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Benjamin Netanjahu wütet bei der UN-Generalversammlung gegen den Westen


Israelische Regierung am Pranger
Jetzt zieht er Deutschland mit hinein

Eine Analyse von Patrick Diekmann

27.09.2025Lesedauer: 6 Min.
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Im Video: UN-Delegierte boykottieren Netanjahus Rede in New York. (Quelle: t-online)
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Kein Bedauern, keine Nachsicht: Israels Premier Benjamin Netanjahu rechtfertigt vor der UN-Generalversammlung das Blutvergießen im Gazastreifen mit dem Kampf gegen den Terror. Es ist eine Wutrede, die vor allem seinem Land schadet.

Patrick Diekmann berichtet aus New York City.

Es ist die erwartete Eskalation. Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Freitag in New York an das Rednerpult der UN-Generalversammlung tritt, verlassen sehr viele Delegierte anderer Nationen den Saal – darunter auch viele europäische Diplomaten. Aus Protest gegen die israelische Kriegsführung im Gazastreifen und gegen die Blockade einer Zweistaatenlösung durch Israels Regierung.

Die Delegierten bilden beim Verlassen eine lange Reihe. Sie applaudieren einander, auch von den Rängen kommt Applaus. Netanjahu steht derweil am Rednerpult, blickt kühl und ohne eine Miene zu verziehen in den Saal hinunter. Er muss eben diese Reaktion der internationalen Gemeinschaft erwartet haben.

Immerhin hatte sich mit Blick auf das Leid der Zivilisten in Gaza und der von der Hamas entführten Geiseln der Ton vieler Staaten gegenüber Israel in den vergangenen Tagen verschärft. "Diese Woche haben die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Australien, Kanada und anderen Ländern bedingungslos einen palästinensischen Staat anerkannt", sagt Netanjahu. Dies sei nach den Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober 2023 geschehen, die von fast 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung gelobt worden seien. Dies sei ein "Zeichen der Schande".

Auch während der Woche der UN-Generalversammlung stimmte eine deutliche Mehrheit von 142 UN-Staaten für eine Zweistaatenlösung – auch Deutschland spricht sich dafür aus. Israel nannte das einen "politischen Zirkus". Die Länder, die einen palästinensischen Staat anerkennen, hätten eine "klare Botschaft" an die Palästinenser gesendet: "Juden zu ermorden zahlt sich aus", so Netanjahu. Auch der gemäßigteren Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die Teile des Westjordanlands verwaltet, warf Israels Regierungschef erneut vor, Terrorismus zu fördern.

So ist es nicht überraschend, dass Netanjahu am Freitag vor einem fast leeren Saal spricht. Stören tut das den israelischen Regierungschef kaum. Er hält die Wutrede, die viele Experten befürchtet hatten. Keine Empathie für die Todesopfer im Krieg, kein Verständnis für die Kritik an der israelischen Kriegsführung. Netanjahu verhärtet an diesem Freitag die Fronten und demonstriert, dass er eigentlich nur einen Freund für seine Pläne braucht: nämlich US-Präsident Donald Trump.

Israel will den "Job" beenden

Dabei weiß "Bibi", wie Netanjahu genannt wird, eigentlich, wie die Vereinten Nationen funktionieren. Von 1984 bis 1988 war er der israelische UN-Botschafter. Er spricht fließend Englisch und ihm wird nachgesagt, dass die UN sein Wohnzimmer waren und er sich in New York immer noch wohlfühlt.

Netanjahu ist durchaus bewusst, dass ein Großteil der internationalen Staatengemeinschaft nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 an seiner Seite stand. In einem wahren Blutrausch hatten die Islamisten in Israel knapp 1.200 Menschen getötet und 240 Geiseln verschleppt. Unter den Todesopfern waren auch Kleinkinder und Großeltern. Die Terroristen vergewaltigten Frauen – bevor sie sie ermordeten.

Viele Staats- und Regierungschefs – darunter auch die Bundesregierung – sehen Israels Krieg gegen die Hamas als legitimen Akt der Selbstverteidigung. Nun sagt Netanjahu vor den Vereinten Nationen: "Ein Großteil der Welt erinnert sich nicht mehr an den 7. Oktober. Doch wir erinnern uns." Israel würde den "Job" beenden.

Das hat mit der Realität jedoch wenig zu tun. Viele Staaten sowie die UN als Institution mussten in den vergangenen Jahren ansehen, wie die israelische Armee Zehntausende Zivilisten im Gazastreifen tötete und einen Großteil aller Gebäude in dem Gebiet zerstörte. Zeitweise wurde, wie von den Vereinten Nationen belegt, der Hunger der Zivilbevölkerung als Waffe eingesetzt und Israels Armee griff überall dort an, wo sie Hamas-Mitglieder vermutete – auch im Libanon und zuletzt in Katar.

Netanjahu geht es vor allem um Rache – und nicht um die Sicherheit seines Landes. Im Gegenteil. Mit jedem Tag mit Todesopfern im Gazastreifen steigt auch die Anzahl von Menschen, die sich an Israel rächen möchten. Netanjahu könnte damit den Terroristen neuen Zulauf bescheren – und das weiß natürlich auch die Hamas.

Netanjahu präsentiert noch immer keinen Plan

Vor den Vereinten Nationen spricht Israels Premier nun davon, Israel langfristig absichern zu wollen. Aber wie? Israels Premier erklärt am Freitag nur, gegen was und wen er ist: gegen eine Zweistaatenlösung, gegen eine Zukunft der Hamas. Israel werde das Terrorregime vernichten und: "Israel wird nicht zulassen, dass ihr uns einen Terrorstaat aufzwingt", sagt er an den Westen gerichtet.

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Doch eine Lösung des Dilemmas präsentiert Netanjahu nicht. Und diesen Plan hätte es an dieser Stelle, vor den UN, gebraucht, um viele Staaten zu beruhigen – neben Empathie für die Zehntausenden Todesopfer. Von Netanjahu bekommen sie in seiner Rede vor allem Respektlosigkeit und Wut.

Israels Premier wirft den Regierungs- und Staatschefs, die Palästina als Staat anerkannten, vor, vor Teilen ihrer Bevölkerung und vor den Medien zu "buckeln". Das ist durchaus makaber, da laut Angaben des Auswärtigen Amtes schon über 200 Medienschaffende in Gaza ums Leben kamen. Laut Netanjahu seien die zivilen Opfer kein legitimer Grund für Kritik, denn jeder Staat würde ähnlich handeln, wenn er von Terroristen angegriffen werde. "Die USA würden das Terrorregime vernichten", meint er.

Aber würden sie das? Auch in diesem Zusammenhang hat die israelische Führung das Problem, dass sie keinen Plan für eine langfristige Lösung hat. Denn die Amerikaner haben in der Geschichte nicht alle ihrer Feinde beseitigt. Deutschland wurde etwa nach dem Zweiten Weltkrieg entnazifiziert. Sie warteten auch viele Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2011 ab, bis sie Al-Qaida-Chef Osama bin Laden erwischten.

"Das werden wir nicht zulassen"

Die Bundesregierung steht zwar weiterhin an Israels Seite, aber auch aus Regierungskreisen hört man wiederholt, dass man nicht wisse, was Netanjahu eigentlich vorhat. Deutschland sitzt zwischen den Stühlen, möchte vor dem Hintergrund der Shoah weder Israel im Stich lassen, noch hinnehmen, dass Israel das Völkerrecht mit seiner Kriegsführung verletzt. Deshalb bleibt man mit der israelischen Regierung im Dialog, stoppte allerdings auch Waffenlieferungen, die von Israel in Gaza eingesetzt werden können.

Klar ist aber: Das langjährige strategische Ziel Deutschlands im Nahostkonflikt ist eigentlich die Zweistaatenlösung, und die hat Netanjahu in New York erneut abgeräumt. "Das werden wir nicht zulassen." Er sage das nicht, weil er von Rechtsextremen in seiner Regierung getrieben werde, sondern weil 90 Prozent der Menschen in Israel gegen einen palästinensischen Staat seien.

Ohnehin seien sehr viele Staats- und Regierungschefs ihm in den Hinterzimmern dankbar, dass Israel diesen Kampf gegen den Terror führe. "Hinter den Kulissen danken sie uns." In dem Zusammenhang verweist er auf Deutschland und macht damit indirekt klar, dass die Bundesregierung keinen klaren Kurs in ihrer Nahostpolitik hat. Schließlich habe der deutsche Kanzler Friedrich Merz gesagt, dass Israel die "Drecksarbeit" für alle erledige.

Wo steht Trump?

Diese Analyse teilt der israelische Regierungschef ausdrücklich. Überall habe sein Land Terroristen bekämpft, in Gaza, im Libanon, in Syrien, im Irak, im Iran und im Jemen. Er holt einen schwarzen Edding heraus und macht einen Haken hinter die Länder, in denen Israel Islamisten erfolgreich beseitigt hat. Die Botschaft dahinter: Nicht nur Israel, sondern die Welt sei damit sicherer geworden.

Aber ist sie das wirklich? Denn die Tötung von Einzelpersonen kann Terrorregime zwar für kurze Zeit schwächen, aber laut Experten muss auch die Ideologie überwunden werden, um den Terror langfristig zu besiegen.

Netanjahu befasst sich damit in New York nicht. Er rechnet in seiner Rede mit dem Westen ab, dankt dagegen US-Präsident Donald Trump für seine Unterstützung bei den Angriffen auf den Iran.

Die israelische Regierung scheint aktuell vor allem das Bündnis mit den USA pflegen zu wollen. Trump hatte am Donnerstag erklärt, dass er Israel nicht erlauben werde, das Westjordanland zu annektieren – und er zog damit eine rote Linie. Am Montag wird Netanjahu Trump in Washington besuchen. Schon jetzt will er ihn umgarnen, indem er dessen Friedensinitiativen lobt. Netanjahu spricht die "Abraham Accords" an, die von Trump initiierten Abkommen, durch die die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel normalisierten. Er spricht auch von Fortschritten in Gesprächen mit dem Libanon und mit Syrien. Außerdem würde Israel auch christliches Leben in der Region schützen, so Netanjahu.

Das alles sind Signale in Richtung Donald Trump. Nur ihn braucht der israelische Premier, das wird in New York noch einmal deutlich.

Verwendete Quellen
  • Beobachtung der Rede von Benjamin Netanjahu bei der UN-Generalversammlung in New York
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