t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon


HomePolitikAuslandInternationale Politik

Wahlen in Moldau: Russland missbraucht Gagausien für hybriden Krieg


Russlands Kampagne in Südosteuropa
Diese Region gilt als "verlorener Fall"

Eine Reportage von Simon Cleven

27.09.2025Lesedauer: 7 Min.
RUSSIA-PUTIN/Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: In der moldauischen Region Gagausien nimmt der Kreml seit Jahrzehnten Einfluss. (Quelle: Alexander Kazakov)
News folgen

Die Republik Moldau würde gern zum östlichsten Teil der EU werden. Doch Russland versucht, das zu verhindern. Wie sehr es auf die anstehenden Wahlen Einfluss nimmt, lässt sich vor allem in der Region Gagausien beobachten.

Aus Comrat und Congaz berichtet Simon Cleven.

Mihail Sirkeli ist ein kräftig gebauter Mann mit einem noch kräftigeren Lachen, das leicht anstecken kann. Und der Journalist lacht viel – auch wenn seinen Zuhörern angesichts der Ernsthaftigkeit seiner Themen schnell das Lachen im Halse stecken bleiben kann.

Sirkeli betreibt in der Stadt Comrat in der moldauischen Region Gagausien eines der wenigen prowestlichen Medien. Das Portal "Nokta" verbreitet nicht nur Nachrichten aus Gagausien. Sirkeli kommentiert in Talkshows und Podcasts auch die aktuelle politische Situation des Landes, oft mit einem Augenzwinkern. Sein Blickwinkel gefällt nicht jedem. Online-Drohungen oder Kritik auf offener Straße erlebt er oft. Sirkeli lacht das einfach weg. Aber auch darüber hinaus ist die Lage in seiner Heimat schwierig.

Ende dieser Woche wird in Moldau gewählt und Russland versucht, prorussische Kräfte im Parlament zu stärken. Dafür investiert der Kreml viel Geld. Beobachter und Beteiligte sprechen mit Blick auf die Abstimmungen immer wieder von einer Schicksalswahl: Bleibt Moldau auf EU-Kurs oder schafft es Moskau, den Prozess zu torpedieren?

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Nicht nur für die EU wäre das ein Sicherheitsrisiko, sondern auch für die Ukraine, die im Südwesten an Moldau grenzt. Eine Destabilisierung des Landes würde die Nato-Ostflanke zusätzlich belasten. Zudem würden dem Kreml Einflussoperationen gegen Nachbarländer so leichter fallen. Es droht ein Dominoeffekt. Und Gagausien könnte ein Schlüssel für den Kreml sein.

In Gagausien kommt man an Russland nicht vorbei

Denn schon jetzt merkt man in Gagausien kaum, dass im Moldauer Parlament bislang eine proeuropäische, rumänischsprachige Partei, die Partidul Acțiune și Solidaritate (Partei der Aktion und Solidarität, kurz PAS), die absolute Mehrheit hat. Werbetafeln, Straßennamen, Wahlkampfplakate – all das lesen die Menschen größtenteils in kyrillischen Buchstaben. Die Wahlvereinigung "Patriotischer Block" etwa wirbt in der Hauptstadt Comrat auf Russisch mit: "Wir glauben an Moldau!" Experten ordnen sowohl Anführer Igor Dodon als auch die anderen beteiligten Parteien des "Blocks" klar dem prorussischen Lager zu.

Gagausien liegt im Süden der Republik Moldau an der Grenze zur Ukraine. Es ist kein zusammenhängendes Gebiet, sondern wird unter anderem vom Rajon Taraclia unterbrochen. Das Kerngebiet liegt rund um Comrat. Gut 155.000 Menschen leben in Gagausien, knapp fünf Prozent der Gesamtbevölkerung Moldaus. Vorrangig sind es Angehörige des Turkvolks der Gagausen, aber auch ethnische Bulgaren, Russen, Ukrainer und Moldauer.

Schlagzeilen im Westen macht die Region besonders seit 2023, als eine bis dahin kaum bekannte, aber einem kriminellen Oligarchen nahestehende Politikerin wie aus dem Nichts zur Gouverneurin gewählt wurde: Evghenia Guțul. Die heute 39-Jährige trat mit allerlei, wenig realistischen Versprechungen an. So wollte sie etwa einen Flughafen für 100 Millionen Euro bauen und die Gehälter im öffentlichen Dienst um 30 Prozent anheben. Gut ein Jahr nach ihrer Wahl reiste sie im März 2024 nach Sotschi und traf dort Kremlchef Wladimir Putin höchstpersönlich.

Die engen Verbindungen Russlands zu diesem kleinen, eher unscheinbaren Gebiet in Moldau reichen zurück bis in die Zeit des Zerfalls der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre. Gagausien entstand wie das heute abtrünnige Gebiet Transnistrien in den Wirren dieser Umbruchphase. Die Gagausen fürchteten die Rufe radikaler Kräfte in Moldau nach einem Anschluss an Rumänien und verfolgten deshalb – unterstützt von den Russen – eine territoriale Autonomie. Ein Ziel des Kremls war auch, die Unabhängigkeit Moldaus zu verhindern, was jedoch scheiterte. Seit 1994 ist es ein autonomes Gebiet innerhalb Moldaus und hat dadurch bestimmte Sonderrechte.

Ein berüchtigter Oligarch investiert in Prestigeprojekte

Wegen dieser Entwicklungen bezeichnet der Journalist Sirkeli Gagausien als "ein Kremlprojekt". Auch in den Jahren nach der Unabhängigkeit versuchte der Kreml weiter, Einfluss in Moldau zu gewinnen. In Gagausien blieben die Russen stets präsent – bis heute.

Die für Russland zentrale Figur ist dabei Ilan Șor. Der 38-Jährige befindet sich seit Jahren auf der Flucht. Dem Oligarchen wird vorgeworfen, 2014 rund eine Milliarde US-Dollar aus dem moldauischen Bankensystem abgezweigt zu haben. 2019 floh er, zunächst nach Israel, später nach Moskau. Doch aus dem Ausland nahm er über seine Șor-Partei weiter Einfluss in Moldau. Die Partei, der auch die Gouverneurin Guțul angehörte, ist mittlerweile verboten. Guțul selbst sitzt unterdessen in Haft: Im August verurteilte sie ein Gericht in Chișinău wegen illegaler Parteienfinanzierung mit russischen Geldern. Doch Șors Einfluss reicht noch weiter.

Loading...
Loading...

Rund 25 Kilometer südlich von der Regionalhauptstadt Comrat liegt der 11.000-Seelen-Ort Congaz. Es ist eine knapp 20-minütige Autofahrt, die landschaftlich vor allem von Agrarflächen und wenigen Siedlungen geprägt ist. In Congaz reihen sich entlang der Hauptstraße vor allem Wohnhäuser sowie einige wenige Geschäfte und Restaurants aneinander. Vor den Toren von Congaz aber taucht plötzlich ein großer Freizeitpark auf: "GagauziyaLand", steht in gelben Buchstaben über dem Eingang.

An diesem Septembertag sind bei über 30 Grad Celsius kaum Menschen auf den Straßen von Congaz unterwegs. Auch auf dem Parkplatz des Parks stehen lediglich zwei Fahrzeuge. Ein gelangweilter Sicherheitsmann erklärt am Eingang schmallippig, dass der Eintritt frei sei. Dennoch finden sich im Park selbst nur ein paar seiner Kollegen und eine Familie. Das liegt wohl auch daran, dass nach den Sommerferien gerade erst das neue Schuljahr begonnen hat. Ein Kind dreht ohne sichtbare Freude Runden auf einem Karussell. Die anderen Fahrgeschäfte stehen still.

"GagauziyaLand", das ist eines der Projekte, mit denen der Oligarch Șor der Region seinen Stempel aufdrückt. Es ist eine scheinbar heile Welt in der von Armut geprägten Region. In Gagausien investiert Șor gern in solche Vorzeigeprojekte, lässt Straßen in Ortskernen asphaltieren, tut aber kaum etwas für echte Entwicklung. Interesse hat er wohl vor allem an Wählerstimmen – und gibt dafür viel Geld aus. Das zeigt Wirkung: Im Herbst 2024 stimmten in Gagausien 95 Prozent der Wähler gegen einen EU-Beitritt Moldaus.

"Ilan Șor verkörpert alles Schlechte"

Alexandru Tarnavschi, unabhängiger Abgeordneter der Volksversammlung Gagausiens, sagt über den Oligarchen: "Ilan Șor verkörpert alles Schlechte." Der Oligarch missbrauche die Region für den Widerstand gegen die Regierung in Chişinău, erklärt Tarnavschi in einem Gespräch mit Journalisten im Rathaus von Comrat. Gagausien scheint mit seinen zahlreichen Minderheiten und der hohen Armut wie geschaffen für ein solches Projekt.

Früher hat es laut Tarnavschi große Investitionen der EU und der Türkei in Gagausien gegeben. Seit zwei Jahren ließen diese jedoch auch wegen des Einflusses von Șor nach. Der Oligarch nutze das Vakuum für seine eigenen Zwecke, erklärt Tarnavschi: "Șor hat Investitionen in die Zukunft, etwa für Kindergärten oder Krankenhäuser, durch Investitionen in die Taschen Einzelner ersetzt."

