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Russland: Aus Putins großer Vision wird ein Witz


Traum geplatzt
Aus Putins großer Vision wird ein Witz

MeinungEin Kommentar von Ellen Ivits

Aktualisiert am 22.09.2025Lesedauer: 3 Min.
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Der russische Sänger Schaman bei "Intervision": Im Gegensatz zu vielen anderen Teilnehmern war weder sein Kostüm noch sein Lied folkloristisch. (Quelle: Mikhail Tereshchenko/imago-images-bilder)
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Wladimir Putins Traum vom eigenen Songfestival sollte die Welt in Staunen versetzen. Doch sein "Intervision" endete als Peinlichkeit mit kolonialem Beigeschmack.

Per Dekret befahl Wladimir Putin die Wiederbelebung des "Intervison". Es sollte der ganz große Wurf werden. 4,3 Milliarden Menschen würden live die glorreiche Rückkehr Russlands auf die internationale Bühne verfolgen, so die Idee in den Stuben des Kremls – was schlicht der Bevölkerung der teilnehmenden Staaten entspricht. Spätestens seit Russland vom Eurovision Song Contest (ESC) ausgeschlossen ist, tüftelte man daran. Das Ergebnis: eine seelenlose Kostümshow, die den Kolonialismus wieder auferstehen lässt.

Wenngleich der Kreml den vermeintlichen Musikwettbewerb als völlig unpolitisch zu verkaufen versucht, eröffnete Wladimir Putin selbst die Show – mit einer Ansprache aus seinem Kabinett. Ganz so, wie er den Einmarsch in der Ukraine verkündet hatte. "Die Völker haben das Recht auf freie Entfaltung, auf die Bewahrung ihrer Identität", deklarierte er dieses Mal, während sein Militär ukrainische Städte bombardierte.

"Wir achten unsere Traditionen und respektieren die Traditionen anderer. Gerade die Achtung vor traditionellen Werten, zur Vielfalt der Kulturen ist die grundlegende Idee des Wettbewerbs", setzte Putin wie zum Hohn obendrauf. Den Zuschauern wünschte er "intensive Gefühle" und Freude an "wahrhafter Kunst". Die Spitze galt Europa, wo nach Ansicht des Kremls nur noch Perversitäten auf der Bühne stattfinden.

Folkloristische Karikaturen

Wie "wahre Kunst" im Sinne Putins aussieht, konnten die Zuschauer anschließend vier Stunden lang beobachten. 22 Teilnehmer gaben in einem musikalischen Einerlei ihre Ständchen zum Besten. Von Kenia über Saudi-Arabien bis Belarus – eine monotone Playbackshow folgte der nächsten, beliebig austauschbar und glitschig wie Putins Ansprache. Lediglich die LED-Dekoration der Bühne wechselte das Thema: ein Feld für Kasachstan, ein Dschungel für Vietnam.

Mit dem visuellen Hintergrund wechselten auch die Kostüme der Teilnehmer – zumeist folkloristische Karikaturen, allen Stereotypen gerecht werdend. Das Geschehen in der Moskauer Arena erinnerte an ein überdimensionales Zerrbild eines klassischen Balletts. Im 19. Jahrhundert gehörten hier sogenannte Charaktertänze in den zweiten Akt eines jeden Publikumslieblings – von "Nussknacker" bis "Schwanensee". Es ist eine spezielle Unterart des klassischen Tanzes, die auf Volkstänzen beruht, zumindest so wie sie von den europäischen Kolonialmächten jener Zeit wahrgenommen wurden. Und so gab es den chinesischen Tanz, den arabischen Tanz oder auch den russischen Tanz – stets ausgeführt in folkloristischen Kostümen.

Ein Sieger von Russlands Gnaden

Diesem Prinzip folgte auch Putins "Intervision". Nur den russischen Tanz gab es dieses Mal nicht. Der russische Sänger Jaroslaw Dronow, alias Schaman, trat in einer futuristischen Ledermontur auf – samt militärisch anmutenden schweren Stiefeln. Eine Lederjacke mit der russischen Fahne auf dem Ärmel im Look der SS und ein blondierter Schopf sind die Markenzeichen des Sängers. Und auch wenn er mit einem anderen Lied in den Wettbewerb ging, ließ er sich nicht nehmen, die berühmteste Zeile seines Propaganda-Schlagers zu grölen: "Ich bin Russe."

Ganz so, wie es einer Kolonialmacht gebührt, zeigte sich Dronow im Namen seines Landes gnädig. Nach seinem Auftritt bat er die Jury, seinen Auftritt bitte nicht zu bewerten. "Das Gesetz der Gastfreundschaft" gestehe ihm kein Recht auf den Sieg zu, erklärte er. Und Russland sei ohnehin der Sieger. Eine gönnerhafte Geste, die das russische Überlegenheitsgebaren dieses Abends auf den Punkt bringt. Und so durfte Vietnam sich einmal als Sieger fühlen – von Russlands Gnaden.

Grabesstille statt Triumph

Ob der Herr im Kreml sich an diesem Abend als Sieger gefühlt hat, ist allerdings fraglich. Aus dem großen, triumphalen Knall ist nichts geworden. Milliarden von TV-Zuschauern würden sich die Show ansehen, hatte im Vorfeld die Kreml-Propaganda geprahlt. Alle Werbetrommel ratterten ohne Unterlass. Am Ende wollte aber nicht einmal das heimische Publikum einschalten. "So viele Emotionen, so viele Eindrücke", sagte der Moderator der Show am Ende in eine Grabesstille hinein. Die Arena bei Moskau und die 11.000 bestellten Zuschauer schwiegen. Nächstes Jahr soll nun Saudi-Arabien die Scharade fortsetzen. Fragt sich nur, für wen, wenn Putin nicht mehr den Kolonialherrscher geben kann.

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