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Nato-Gipfel: Trügerische Harmonie – Trump und Erdogan zerlegen die Nato


Trügerische Harmonie auf Gipfel
Ein Duo zerlegt die Nato

Von Patrick Diekmann, London

Aktualisiert am 05.12.2019Lesedauer: 6 Min.
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Donald Trump and Recep Tayyip Erdogan beim Familienfoto der Staats- und Regierungschefs auf dem Nato-Gipfel.Vergrößern des Bildes
Donald Trump and Recep Tayyip Erdogan beim Familienfoto der Staats- und Regierungschefs auf dem Nato-Gipfel. (Quelle: Reuters-bilder)

Das war knapp. Beim Nato-Gipfel in London können sich die Staats- und Regierungschefs auf eine Abschlusserklärung einigen. Die Harmonie ist aber lediglich Fassade, dem Militärbündnis droht weiterhin der Kollaps.

Es ist ein Tag der Kontraste in Watford. Idyllische Ruhe liegt über dem Grove Hotel in der Nähe von London. Die Sonne scheint, das komplette Areal ist hermetisch von der Polizei abgeriegelt. Lediglich ein Hubschrauber stört gelegentlich die Stille, oder das Rollen der Koffer der zahlreichen Fernsehteams, die für den Nato-Gipfel in den beschaulichen Londoner Vorort gekommen sind.

In dem Golfressort halten die Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedsstaaten am Mittwoch knapp drei Stunden lang ein Arbeitstreffen ab. Scheinbar mit Erfolg: Gegen Mittag (Ortszeit) verkündet Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Einigung auf eine gemeinsame Abschlusserklärung. Die Ruhe in Watford steht im Kontrast zu dem Trouble in London am ersten Gipfeltag, wo es zu zahlreichen Streitigkeiten unter den Nato-Partnern kam.

Für die Nato ist die Abschlusserklärung ein wichtiges Signal in Zeiten einer fundamentalen Existenzkrise des Militärbündnisses. Aber sie dient vor allem als Feigenblatt für die divergierenden Interessen der einzelnen Mitgliedsländer. Das bedeutet auch: Die Nato versucht ihre Probleme hinter dem Schein der Geschlossenheit zu verstecken. Aber geht die Allianz diese Probleme bis zum nächsten Gipfel im Jahr 2021 nicht an, droht weiterhin der Kollaps.

Es ist die stetige Abkehr vom Multilateralismus vieler Mitgliedsstaaten, die für die Nato zum Problem wird – nationale Interessen nehmen einen immer größeren Raum ein. Dabei stehen vor allem zwei Präsidenten im Fokus, deren Politik eine Gefahr für den Zusammenhalt in der Nato ist:

1. Donald Trump

Für Donald Trump kam die große internationale Bühne gerade zur richtigen Zeit. Zuhause muss sich der US-Präsident mit einem möglichen Amtsenthebungsverfahren herumschlagen. Deshalb will Trump in London für andere Schlagzeilen sorgen. Und nach einem gemeinsamen Frühstück mit Stoltenberg gibt Trump eine große, spontane Pressekonferenz, in der er sich vor allem Frankreich und den französischen Präsidenten Macron zur Brust nimmt. Einige Nato-Partner zeigen sich von dem überraschenden Vorstoß des US-Präsidenten verärgert, für Trump sind die Wortgefechte mit Frankreich und Deutschland innenpolitisch ein Gewinn.

In den USA ist die Nato sehr beliebt. In kaum einem anderen Land bekommt das Militärbündnis so hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Trump nannte die Allianz in der Vergangenheit obsolet. Auch in London bekräftigt er, dass die USA einen viel geringeren Nutzen von der Nato haben, als umgekehrt. Politisch setzt Trump auf sein Kredo "America First" – was zum Problem für die Nato wird, weil die USA von allen Mitgliedstaaten mit Abstand die meisten militärischen Ressourcen stellen.