Systematischer Wahlbetrug in Moldau

Mit rund 100 Euro monatlich stocke Șor nun die Renten vieler Menschen auf, die durchschnittlich nur 120 Euro im Monat betragen. Geschenkt ist das Geld aber nicht: Der Oligarch schafft sich so ein Netzwerk gutgläubiger Menschen, die er für illegale Zwecke missbrauchen kann.

Wie das System genau funktioniert, hat die unabhängige Zeitung "Ziarul de Gardă" im vergangenen Jahr mit einer Recherche aufgedeckt. Aktivisten aus Șors Netzwerk sprechen demnach Menschen gezielt an und bieten ihnen Geld. Diese müssen dafür eine Passkopie sowie eine Handynummer einreichen. Damit werde dann aus der Ferne ein Konto bei der russischen Promswjasbank (PBS) eröffnet. Die Bank finanziert den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und unterliegt westlichen Sanktionen.

Wenig später bekommen die Menschen dann die erste Nachricht, dass 10.000 Rubel (rund 100 Euro) auf ihr Konto eingegangen seien. Dann müsse das Geld nur noch ins Land geschafft werden. Mittlerweile gibt es vielfältige Wege dafür: teils über Kryptowährungen oder über Mittelsmänner. Das Ausmaß des Netzwerks ist gewaltig: Im Nachgang der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Herbst entdeckten die moldauischen Behörden insgesamt 140.000 Handynummern, die mit russischen Konten in Verbindung standen.

Das System funktioniert so nicht nur in Gagausien, sondern auch in anderen Regionen, etwa im Norden Moldaus, wo die Menschen ebenfalls eher prorussisch eingestellt sind. Eigentlich ist das paradox: Warum sollte sich der Kreml Zustimmung von Moldauern erkaufen, die ohnehin Russland zugeneigt sind?

"Diese Menschen sind Söldner in einem hybriden Krieg Russlands"

Der Journalist Sirkeli sagt, die meisten Menschen müssten für das Geld nicht viel tun. Seiner Ansicht nach geht es dabei zuvorderst um Mobilisierung. Die Finanzspritzen aus Moskau erhielten vor allem jene, die bei den Wahlen normalerweise zu Hause blieben. Der Journalist kann das aus erster Hand berichten, denn auch in seiner Familie habe es mindestens einen solchen Fall gegeben.

Der Kreml wolle damit die Wahlbeteiligung in Gagausien hochhalten, was die prorussischen Ergebnisse der Abstimmungen legitimieren soll. Außerdem solle so ein Gegengewicht zur mehrheitlich prowestlichen moldauischen Diaspora gehalten werden. Darüber hinaus mobilisieren Șors Aktivisten so auch Menschen für Anti-Regierungsproteste oder für Aktivitäten in sozialen Netzwerken. Für diese Gruppe gibt es dann Extrazahlungen.

Sirkeli findet dafür deutliche Worte: "Diese Menschen sind Söldner in einem hybriden Krieg Russlands gegen die Republik Moldau." Șor habe ein ganzes System aufgebaut, das mit traditionellem Stimmenkauf nicht mehr viel zu tun habe.

Gagausien – ein "verlorener Fall"?

Die EU kommt dagegen nicht an. Investitionen in Infrastruktur mobilisieren in Gagausien keinen Wähler dafür, seine Stimme einer proeuropäischen Partei zu geben. Daran werden vermutlich auch die 1,9 Milliarden Euro an Investitionen nichts ändern, die die EU Moldau Anfang des Jahres versprochen hat. "Sie kaufen uns", sei die vorherrschende Meinung dazu in Gagausien, erklärt Sirkeli. "Aber wir stehen natürlich nicht zum Verkauf", sagt er und lacht wegen der offensichtlichen Wahlmanipulation Șors.

Insgesamt hält er Gagausien für einen "verlorenen Fall". Obwohl Gagausisch als Muttersprache in der Region dominiert, ist Russisch die Verkehrssprache, auf die sich alle Minderheiten einigen können. Wer vorrangig Russisch spricht, der findet sich jedoch auch schnell im russischen Informationsraum wieder, konsumiert ausschließlich russische Medien – und somit auch eine Menge Desinformation. Daher kommt wohl die negative Meinung zur EU.

Auf dem gut zweistündigen Rückweg von Comrat nach Chişinău, die Hauptstadt Moldaus, rumpelt das Auto weite Strecken über eine sogenannte Schnellstraße, die im sowjetischen Stil aus Betonplatten zusammengesetzt ist. Zwischendurch gibt es ein längeres Stück asphaltierte Straße – finanziert von der EU, wie ein Schild groß ausweist. Für die Bewohner Gagausiens scheint das keine große Rolle zu spielen.

Transparenzhinweis: Dieser Text ist im Rahmen einer von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten Recherchereise entstanden.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom