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Nahost-Experte warnt: Trump könnte Interesse am Gaza-Deal verlieren


Experte zu Gaza-Deal
"Das könnte als Vertragsbruch gewertet werden"

InterviewEin Interview von Mauritius Kloft

14.10.2025Lesedauer: 6 Min.
Hamas-KämpferVergrößern des Bildes
Die Hamas akzeptiert Teile des Trump-Friedensplans. (Archivbild) (Quelle: Abdel Kareem Hana/AP/dpa/dpa-bilder)
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Ein "historischer" Frieden? Nahostexperte Jan Busse warnt: Der Deal zwischen Israel und der Hamas ist brüchig – und Trump könnte das Interesse verlieren, bevor er beginnt, wirklich Geschichte zu schreiben.

Donald Trump feiert sich als Friedensstifter, doch der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas steht auf wackligen Beinen. Während in Jerusalem Premierminister Benjamin Netanjahu um seine politische Zukunft kämpft, droht der fragile Deal schon wieder zu zerbrechen. Zu viele Fragen sind offen: die Übergabe der toten Geiseln, die Entwaffnung der Hamas, der Wiederaufbau des Gazastreifens.

Im Interview mit t-online warnt der Nahostexperte Jan Busse, dass der "historische Moment" schnell verpuffen könnte. Er erklärt, warum Trump den schwierigsten Teil des Friedensprozesses erst noch vor sich hat – und weshalb Europa mehr tun muss, als nur zuzusehen.

t-online: Herr Busse, Donald Trump sprach am Montag von einer neuen Ära für den Nahen Osten. Halten Sie diese Prognose für realistisch?

Jan Busse: Das lässt sich derzeit noch nicht beantworten. Es gibt im Moment lediglich einen Waffenstillstand und einen Austausch von Geiseln und Gefangenen. Der Weg zu einem langfristigen Frieden ist noch weit. Entscheidend wird sein, dass Trump den Prozess nicht nur mit großen Ankündigungen begleitet, sondern ihn auch dauerhaft unterstützt.

Das heißt, er darf das Interesse nicht verlieren, nur weil nun die lebenden Geiseln freigelassen wurden?

Genau. In seiner Rede in der Knesset sagte er bereits, er wolle sich nun Russland und der Ukraine zuwenden. Die Gefahr, dass er das Interesse am Nahostkonflikt verliert, besteht. Der einfache Teil des Abkommens ist geschafft – die schwierigen Fragen aber stehen noch aus: Wird sich die israelische Armee aus dem Gazastreifen weiter zurückziehen? Unter welchen Bedingungen ist die Hamas bereit, sich zu entwaffnen? Wie soll der Gazastreifen neu aufgebaut und verwaltet werden? Und was geschieht mit der Zweistaatenlösung? Das sind komplexe Themen, die Geduld erfordern. Es wird sich zeigen, ob Trump diesen langen Atem hat.

Welche Rolle spielen Deutschland und Europa in diesem Prozess?

Europa hat schon lange anerkannt, dass es in diesem Konflikt nur auf dem Beifahrersitz sitzt. Ohne die USA geht es nicht. Dennoch wäre es jetzt wichtig, dass sich die Europäer stärker engagieren, um die US-Regierung zu unterstützen. Humanitäre Hilfe und der Wiederaufbau in Gaza sind die dringendsten Aufgaben. Die EU könnte zudem ihre Grenzbeobachtungsmission EUBAM Rafah an der Grenze zu Ägypten wieder aktivieren, die 2005 eingesetzt, aber mit der Machtergreifung der Hamas 2007 eingestellt wurde. Das wäre ein sinnvoller Beitrag.

(Quelle: UniBw M / Christian Siebold)

Zur Person

Jan Busse arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung der Bundeswehr-Uni München. Er hält einen Masterabschluss in Global Politics von der London School of Economics and Political Science. Von 2014 bis 2020 war er Co-Direktor des Israeli European Policy Network, von 2017 bis 2022 war er Mitglied der Arab German Young Academy of Sciences and Humanities. Gemeinsam mit Muriel Asseburg hat er das Standwerk "Der Nahostkonflikt: Geschichte, Positionen, Perspektiven" verfasst.

Israel hat inzwischen vier tote Geiseln zurückerhalten. Warum fällt es der Hamas so schwer, diesen Teil des Abkommens einzuhalten?

Das Problem liegt vor allem darin, dass viele Leichen erst lokalisiert werden müssen. Sie liegen teilweise unter den Trümmern zerstörter Gebäude. Das braucht Zeit, und diese Verzögerung könnte als Vertragsbruch gewertet werden. Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat das bereits angedeutet. Damit wächst die Gefahr, dass die Waffenruhe endet. Umso wichtiger, dass die Vermittler eng dranbleiben.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Entwaffnung der Hamas. Wie realistisch ist das?

Das ist eine der großen mittelfristigen Fragen. In der endgültigen Fassung des Abkommens soll die Hamas alle Waffen abgeben. Für die Hamas ist quasi ausgeschlossen, dass sie ihre Waffen direkt an Israel übergibt – eher an ein palästinensisches Gremium. Eventuell könnte sich die Regierung Netanjahu auch zunächst mit einer symbolischen Abgabe zufriedengeben, wobei dies unwahrscheinlich ist. Militärisch kann die Hamas Israel derzeit kaum gefährlich werden. Trump hat sogar gesagt, sie dürfe vorübergehend bestimmte Waffen behalten, um Ordnung im Gazastreifen zu sichern. Das ist zwar nicht im Interesse Israels, könnte aber Chaos verhindern.

Am Ende braucht es also Vertrauen und internationale Kontrolle?