Trump möchte dies ändern und gibt den US-Führungsanspruch über die Nato immer mehr auf. Der Gipfel in London gab ihm aber die Möglichkeit, sich gegen Emmanuel Macron zu stellen. Dieser hatte die Nato für "hirntot" erklärt. Und plötzlich macht sich Trump für die Nato stark, betont deren Bedeutung für die USA, ohne aber von seiner eigentlichen politischen Agenda abzukehren. Es ist mehr eine symbolische Solidarität, die Trump beim Gipfel in Großbritannien zur Nato zeigt, um im beginnenden US-Wahlkampf zu punkten.

Am Ende reist Trump relativ schnell ab, scheinbar verärgert über den kanadischen Premier Justin Trudeau, der über seine ausschweifende Pressekonferenz gelästert hatte. Dem US-Präsident wird dies letztlich egal sein, für ihn zählt die Präsidentschaftswahl 2020. Die Nato ist Spielball seiner innenpolitischen Interessen.

2. Recep Tayyip Erdogan

Ähnliches gilt für den türkischen Präsidenten. Recep Tayyip Erdogan inszeniert sich beim Gipfel in London erneut als ein starker Präsident, der die türkischen Interessen gegenüber den internationalen Partnern vertritt. Doch diesmal geht er einen Schritt weiter.

Die Türkei verlangt von der Nato mehr Unterstützung im Kampf gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, auch die kurdischen Milizen der YPG in Nordsyrien sollen laut Ankara von der Nato als Terrororganisation eingestuft werden. Erdogan weiß, dass das nicht passieren wird. Denn es waren Teile der Nato, etwa die USA, die die kurdischen Milizen im Kampf gegen die Terrormiliz IS unterstützten. Trotzdem droht Erdogan den Nato-Partnern mit einer Blockade.

Es ist eine Erpressung, um die Verhandlungsposition der Türkei in ganz unterschiedlichen Fragen zu stärken. Denn die Konflikte zwischen Erdogan und seinen Bündnispartnern sind zahlreich. Die Nato kritisiert neben dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien auch den Kauf des russischen S-400-Raketenabwehrsystems. In diesen Fragen ist keine Einigung in Sicht.

Trotzdem stimmt Erdogan, trotz anfänglicher Drohungen, der Abschlusserklärung zu – nach einem Treffen mit Trump. Was Erdogan am Ende zum Einlenken bewogen hat, bleibt abzuwarten. Aber fest steht: Die Türkei bleibt auch nach London der Unruheherd in der Nato, davon profitiert vor allem der russische Präsident Wladimir Putin, der Ankara neue Offerten für Waffengeschäfte unterbreiten wird.

Mit einer stärkeren Bindung an die Türkei möchte Moskau die Nato schwächen und spalten – und hat damit teilweise Erfolg. Die Türkei gefällt sich immer mehr in der Position, zwischen Nato und Russland das bestmögliche für das Land herauszuholen. Für die Nato ist dies eigentlich untragbar, besonders wenn das Bündnis sich von Erdogan erpressen lässt.

Der geschlagene Präsident

Diese eher national-denkenden Kräfte in der Nato benutzen vor allem die "Hirntot"-Erklärung von Emmanuel Macron als Ablenkung. Macron steht auf dem Gipfel, von Deutschland abgesehen, weitgehend allein da. Dabei liegt der französische Präsident gar nicht mal falsch damit, dass sich die Nato strategisch erneuern muss. Der Kalte Krieg ist vorbei und die Allianz hat es lange versäumt, sich den neuen globalen Bedrohungen wie zum Beispiel dem Cyberterrorismus anzupassen.

Doch Macron hat sich mit seiner Wortwahl vergaloppiert. "Hirntot" war schlichtweg zu viel, selbst für die Reformwilligen in der Nato. Aufgeben möchte er dennoch nicht. Auf die Frage, ob er seine Bemerkung bereue, kommt am Mittwoch wie aus der Pistole geschossen: "Überhaupt nicht." Seine ebenso aufsehenerregende wie vernichtende Diagnose habe eine "unentbehrliche" Diskussion angestoßen, sagt der französische Präsident, als er als einer der letzten Gäste am Tagungsort eintrifft. Es liege nun in der Verantwortung aller, eine echte Strategiedebatte zu beginnen.

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Macron steht beim Gipfel in London im Mittelpunkt, seine Thesen sind konfrontativ: "Wie schaffen wir einen dauerhaften Frieden in Europa? ... Wer ist unser Feind? Wie gehen wir gemeinsam gegen den Terrorismus vor?", fragt Macron. Es gebe so viele Themen, die nicht ausreichend geklärt seien.

Der französische Präsident stellt berechtigte Fragen – aber es gibt wenig Appetit bei den anderen Staats- und Regierungschefs wie auch bei Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, darauf einzugehen. Die einhellige Meinung lautet, dass der Franzose dem Bündnis mit seinen Äußerungen einen Bärendienst erwiesen hat. Kaum etwas schadet dem Verteidigungsbündnis nämlich so sehr, wie Zweifel an Vitalität und Zusammenhalt zu wecken.

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Am Ende ist es ein Feigenblatt

Und so ist es am Ende die demonstrative Geschlossenheit, die im Mittelpunkt stehen soll. Das Ergebnis ist mau, alle heiklen Fragen, die sich das Bündnis in der Zukunft stellen muss, wurden vertagt. Wirklich neu ist lediglich, dass die Nato China zunehmend als Bedrohung wahrnimmt. Aber während die USA hier eine konfrontativere Linie der Allianz fordern, sind die Europäer dagegen. Außerdem ist es fraglich, ob eine neue Bedrohung ausreicht, um die divergierenden Interessen innerhalb der Nato auch in Zukunft zusammenzuhalten.

Das weiß auch Jens Stoltenberg. Am zweiten Gipfeltag gibt sich die Nato alle Mühe, zu demonstrieren, dass sie alles andere als hirntot ist. Stoltenberg ist während der zwei Tage stets darum bemüht, die Gemeinsamkeiten innerhalb des Bündnisses zu betonen. "So wie sich die Welt um uns herum verändert, wird sich auch die Nato weiter verändern", sagt der Generalsekretär auf seiner abschließenden Pressekonferenz. Die Stärke der Nato sei, dass alle der mittlerweile 29 Alliierten trotz Differenzen bislang immer gemeinsam hinter der Kernaufgabe des Bündnisses gestanden hätten. Diese laute, sich gegenseitig zu schützen und zu verteidigen. "Wir stehen zusammen, alle für einen und einer für alle."

Es brodelt in der Nato

Doch es ist kein Zufall, dass sich Stoltenberg immer zu derartigen Parolen gezwungen fühlt. Der Nato-Gipfel in London hat gezeigt, dass das Militär- und Verteidigungsbündnis in Takt ist, aber das Wertebündnis bröckelt. In der Abschlusserklärung heißt es, die Nato garantiere die Sicherheit des Bündnisgebiets, seiner eine Milliarde Bürger und dazu auch gemeinsame Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Zumindest für oppositionelle Politiker und Medien in Nato-Ländern wie der Türkei, Polen und Ungarn dürfte das wie Hohn klingen.


Und dies ist nur ein Beispiel, das aufzeigt, wie stark die Bündnispartner in entscheidenen Fragen auseinanderliegen. Das letzte strategische Konzept der Nato stammt aus dem Jahr 2010. Bislang hat das Bündnis nicht einmal versucht, ein neues Konzept zu entwerfen – vor allem aus Angst aufgrund unterschiedlicher Interessen krachend zu scheitern. Diese Handlungsunfähigkeit in großen Fragen wird in den nächsten Jahren die zentrale Bedrohung für die Allianz bleiben.

Fest steht: Trotz der in London demonstrierten Geschlossenheit brodelt es in der Nato, auch im idyllischen Watford. Hinter der Fassade.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
  • Mit Material von dpa und Reuters
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