaltender Corona-Beschränkungen mit einer kräftigen Konjunkturerholung im Jahresverlauf.

"Ich bin wirklich ziemlich zuversichtlich, dass der zweite Teil des Jahres 2021 gut für die französische Wirtschaft sein wird", sagte Le Maire am Donnerstag. Die Wachstumsprognose der Regierung von sechs Prozent sei weiter in Reichweite. Er mahnte aber zugleich: "Wir müssen bescheiden und vorsichtig bleiben, denn wir sind schon oft von dem Virus getäuscht worden."

"Zu spät, die Verbreitung der Mutation aufzuhalten"

Trotzdem gibt es in Frankreich auch Stimmen, die momentan nicht ernst genommen werden. So haben die Gesundheitsbehörden des Landes vor der Gefahr der Corona-Mutation gewarnt. "Ich bin sehr besorgt", sagte der Leiter des wissenschaftlichen Rats, Jean-François Delfraissy, am Mittwochmorgen dem Sender Franceinfo. Diese Variante werde sich in Frankreich weiter ausbreiten, wenn keine Maßnahmen ergriffen würden. Es sei zu spät, die Verbreitung aufzuhalten. Es ginge darum, zu versuchen, sie durch eine Reihe von Maßnahmen zu verlangsamen, so Delfraissy. Es handle sich um einen Wettlauf.

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Im Großraum Paris gebe es derzeit elf bestätigte Fälle der Mutation, sagte der Chef der örtlichen Gesundheitsbehörde, Aurélien Rousseau, dem Sender BFM TV. Es gebe rund 40 weitere Verdachtsfälle. Zuletzt waren in Frankreich immer wieder Fälle der mutierten Variante des Virus aufgetreten – so etwa am Wochenende in Marseille.

Auswirkungen auf Pandemie in Deutschland

Die gegenwärtige Situation zeigt, dass Deutschland und Frankreich bei Corona-Maßnahmen und Lockdown mittlerweile unterschiedliche Strategien in der Bekämpfung der Corona-Pandemie fahren. Während es in der Bundesrepublik immer weitere Verschärfungen des Lockdowns gibt, wird der Teil-Lockdown von der französischen Regierung bislang nicht infrage gestellt. Dabei geht es vor allem um die Wirtschaft: Nach dem Willen von Präsident Emmanuel Macron sollen die Franzosen weiterhin zur Arbeit gehen können. Dafür sind offene Schulen und Kitas eine wichtige Bedingung.

Aber die riskante Strategie ist auch für Deutschland ein Risiko. Sollte sich die Mutation weiter und schneller in Frankreich ausbreiten, die französische Regierung darauf nicht schnell genug reagieren, könnte auch Deutschland durch die geografische Nähe seinen Lockdown nicht herunterfahren – selbst wenn sich in der Bundesrepublik die Lage verbessern sollte. Hinzu kommt, dass in Grenznähe Anreize geschaffen werden, dass Menschen aus Deutschland nach Frankreich fahren, um in Geschäften einzukaufen.

Letztlich konnten viele Länder Europas aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie lernen, dass Bedrohungen nie vor Landesgrenzen haltmachten und dass schnelle und umfassende Reaktionen elementar sind, um so schnell wie möglich wieder aus dem Lockdown zu kommen. In Frankreich hofft man, dass das in diesem Winter anders wird – und riskiert gleichzeitig eine Katastrophe.

Verwendete Quellen
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