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"Sapad"-Manöver beendet: Hat die Nato auf Russland angemessen reagiert?


Reaktion auf Putins Provokationen
"Das macht einen Krieg mit Russland wahrscheinlicher"

InterviewEin Interview von Simon Cleven

Aktualisiert am 18.09.2025Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putin inspiziert in der russischen Region Nischni Nowgorod das Manöver "Sapad 2025": Die Übung ging am Dienstag zu Ende. (Quelle: IMAGO/Sergei Bobylev/imago)
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Das "Sapad"-Manöver ist vorbei, die Gefahr durch Russland jedoch nicht gebannt. Hat die Nato angemessen auf die jüngsten Provokationen des Kreml reagiert? Militärhistoriker Sönke Neitzel fordert, dass auch über die Offensive nachgedacht werden müsse.

Das russisch-belarussische Manöver "Sapad 2025" hielt westliche Militärs über Monate hinweg in Atem. Würde Putin die Übung abermals als Startrampe für einen Krieg nutzen? Das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum nur wenige Tage vor dem Start von "Sapad" schien die Befürchtungen zunächst zu bestätigen. Das Manöver ging dann jedoch ohne größere Zwischenfälle vorüber. Für die Planungsstäbe der Nato aber geht die Arbeit jetzt erst richtig los.

Die russische Drohnenprovokation forderte das Bündnis heraus. Die Nato reagierte zunächst mit der Mission "Eastern Sentry", mit der der Luftraum besser geschützt werden soll. Aber reicht das? Der Militärhistoriker Sönke Neitzel sagt im Interview mit t-online: "Man kann nicht nur die Abwehr aufstellen, sondern muss auch über die Offensive nachdenken." Er fordert, dass die Nato Russland klarere rote Linien aufzeigt. Dabei sieht er auch Handlungsbedarf beim gerade erst von der Bundesregierung verabschiedeten Wehrdienstgesetz.

Herr Neitzel, im März warnten Sie vor dem womöglich "letzten Sommer in Frieden". In der vergangenen Woche kam es dann zur russischen Drohnenprovokation im Luftraum Polens. Was haben Sie an jenem Morgen gedacht, als Sie davon erfuhren?

Sönke Neitzel: Meine erste Reaktion war: Erst mal abwarten! Die Berichte und Interpretationen überschlagen sich in solchen Momenten schnell. Viele verfallen dann in Hektik, wie auch beim Einschlag einer ukrainischen Flugabwehrrakete in Polen 2022. Man muss aber einen kühlen Kopf bewahren.

(Quelle: Kai Bublitz)

Zur Person

Sönke Neitzel (geb. 1968) ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam. Sein Schwerpunkt liegt auf der internationalen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie auf der Geschichte der Bundeswehr. Im März erschien Neitzels Buch "Die Bundeswehr: Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende" im Verlag C.H. Beck.

Unbegründet war die Aufregung nicht, immerhin drangen 19 Drohnen in den polnischen Luftraum ein.

In der Retrospektive hat das natürlich eine besondere Qualität. Bei einer solchen Zahl an Drohnen lässt sich kaum mehr mit Zufall argumentieren. Aber insgesamt verwundert das nicht. Militärkreise sprechen seit Langem davon, dass wir uns in einem hybriden Krieg mit Russland befinden. Da kann eine solche Provokation nicht mehr überraschen. Was mich im Vergleich zum März allerdings ruhiger schlafen lässt, ist der Umstand, dass das "Sapad"-Manöver in diesem Jahr deutlich kleiner als erwartet ausfiel.

Das liegt wohl vor allem daran, dass Russland stark in seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine eingebunden ist. War das im März nicht vorherzusehen?

Nein, insbesondere die Litauer hatten damals beispielsweise große Angst vor "Sapad 2025". Meine Aussage aus dem Frühjahr war auch keine Prophezeiung, sondern ein Weckruf, dass wir uns klarmachen müssen, dass die Lage eskalieren kann. Sicherheitskreise schätzen die Wahrscheinlichkeit weiterhin auf über 50 Prozent, dass wir in den kommenden Jahren eine militärische Konfrontation sehen werden. Das ginge weit über eine Provokation mit Drohnen hinaus.


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Putin fährt einen Kurs, Donald Trump bei der Stange zu halten.


Sönke neitzel


Hatten Sie im März auch ein solches Drohnenszenario im Kopf?

Das gehörte zu meinen Überlegungen. Insgesamt werden aber breitere Szenarien besprochen, etwa russische Soldaten im Baltikum oder auf Spitzbergen. Gott sei Dank sehen wir das noch nicht. Aber wer will das in Zukunft ausschließen? Immer wieder wird das Jahr 2029 als möglicher Zeitpunkt einer Eskalation genannt. Wir sollten uns nicht auf dieses Jahr fixieren, denn ob es vielleicht im nächsten Jahr, 2027 oder 2028 schon losgeht – oder auch gar nicht –, kann niemand sicher vorhersagen. Um solch ein Szenario zu verhindern, müssen wir aber schnell Signale der Stärke senden.

Allerhand Signale sendete auch Russland während der "Sapad"-Übung. US-Militärbeobachter waren vor Ort, Indien ließ sogar Soldaten teilnehmen. Wie bewerten Sie das?

Putin fährt einen Kurs, Donald Trump bei der Stange zu halten. Er trifft sich mit ihm in Alaska, nun lässt er die Beobachter zu. Er kann dann sagen: Wir spielen mit offenen Karten. Natürlich sehen die US-Militärs nur ausgewählte Teile der Manöver. Das nutzen die Russen, um die Leistungsfähigkeit ihrer Truppen zu demonstrieren. Jetzt ging es wohl darum zu zeigen: Wenn wir wollen, können wir schnell auf Nato-Territorium vordringen.

Video | Luftraum gesperrt: Russland und Belarus beginnen Großmanöver
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Quelle: dpa

Das müsste die US-Militärs alarmieren.

Ja, aber die russische Hoffnung dahinter wird sein, dass die Amerikaner zurück zu Hause ihrer Regierung sagen: Wir sollten uns besser auf einen Kuhhandel mit Russland einlassen. Wenn es eine einmalige historische Chance für Russland zu einem solchen Deal mit den USA gibt, dann jetzt mit der Trump-Administration.

Und was hat es mit den Indern auf sich?

Da geht es Russland darum, zu zeigen, dass man weiterhin nicht isoliert ist. Das Signal ist: Ihr könnt Indien nicht zu einem Gegner Russlands machen. Dazu hat auch Trump mit seinen Zöllen beigetragen. In Shanghai zeigte Indien kürzlich den Schulterschluss mit China. All das sind keine guten Zeichen. Aber man muss auch sagen: Es hätte schlimmer kommen können.

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Das Signal war: Wir haben Hightech in Polen und setzen diese Waffen auch ein.


Sönke Neitzel


Wie denn?

Ich sage das abermals mit Blick auf den "letzten Sommer in Frieden". Wir sehen eben noch keine Konfrontation. Dazu hat auch die besonnene Reaktion der Nato beigetragen. Den Russen ist kein großer Durchbruch in der Ukraine gelungen. Noch gibt es die Nato – daran konnte man durchaus zweifeln, wenn man sich die Schockwirkung der Rede des US-Vizepräsidenten Vance in München und des Treffens zwischen Trump und Selenskyj im Weißen Haus im Februar in Erinnerung ruft.

In der vergangenen Woche ließ die Nato F-35-Jets gegen russische Drohnen aufsteigen, Polen rief die Partner zu Konsultationen nach Artikel 4 zusammen, am Ende steht die Mission zur Luftraumüberwachung "Eastern Sentry". Wie bewerten Sie diese Reaktion?

Es ist eine kraftvolle Reaktion gewesen, russische Drohnen auch abzuschießen. Das ist eine neue Entwicklung. Gleichzeitig ist man nicht hysterisch geworden, sondern hat besonnen reagiert und das auch gut kommuniziert. Wer wusste vorher schon, dass niederländische F-35-Jets in Polen stationiert waren? Das war wohl eher Experten bekannt. Dass man überhaupt ein solches Kampfflugzeug der Europäer einsatzbereit hat, ist auch ein gutes Zeichen. Das Signal war: Wir haben Hightech in Polen und setzen diese Waffen auch ein.

Manche Experten prognostizieren für den Ukraine-Krieg Angriffe mit bis zu 2.000 Drohnen. Wie sollte die Nato damit umgehen?

Man sollte sicher nicht nur die Abwehr verbessern, sondern muss auch über die Offensive nachdenken. Es reicht nicht, wenn wir uns nur überlegen, wie wir Drohnenangriffe abwehren. Wenn große Drohnenschwärme nach Polen oder darüber hinausfliegen, muss es irgendwann auch offensive Reaktionen der Nato geben, die Russland wehtun. Vielleicht muss man dann darüber nachdenken, die Startplätze zu zerstören und in Moskau durch eigene Cybermaßnahmen das Licht abzuschalten.

Dann befänden wir uns im Krieg mit Russland.

Das sehe ich nicht so. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele von militärischen Konfrontationen unterhalb einer gewissen Dimension, in denen es um das Austesten ging – und dieses Ringen hat auch Kriege verhindert, weil der Aggressor gemerkt hat, dass er sich eine blutige Nase holt. Es geht darum, Stärke zu zeigen und auf solche Szenarien vorbereitet zu sein. Russland muss klargemacht werden: Wenn ihr der Nato solche Dinge antut, dann wird sie euch wehtun. Noch testet Putin uns: Jetzt waren es 19 Drohnen, vielleicht sind es beim nächsten Mal 50 oder 100. Es muss rote Linien geben, um Putin zu stoppen, ohne in einen großen Krieg hineinzuschlittern.


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Es wird aller Voraussicht nach ernstere Szenarien geben als den Drohnen-Vorfall in Polen.


Sönke Neitzel


Was macht es so schwierig, auf solche Provokationen zu reagieren?

Putin will uns in einen Krieg verwickeln. Und zwar in einen, in dem wir den ersten Schuss abgeben. Er will beispielsweise sagen können: Die Nato greift uns an, obwohl sich unsere Drohnen nur verflogen haben. Diesen Vorwand sollten wir einerseits Russland nicht geben. Andererseits kann Schwäche so etwas provozieren. Es ist natürlich eine Gratwanderung. Bisher hat die Nato das gut gemeistert. Es wird jedoch aller Voraussicht nach ernstere Szenarien geben als den Drohnen-Vorfall in Polen. Letztlich müssen dann Staats- und Regierungschefs entscheiden.

Schwäche, die zu einer Kriegsprovokation werden kann, haben Sie kürzlich der Bundesregierung vorgeworfen. In einem Podcast sagten Sie, dass das neue Wehrdienstgesetz einen Krieg mit Russland wahrscheinlicher macht. Ist das nicht Alarmismus?

Lassen Sie mich kurz den Hintergrund der Aussage erklären. Wir sind das größte Land Europas mit einer langen Wehrpflichttradition. Wir haben außerdem eine Bedrohungslage: Der Kanzler, der Verteidigungsminister, der Generalinspekteur – sie alle sprechen vom Jahr 2029. Zudem hat die Bundeswehr ein massives Personalproblem. Und dennoch setzen wir beim Wehrdienst ausschließlich auf Freiwilligkeit. Mit dem schwedischen Weg, der oft besprochen und zum Vergleich herangezogen wurde, hat das nichts zu tun.

Erklären Sie das bitte.

Dort gibt es eine Auswahlwehrpflicht. Schweden definiert seinen Bedarf und verpflichtet dann die benötigten Rekruten. Auf Deutschland übertragen, ginge es um fünf Prozent eines männlichen Jahrgangs, die verpflichtet werden würden. Wie sollen sonst die drei neuen Brigaden aufgestellt werden, die die Nato fordert? Wie soll sonst die 10. Panzerdivision aufgefüllt werden, die wir der Nato assigniert haben? Diese Leute werden nicht vom Mars kommen und auch nicht durch reine Freiwilligkeit.

Dennoch ist ein Wehrdienst mit Freiwilligkeit ein Fortschritt im Vergleich zur zuvor ausgesetzten Wehrpflicht. Durch direkte Ansprache können wohl mehr Freiwillige gewonnen werden als zuvor. Warum also wird ein Krieg so wahrscheinlicher?

Ich bezweifle, dass sich wirklich mehr Menschen melden. Und selbst wenn: Sie machen dann sechs Monate Wehrdienst und gehen in die Heimatschutztruppe. Der Personalbedarf der Bundeswehr wird so nicht gedeckt, weil wir das Feldheer vergrößern müssen. Es geht um Zeichen: nicht nur an Russland, sondern auch an unsere Partner, die diesem Weg dann vielleicht auch folgen. Wir sind aber für die nötigen Reformen nicht bereit. Das ist kein Signal der Stärke. Putin kann das doch nur als Schwäche interpretieren. Das macht einen Krieg mit Russland wahrscheinlicher.

Wie also kann Deutschland einen Beitrag zur Abschreckung leisten?

Entscheidend ist für uns die Kampfkraft unserer Brigaden, Flottillen und Geschwader. Wir schaffen es derzeit als Staat mit 82 Millionen Einwohnern nicht einmal, sechs U-Boot-Besatzungen aufzustellen. Bei der Abschreckung geht es vor allem um die Perzeption: Wird Deutschland als entschlossener Staat wahrgenommen? Da senden wir und der Rest des Westens in russischen Augen immer wieder auch Signale der Schwäche.

Herr Neitzel, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
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