Ja, vor allem Kontrollmechanismen, die von internationalen Akteuren überwacht werden. Ziel muss ein langfristiger Prozess hin zu einer verhandelten Zweistaatenlösung sein. Nur so können radikale Kräfte geschwächt werden. Die Hamas ist auch deshalb so stark geworden, weil es jahrelang keinen Fortschritt im Friedensprozess gab. Moderate palästinensische Kräfte, etwa in der Autonomiebehörde, wurden dadurch geschwächt. Auch wenn diese reformbedürftig, autoritär und korrupt ist, bleibt sie der zentrale Ansprechpartner.

Video | Hier treffen die Hamas-Geiseln wieder auf ihre Familien
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Quelle: t-online

Trump selbst sprach von einem internationalen Gremium, das den Prozess überwachen soll und dem er selbst vorstehen will. Ist dazu schon Näheres bekannt?

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Noch nicht. Wichtig ist aber, dass dies nur eine Übergangslösung sein darf, die später an die palästinensische Bevölkerung übergeht. Sonst entstünde ein illegitimes Protektorat. Unklar ist, wie sich das Verhältnis zwischen dem internationalen "Board of Peace" und einem palästinensischen Expertenrat gestaltet. Auch wer Teil dieser Gremien wird, steht noch nicht fest: Sicher ist nur: Weder Hamas noch Fatah werden daran direkt beteiligt sein.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den Krieg in Gaza auch genutzt, um sich politisch an der Macht zu halten. Wie stabil ist seine Regierung jetzt noch?

Netanjahu konnte seine Regierung mit rechtsextremen Koalitionspartnern aufrechterhalten, indem er den Krieg fortsetzte. Jetzt, da der Krieg beendet ist, wird es für ihn schwieriger. Er hat betont, der Deal diene allein der Geiselbefreiung, nicht dem Kriegsende. Trump hingegen erklärte den Krieg für beendet. Das zeigt, in welchem Spannungsfeld Netanjahu steht. Einerseits üben seine rechten Koalitionspartner massiven Druck aus, den Krieg weiterzuführen und die Hamas endgültig zu zerstören. Andererseits steht er unter internationalem Druck – vor allem vonseiten Trumps –, den Friedensprozess tatsächlich einzuleiten.

Findet sich dieses Spannungsfeld auch in der israelischen Bevölkerung wieder?

In Israel sind viele Menschen zunächst einmal erleichtert über die Freilassung der Geiseln, zugleich ist die Gesellschaft tief gespalten. Die entscheidenden Konfliktlinien werden erst jetzt offen zutage treten.

Der reguläre Wahltermin für die Knesset ist im Oktober 2026.

Richtig. Es könnte aber vorgezogene Neuwahlen geben, falls die Regierung zerbricht. Womöglich wird Netanjahu auch Neuwahlen anberaumen. Er versucht in jedem Fall, aus dem Gaza-Deal politisch Kapital zu schlagen – auch mit der Rückendeckung von Trump. Auffällig war, dass die Reden in der Knesset am Montag – sowohl von Netanjahu als auch dem Oppositionsführer Jair Lapid – bereits wie Wahlkampf klangen.

Netanjahu will sich auch an der Macht halten, da er in einem Korruptionsverfahren steckt. Trump forderte sogar die Begnadigung des israelischen Premiers, obwohl dieser noch gar nicht verurteilt ist.

Ja, das war bemerkenswert. Die Opposition sieht das naturgemäß völlig anders. Netanjahu hatte seine Gerichtstermine immer wieder mit dem Hinweis verschoben, er müsse sich um den Krieg kümmern. Jetzt, da die Waffen schweigen, wird er sich dem Verfahren stellen müssen.

Video | Standing Ovations für Donald Trump
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Quelle: t-online

Insbesondere die Menschen im Gazastreifen atmeten aufgrund der Waffenruhe auf. Wie ist die Lage dort aktuell?

Die humanitäre Hilfe läuft an. Die Vereinten Nationen haben die Strukturen vorbereitet, um Hilfslieferungen zu koordinieren. Etwa 600 Lkw-Ladungen pro Tag sind geplant, um die größte Not zu lindern. Das ist die Zielgröße, die im Abkommen festgelegt wurde. Erste Lkw mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten sind bereits in den Gazastreifen gelangt. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die humanitäre Lage so weit zu stabilisieren, dass dort wieder menschenwürdige Bedingungen entstehen.

Ist Ägypten auf eine Massenflucht aus Gaza vorbereitet?

Schon in früheren Kriegen haben ägyptische Behörden kaum palästinensische Flüchtlinge aufgenommen. Berichten zufolge hatte Netanjahu bereits zu Beginn des Gaza-Krieges versucht, über europäische Regierungschefs Druck auf Ägyptens Präsidenten auszuüben, damit Zivilisten aus Gaza nach Ägypten flüchten können. Doch der hat das entschieden verweigert. Daran dürfte sich nichts ändern. Auch diesmal lehnt Kairo eine Öffnung der Grenze ab. Nach einer großen Flüchtlingsbewegung nach Ägypten sieht es aber auch unabhängig davon momentan nicht aus. Viele tausend Menschen versuchen bereits innerhalb des Gazastreifens, in den Norden zurückzukehren, wo ihre zerstörten Häuser stehen.

Haben Sie noch Hoffnung auf Frieden in Nahost?

Für die Palästinenser war dieses Abkommen mit großer Erleichterung verbunden – nicht nur wegen der Waffenruhe, sondern auch, weil knapp 2.000 Gefangene freigelassen wurden. Wichtig ist aber: Der Druck von Trump muss bestehen bleiben, damit der Friedensprozess weitergeht. Nur so kann ein dauerhafter Frieden entstehen.

Herr Busse, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Jan Busse
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