t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon


HomePolitikAuslandInternationale Politik

Nato nach russischen Provokationen: Das hat das Verteidigungsbündnis vor


Stimmung in der Nato
"Deutliche Zeichen an den Kreml"


22.09.2025Lesedauer: 4 Min.
Informelles Treffen Nato-Außenminister in der TürkeiVergrößern des Bildes
Nato-Generalsekretär Mark Rutte (Archivbild): Das Verteidiungsbündnis tut sich teilweise mit Reaktionen schwer. (Quelle: Khalil Hamra/AP/dpa/dpa-bilder)
News folgen

Wiederholt provoziert Russland die östlichen Nato-Staaten. Die finden bisher keine durchschlagende Antwort. Wie wird das Verteidigungsbündnis jetzt vorgehen?

Es sind herausfordernde Zeiten für die Nato. Zwar sah sich das westliche Verteidigungsbündnis in den vergangenen Jahren immer wieder russischen Sabotageaktionen, Grenzverletzungen und Provokationen ausgesetzt, so geballt wie in den vergangenen Wochen waren die russischen Störaktionen aber bisher noch nie.

In der Folge hat Estland nun Nato-Beratungen auf Basis des Artikels 4 einberufen. Dieser greift, wenn Mitgliedstaaten die Unversehrtheit ihres Territoriums bedroht sehen. Zuvor hatte bereits Polen von diesem Recht Gebrauch gemacht. Geholfen hat das offenbar kaum, denn die Provokationen gingen weiter. Nun mehren sich auch in Deutschland die Stimmen, die härtere Mittel gegen Russland fordern, etwa den Abschuss von Kampfjets, sollten diese erneut Nato-Gebiet überfliegen.

Doch wie ist die Stimmung innerhalb der Nato? Die von Estland einberufenen Beratungen sollen am Dienstag stattfinden. Das Verteidigungsbündnis ist um Geschlossenheit bemüht, gleichzeitig zeigen die neuen Forderungen, dass nicht alle Mitglieder die bisherigen Maßnahmen als wirkungsvoll betrachten und mancherorts mehr Handlungsbedarf gesehen wird. Allerdings gibt es auch Grund zur Entwarnung.

Jedes Land mit einer anderen Wahrnehmung

Dass es der Nato bisher schwerfällt, eine gemeinsame angemessene Reaktion zu finden, sieht der ehemalige Nato-Kommandeur Hans-Lothar Domröse insbesondere in der Vielzahl der Mitglieder und ihrer jeweiligen Bewertung der Situation begründet. Im Gespräch mit t-online erklärt er: "Jedes Land hat eine andere Wahrnehmung von Gefahr. Die unterscheidet sich in Italien und Deutschland ebenso wie in Estland und Portugal."

Hans-Lothar Domröse: Der Ex-General warnt vor überzogenen Erwartungen an eine ukrainische Offensive.
(Quelle: Malte Ossowski/SVEN SIMON/imago-images-bilder)

Zur Person

Hans-Lothar Domröse ist General a. D. des Heeres. Der Berufsoffizier trat 1973 in die Bundeswehr ein, an der Universität der Bundeswehr Hamburg studierte er Wirtschaftswissenschaften mit Abschluss Diplom-Kaufmann. Domröse war in seiner Dienstzeit Truppenführer auf allen Ebenen, daneben im Verteidigungsministerium, im Bundeskanzleramt und bei der EU tätig. Zuletzt war er vier Jahre bis zu seiner Pensionierung 2016 Befehlshaber des Allied Joint Force Command Brunssum der Nato in den Niederlanden.

So werden die betroffenen osteuropäischen Staaten mit direkter Grenze zu Russland oder der Ukraine offenbar von weiter entfernten Staaten gebremst.

Daher ist es laut Domröse wichtig, weiter im Gespräch zu bleiben. "Man kann keinem Land verbieten, die Verträge auszunutzen. Wenn sich ein Land bedroht fühlt, muss man darüber sprechen." Gleichzeitig mahnt er zu mehr Zurückhaltung bei offiziellen Schritten. "Die Nato-Mitglieder müssen vorsichtig vorgehen und können nicht jede Woche Artikel vier strapazieren", betont er.

