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Interview: Russland ist aus amerikanischer Sicht "permanenter Störenfried"


Wolfgang Ischinger
"Russland ist aus amerikanischer Sicht ein permanenter Störenfried"

  • Gerhad Spörl
InterviewVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 14.06.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Joe Biden beim G7-Gipfel im englischen Carbis Bay: Der US-Präsident schlägt in Europa andere Töne als sein Vorgänger an.Vergrößern des Bildes
Joe Biden beim G7-Gipfel im englischen Carbis Bay: Der US-Präsident schlägt in Europa andere Töne als sein Vorgänger an. (Quelle: imago-images-bilder)

Wie wird das Treffen von Joe Biden mit Wladimir Putin am Mittwoch laufen? Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat keine hohen Erwartungen. Amerika konzentriere sich inzwischen auf ein anderes Land.

Wolfgang Ischinger hat sie alle schon getroffen: Sowohl Joe Biden als auch Wladimir Putin waren bereits Gäste auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die er seit 2008 leitet. Doch nicht nur deshalb gilt der 75-Jährige als einer der großen Kenner der Weltpolitik: Als ehemaliger deutscher Botschafter in Großbritannien und den USA wird er weltweit als politischer Beobachter geschätzt.

Mit Spannung schauen viele auf das Treffen des russischen und des amerikanischen Präsidenten am Mittwoch, deren Länder ein angespanntes Verhältnis pflegen. Im Gespräch mit t-online hat Ischinger allerdings keine hohen Erwartungen an das Treffen. Denn Joe Biden habe inzwischen andere außenpolitische Interessen, die weder in Russland noch in Europa liegen.

t-online: Herr Ischinger, Joe Biden trifft am Mittwoch den Mann, den er einen Mörder genannt hat. War es sinnvoll, dass er so weit ging?

Wolfgang Ischinger: Na ja, derartige Beschimpfungen, öffentlich vorgetragen, mögen aus innenpolitischen Gründen vorteilhaft sein, aber außenpolitisch sind sie es natürlich nicht. Sie hinterlassen zweifelsohne Spuren, zumal das Verhältnis zu Russland ohnehin schwierig genug ist.

Eigentlich ist es sogar zerrüttet: wegen der Einmischung in die Präsidentenwahl, wegen der Hackerangriffe, wegen der Krim und der Ukraine, wegen Belarus. Natürlich ist es richtig, miteinander zu reden und nicht andauernd übereinander. Aber was kann man von diesem Treffen erwarten?

So ist es, und deshalb rate ich dazu, die Erwartungen niedrig zu hängen. Einiges wäre schon gewonnen, wenn die beiden Präsidenten ihren Außenministern Arbeitsaufträge erteilten, damit das Verhältnis auf eine veränderte Grundlage gestellt würde. Das wäre schon was, das wäre schon besser als das, was wir haben. Damit wäre etwas gewonnen.

Joe Biden hat gesagt, er würde Putin klarmachen, dass er einen Wandel im Verhalten erwarte, denn sonst "wird es Antworten geben". Was wären die richtigen Antworten?

Biden beabsichtigt, Angebote zu unterbreiten, die angenommen werden oder nicht. Werden sie es nicht, geht es weiter wie zuletzt, dann blieben zum Beispiel schmerzhafte Sanktionen gegen Geschäftsleute oder Politiker, die Wladimir Putin stützen und unterstützen. Das gilt vor allem für russische Oligarchen.

Erwarten Sie denn, dass Putin sein Verhalten ändert? Aus seiner Sicht ist es doch erfolgreich.

Ich befürchte, da haben Sie einfach recht und Wladimir Putins Neigung, sein Verhalten zu verändern, was der amerikanische Präsident ihm abverlangen möchte, ist nicht besonders groß.

Ist denn Wladimir Putin überhaupt an einem stabilen, berechenbaren Verhältnis zu Amerika interessiert?

Sein primäres Ziel ist defensiv. Ihm liegt an Machterhalt und Konsolidierung des "Cordon sanitaire" um Russland herum. Dieser Cordon reicht von Kasachstan bis zu Belarus. Dazu gehört im Inneren die Repression gegen alles, was der Kreml als Opposition definiert. Die Macht könnten Farbenrevolutionen wie in der Ukraine im Jahr 2014 beeinträchtigen oder gar bedrohen. Und hinter diesen Revolutionen in der Ukraine oder Georgien vermutet Wladimir Putin immer den Westen, immer Amerika.

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Russland hat das Vakuum besetzt, das Amerika hinterlassen hat, zum Beispiel in Syrien, und es fördert die iranische Atompolitik – er stellt sich auf die Seite der Feinde Amerikas.

Aus Putins Sicht bietet die Welt diesen Anblick: Das westliche System aus Demokratie und Wohlfahrtsstaat ist dekadent und überholt. Deshalb handelt er so, wie er handelt. Die Feinde seines Feindes sind seine Freunde. Dabei könnten Putin allerdings zwei Fehleinschätzungen unterlaufen: Er könnte Russland überschätzen und den Westen unterschätzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass ja das russische Bruttosozialprodukt kleiner ist als das Italiens.

Wie wichtig ist eigentlich Russland für Amerika, strategisch betrachtet?

Russland ist als Nuklearmacht Amerika ebenbürtig und damit von enormer Bedeutung – aber eben nur in dieser Funktion. Ansonsten ist Russland aus amerikanischer Sicht vor allem ein permanenter Störenfried, der sich in Vakanzen drängt und zu schaden versucht, wo immer er schaden kann. Amerika würde Russland am liebsten links liegen lassen, kann es eben aber nicht.

Und wie wichtig ist Europa für Amerika, strategisch betrachtet?

Die klugen und erfahrenen Amerikaner wissen, dass Europa zwar öfter mal störrisch ist, aber im Kern doch auch der verlässlichste Partner seit vielen, vielen Jahrzehnten. Aus diesem Grund wird Präsident Biden Europa strategisch nicht links liegen lassen, auch wenn sein Hauptaugenmerk von jetzt an auf China liegt. Das kann man gar nicht ernst genug nehmen, denn die Maxime seiner Außenpolitik ist: China, China, China!

Welche Botschaften hat der amerikanische Präsident auf dem G7-Gipfel in Cornwall Europa überbracht?

Die Wichtigste lautet: America is back! Ihr könnt wieder auf uns vertrauen, auf uns setzen! Amerika will die westlichen Demokratien im heraufziehenden Systemwettbewerb mit China und anderen autoritären Mächten anführen.

Es ist ja keine Neuigkeit, dass Europa mehr Verantwortung übernehmen sollte – und Europa muss es ja auch, will es ernst genommen werden. Haben Sie den Eindruck, dass Biden Nachdruck erzielt hat?

Das hat er ohne Zweifel, aber Europa braucht leider seine Zeit, weil es störrisch ist und sich mit der Einsicht in die Notwendigkeit schwertut, die "Sprache der Macht" zu lernen, wie es Amerika ihm aufgibt. Die Einsicht muss schnell wachsen, denn sonst wird Europa von der globalen Rivalität der Großmächte an die Wand gedrückt. Dazu gehört in Zukunft, dass Europa sich eng mit Demokratien weltweit strategisch abstimmt – nicht nur mit den USA und Kanada, sondern auch mit Australien und Südkorea, aber auch mit Indien.

Biden erpresst seine Verbündeten nicht, er bittet und beschwört sie. Ist diese Methode aussichtsreicher als Trumps?

Ja klar, selbstverständlich. Erpressung erschüttert und zerstört auf Dauer jedes Vertrauensverhältnis. Vertrauen ist in jeder Hinsicht besser, auf Vertrauen kommt es im Verhältnis demokratischer Staaten zueinander entscheidend an.

Der deutsche Außenminister schlägt vor, das Vetorecht für die europäische Außenpolitik zu streichen. Recht hat er damit, aber bekommt er auch recht?

Ich fordere diese Reform schon lange an. Durchsetzen lässt sie sich jedoch nur Schritt um Schritt. Auch diese Veränderung ist übrigens eine Sache des Vertrauens. Die kleinen Länder der Europäischen Union befürchten ja, sie würden von den Großen untergebuttert, sobald sie ihr Vetorecht aufgeben.

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Ungarn spielt immer wieder den Beelzebub und blockiert Beschlüsse, vor allem wenn sie China berühren. Viktor Orbán macht keinen Hehl aus seiner Geringschätzung für Europa. Ist es sinnvoll, so ein Mitgliedsland in der EU zu halten?

Ja, es ist sinnvoll, da Ungarn ein wichtiges Land für die Europäische Union darstellt. Viktor Orbán wird nicht ewig regieren. In solchen Fällen braucht die Europäische Union strategische Geduld und dazu rate ich ihr.

In Cornwall war Angela Merkel zum letzten Mal dabei. Hochgeachtet ist sie – auch deshalb, weil sie Deutschlands Interessen verhalten vertrat, auf Konsens bedacht?

Na ja, manche Länder sehen die Kanzlerin anders, sogar als jemanden, der deutsche Interessen massiv durchsetzte. Richtig ist allerdings, dass es mit Angela Merkel nie lauten öffentlichen Streit gab. Man kann seine Interessen offenbar auch anders wahren, das ist mehr als eine Stilfrage. International hochgeachtet ist die Kanzlerin auch aus einem anderen Grund: Auf ihr Wort war Verlass, und das 16 Jahre lang!

Ihre Maxime lautete etwa so: nichts beschönigen, aber auch nicht die Konfrontation suchen. Menschenrechte sind wichtig, aber sollten den Handel nicht beeinträchtigen. Würden Sie diese deutsche Haltung auch dem nächsten Kanzler / der nächsten Kanzlerin ans Herz legen?

In der Außenpolitik ist es die schwierigste Aufgabe überhaupt, die richtige Balance zwischen realpolitischer Interessenwahrnehmung und der Verteidigung westlicher Werte zu finden. Mein Rat wäre, Menschenrechte stets gemeinsam in der Europäischen Union zu thematisieren und zu vertreten. Wenn ein Bündnis, das 450 Millionen Menschen umfasst, mit einer Stimme Missstände in der Welt kritisiert, egal wo, dann hat das Gewicht und ist nicht so leicht zu ignorieren.

Deutschland soll und will ja mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Was heißt das konkret für das Verhältnis zu China?

Deutschland soll, erstens, Führungskraft in der EU zeigen und auf eine kohärente Strategie in der Außenpolitik dringen. Und zweitens soll Deutschland diese Strategie zum Gegenstand transatlantischer Koordinierung machen. An nationale Alleingänge denkt ja niemand, der von Deutschland eine größere Rolle erwartet.

Heißt das gegenüber Russland ein Moratorium auf unabsehbare Zeit für Nord Stream 2 – für die Gasleitung durch die Ostsee nach Lubmin?

Meiner Meinung nach sollte der Ball nach Russland gespielt werden. Die Botschaft müsste lauten: Die Gasleitung von Nord Stream 2 wird erst dann geöffnet, wenn Russland die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass zum Beispiel das Europäische Parlament seine ablehnende Haltung ändern kann. Dazu könnte zum Beispiel die Freilassung Alexej Nawalnys zählen.

Heißt das Rückzug aus Afghanistan und Fortsetzung des Einsatzes in Mali?

In Afghanistan war Deutschland nur eine Hilfstruppe Amerikas. Deshalb heißt es: rein mit ihnen, raus mit ihnen. Allein könnte die Bundeswehr ja nicht mal unsere Soldaten logistisch und strategisch betreuen und schützen. In Mali liegt der Fall anders. Dort müssen wir gemeinsam mit Frankreich klären, ob und wie ein gemeinsamer Einsatz längerfristig sinnvoll ist.

Lassen Sie uns zum Schluss kurz in die Ferne schweifen: Wie sehen die Verhältnisse in dreieinhalb Jahren am Ende der Amtszeit Joe Bidens aus – wie stark ist Amerika, Europa, China?

Das wichtigste Ziel wird sein, dass es keinen zweiten Trump oder Trump zum zweiten Mal nach Biden gibt. Deshalb eröffnet sich für Europa eine neuartige Aufgabe, nämlich sich aus eigenem Interesse massiv für den Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahl zu engagieren. Außerdem hoffe ich, dass es bis 2023 eine effektive transatlantische Koordinierung für den Umgang mit China geben wird und dass sich Amerika weiterhin in Europa engagiert. Strategische Autonomie, wie es einige sich hierzulande wünschen, klingt gut, aber solange wir uns mit Autokraten wie Wladimir Putin auseinandersetzen müssen, wäre es schon beruhigend, Amerika an unserer Seite zu wissen.

Herr Ischinger, danke für dieses Gespräch.

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