"Wir waren wach und hätten die Gefahr gebannt"

Doch wie soll diese Zurückhaltung aussehen, wenn die Gefahr real ist und Russland mit Präsident Wladimir Putin mehrmals pro Woche den Nato-Luftraum verletzt? Domröse hält die bisherige Strategie für angemessen. Die russischen Kampfjets wurden von italienischen F-35-Jets nach wenigen Minuten abgefangen, ein Teil der unbewaffneten Drohnen in Polen wurde abgeschossen, auch am Wochenende stiegen die Eurofighter schnell auf. Zudem startete die Nato in der Vorwoche die Operation "Eastern Sentry", bei der mehrere zusätzliche Kampfjets die Nato-Ostflanke absichern sollen.

Für Domröse haben diese Maßnahmen bisher ihren Zweck erfüllt: "Wir waren wach und hätten die Gefahr gebannt, wäre es brenzlig geworden." Diese Reaktion hat laut dem Ex-General gezeigt, "dass unser System funktioniert. Die Nato hat entschlossen deutlich gemacht, dass Putin nicht folgenlos in Nato-Gebiet eindringen darf. Das hat sie geschafft, ohne zu aufgeregt zu reagieren."

Er folgt dem Credo: "Es muss stets das mildeste Mittel, das möglich ist, eingesetzt werden." Putin habe so registriert, dass die Nato in der Lage ist, schnell zu reagieren und schnell auf russische Verletzungen des Luftraums reagiert werden kann.

Forderungen nach dem Abschuss russischer Jets

Das sieht nicht jeder so. Der tschechische Präsident Petr Pavel forderte Diskussionen über einen "möglichen Abschuss russischer Maschinen". Solche Stimmen gibt es mittlerweile auch in Deutschland. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt forderte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, "dass jede militärische Grenzverletzung mit militärischen Mitteln beantwortet wird, bis hin zum Abschuss russischer Kampfjets über Nato-Gebiet". Die Bundesregierung zeigt sich bisher zwar zögerlich, doch auch weitere Politiker der Regierungsparteien fordern mittlerweile ein härteres Vorgehen.

Als Vorbild dient dabei ein Vorfall aus dem Jahr 2015, als ein russisches Militärflugzeug in den türkischen Luftraum eindrang und abgeschossen wurde. Echte Konsequenzen im Sinne einer militärischen Eskalation blieben aus, russische Luftraumverletzungen in der Türkei gab es seitdem nie wieder.

Zum jetzigen Zeitpunkt hat Domröse aber Bedenken beim Abschuss russischer Kampfjets. Solange sich diese aus dem Nato-Lufraum herausbegleiten lassen, bestehe dafür kein Anlass. Allerdings: Sollten Warnschüsse und Abdrängversuche nicht mehr wirken, so sei es für die Nato durchaus möglich, einen Kampfjet auch abzuschießen. Domröse schränkt aber ein: "Das bedeutet nicht, dass es sinnvoll ist. Ich erschieße auch nicht jeden Einbrecher."

Loading...
Loading...

Sollte es zu einem Abschuss kommen, hätte dies ernste Konsequenzen für die Nato, warnt Domröse. Die Einsatzbereitschaft müsste unmittelbar und permanent hochgefahren werden, um sich vor möglicher russischer Vergeltung zu schützen. Die Kosten dafür seien hoch – und so schnell könne dieser Schritt nicht rückgängig gemacht werden. Auch deshalb halte sich die Nato mit scharfen Reaktionen bisher zurück.

Stimmung in der Nato "nicht verzweifelt"

Der General a. D. fordert daher: "Die Zeichen an den Kreml müssen deutlich sein" – ohne aber zu vorschnell und unbedacht zu reagieren. Daher seien auch öffentliche Drohgebärden nicht hilfreich. Vielmehr gelte es, die Verteidigungsbereitschaft leise weiter zu erhöhen, ohne offizielle Verlautbarungen.

Die Alarmkette an der Ostflanke funktioniere bisher lückenlos. Die "Nato Integrated Air and Missile Defence" sei auf alle bisherigen Bedrohungen vorbereitet. Allerdings kann die Nato in Europa insbesondere größere Bedrohungen wie Interkontinentalraketen bisher nicht adäquat abwehren.

Dennoch sieht der ehemalige Nato-Kommandeur Domröse die Nato nicht überfordert. Dementsprechend sei auch die Stimmung: "professionell angespannt, aber weder aufgeregt noch verzweifelt". Daran ändern auch die vermehrten russischen Provokationen vorerst nichts.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Lothar Domröse
  • zeit.de: "Einfach abschießen?" (kostenpflichtig)
  • nato.int: "NATO Integrated Air and Missile Defence" (englisch)

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom