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Russland gegen Nato und Westen: "Da ist Putin gnadenlos"


Historiker warnt
"Er ist einer der gefährlichsten Männer der Welt"

InterviewEin Interview von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 29.09.2025Lesedauer: 8 Min.
Kim Jong Un: Nordkoreas Diktator ist ein überaus gefährlicher Mann, warnt Historiker Guido Knopp.Vergrößern des Bildes
Kim Jong Un: Nordkoreas Diktator ist ein überaus gefährlicher Mann, warnt Historiker Guido Knopp. (Quelle: ZUMA Press/imago-images-bilder)
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Putin und Co. verachten die Demokratie und herrschen wie Tyrannen: Historiker Guido Knopp erklärt, wie gefährlich die Despoten unserer Zeit sind.

Ein Zeitalter der Demokratie sollte längst angebrochen sein. So verhießen es zumindest Prophezeiungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Doch die Gegenwart sieht anders aus: Autokraten und Despoten sind mächtig geworden. Wladimir Putin etwa bekriegt die Ukraine und will die Nato einschüchtern, Xi Jinpings wirtschaftliche und militärische Macht wächst, und auch Kim Jong Un aus Nordkorea sollte nicht unterschätzt werden.

"Wir müssen gewaltig aufpassen", warnt Guido Knopp, Historiker und Autor des Buches "Die neuen Despoten". Im Gespräch erklärt Knopp, wie gefährlich Männer wie Wladimir Putin sind und was sie antreibt.

t-online: Herr Knopp, wer ist der mächtigste Mann der Welt?

Guido Knopp: Donald Trump wäre es liebend gerne, aber er ist es nicht. Der mächtigste Mann der Welt ist Xi Jinping. Die Diktatur in China ist wirklich ausgefeilt, das System greift bis ins kleinste Detail ins Leben seiner Bürger ein. Die Menschen werden belohnt, wenn sie sich brav verhalten, sie werden bestraft, wenn sie sich nach Ansicht der Kommunistischen Partei ungehörig verhalten. Und Xi Jinping hat die Partei fest in der Hand.

Wie keine andere Diktatur der Welt setzt die Kommunistische Partei zunehmend auf digitale Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung.

Ja, das stimmt. Xi Jinping nutzt das ganze Besteck eines Diktators: Einerseits die immer weiter verfeinerten elektronischen Mittel, die China zu einer "digitalen Diktatur" machen, aber auch eher konventionelle Methoden. Wer nicht spurt, darf nicht ins Ausland reisen, sein wirtschaftlicher Erfolg ist gefährdet und manche verschwinden zur Umerziehung. Dazu herrscht ein gewaltiger Personenkult um Xi Jinping. Erstaunlich ist, dass die Chinesen nicht aufbegehren, was zum Teil an dem nicht zu leugnenden wirtschaftlichen Erfolg Chinas liegt. Vom rasanten Machtzuwachs Chinas auf der Welt noch ganz zu schweigen. Insofern hat Xi Jinping Donald Trump übertrumpft.

Zur Person

Guido Knopp, geboren 1948, ist Journalist, Historiker, Publizist und Fernsehmoderator. Als langjähriger Leiter der "Redaktion Zeitgeschichte" des ZDF verantwortete Knopp viele erfolgreiche TV-Dokumentationen wie "Hitlers Helfer" oder "Hitlers Krieger". Der Historiker hat zudem zahlreiche Bücher veröffentlicht, gerade erschien "Die neuen Despoten. Wie Machthaber weltweit Demokratien zerstören".

Drohen die liberalen Demokratien angesichts der zunehmenden Zahl an Autokratien, ins Hintertreffen zu geraten?

Wir müssen gewaltig aufpassen. Die Vorstellung nach 1989, dass sich die ganze Welt allmählich demokratisieren würde, hat sich als ziemliche Illusion erwiesen. Die USA sollten diesen Wandel als sanfter Hegemon anleiten, aber so "sanft" verhalten sich die Vereinigten Staaten gar nicht. Nun ordnet sich die Welt neu: Länder wie China, Indien und andere beanspruchen größere Stücke vom Kuchen. Es wird sich zeigen, wie die USA, aber auch die Europäische Union mit der neuen Weltordnung zurechtkommen.

Ihr aktuelles Buch "Die neuen Despoten" lässt sich als Warnung lesen: Darin erklären Sie, wie Xi Jinping, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan, Viktor Orbán, Kim Jong Un und Rama X. wurden, was sie heute sind. Warum haben Sie diese sechs Männer ausgewählt?

Diese Männer repräsentieren unterschiedliche Stadien der Entwicklung ihrer Länder: von der gefährdeten Demokratie bis hin zur regelrechten Diktatur oder gar absoluten Despotie. Diese Entwicklungen haben mich interessiert.

Beginnen wir mit Ungarn, dessen Regierungschef Viktor Orbán mit seiner "illiberalen Demokratie" geradezu Vorbild für andere ultrarechte Parteien und Bewegungen rund um den Globus ist.

Orbán ist ein raffinierter Autokrat. Besonders interessant an seiner Biografie ist die Tatsache, dass er seine politische Karriere einst als Reformer begonnen hat. Und noch mehr: Sein Modell der "illiberalen Demokratie" ist geradezu eine Kampfansage an die Europäische Union, die sich als liberal definiert. Ungarn ist allerdings selbst Mitglied der EU.

Wie erklären Sie sich Orbáns Wandlung?

Ungarn kenne ich recht gut, meine Frau stammt von dort. Vor einigen Jahren habe ich mit Orbán einmal zu Abend gegessen. In dieser Unterhaltung hat er etwas Bemerkenswertes gesagt über seine frühere politische Zeit, als er noch als demokratischer Reformer galt: Diese Phase bezeichnete Orbán als schreckliche Zeit, weil er sich mit so vielen anderen abstimmen musste. Das war ihm zu anstrengend.

Orbán wollte also lieber autoritär "durchregieren"?

Sein Weg zur Autokratie begann im Grunde erst 2010, als Orbán die Justiz nach seinen Plänen umbaute und die kritischen Medien unterwarf. Heute gibt es in Ungarn diejenigen, die auf Orbán schwören, und diejenigen, die sein System etwas kritischer sehen. Erstere profitieren meist von ihm. In Ungarn unter Orbán herrscht Korruption, er hat auch zahlreiche Verwandte gut versorgt. Das ist ein typisches Merkmal von Autokratien oder Staaten, die sich dahin bewegen.

Orbán fordert die EU auch mit seiner Freundschaft zu Russland heraus. Hat Brüssel eine Strategie, um dem zu begegnen?

Brüssel hofft darauf, dass Orbán bei den Wahlen im nächsten Jahr schlecht abschneidet oder gar verliert. Ein Gegenkandidat setzt ihm in Umfragen derzeit ziemlich zu, doch Orbán sorgt vor, indem Wahlkreise so zusammengestellt werden, dass seine Partei Fidesz gute Chancen hat. Brüssel könnte also eine Enttäuschung erwarten.

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Kommen wir zu Wladimir Putin: Wie wurde er zu dem, der er heute ist?

Um Putin zu verstehen, müssen wir eine Erkenntnis beherzigen: Der Mann im Kreml hat das leninistische Denken, das er als Kind der alten Sowjetunion und als Angehöriger des Geheimdienstes verinnerlicht hat, niemals abgelegt. In diesem Denken gibt es eine zentrale Lektion: Wenn du die Macht hast, gib sie niemals wieder ab! Diesen Gedanken hat Putin aus dem Kommunismus übernommen und in sein neues System überführt. Es ist ja ein imperialer Nationalismus in Russland, das Prinzip lautet: Die Macht steht über dem Recht. Da ist Putin gnadenlos.

Zahlreiche Menschen haben ihre Opposition gegen Putin mit ihrem Leben bezahlt, von Journalisten wie Anna Politkowskaja bis hin zum Regimegegner Alexei Nawalny.

Putin unterscheidet die Welt in Freund und Feind, seine Feinde will er ausmerzen. Putin setzt auf die pure Angst.

Nun hat Putin uns im Westen zu Feinden erklärt.

Wir waren recht leichtgläubig. Viel zu lange herrschte die Illusion, dass wir uns mit Putin schon irgendwie arrangieren könnten. Tatsächlich glaube ich aber, dass noch relativ lange die Chance bestand, einen besseren Weg mit Russland gemeinsam zu finden. Wie diese neue gemeinsame Zukunft, die Helmut Kohl und Michail Gorbatschow noch erhofft hatten, zerfallen ist, das ist schon sehr traurig.

Nun wird ein russischer Angriff auf Nato-Territorium befürchtet. Das Jahr 2029 wird hierfür immer wieder genannt.

Putin ist das Schlimmste zuzutrauen. Wir müssen nun dringend aus der so lange totgesparten Bundeswehr ein Instrument machen, das unsere Freiheit und die unserer Verbündeten schützt. Im Bereich der Rüstung passiert zu wenig, wir brauchen Drohnen, Drohnen, Drohnen. Und die Abwehr gegen Drohnen. Sonst sieht es düster aus für Deutschland.

Kommen wir zu Nordkorea unter Kim Jong Un, der Russland Soldaten für seinen Krieg gegen die Ukraine zur Verfügung stellt. Was zeichnet diesen "lupenreinen" Diktator aus?

Nordkorea ist die einzige Erbdiktatur der Welt. Dort wird – wie eigentlich in Monarchien üblich – die Position des Diktators vererbt. Und das auch noch in einem dem Namen nach kommunistischem Regime. Das konnte nur gelingen, weil Kim Jong Uns Vorgänger, sein Großvater Kim Il Sung und sein Vater Kim Jong Il, ihrer Bevölkerung mit den USA ein absolutes gesellschaftliches Gegenmodell und auch Feindbild installiert haben. Im Koreakrieg von 1950 bis 1953 haben die USA Nordkorea mit Bombenteppichen beharkt, auch der Einsatz von Atombomben stand im Raum. Das ist nicht vergessen.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Nordkorea den Krieg begonnen hat.

Richtig. Und der Krieg geht für Nordkorea bis heute weiter. Gerade im Inneren des Landes: Kim Jong Un herrscht mit eiserner Faust, Meinungs- und Pressefreiheit existieren nicht, persönliche Freiheit schon mal gar nicht. Die Straflager sind voll. Der größte Erfolg der Kims besteht in diesem stattlichen atomaren Arsenal, das ist wirklich furchteinflößend. Zugleich rangiert Kim Jong Un auf der Liste bizarrer Persönlichkeiten der Weltgeschichte angesichts seiner irritierenden Inszenierung als Diktator ganz weit oben, er wird oft verspottet, als "Dick-tator" oder "Kim Jong-Bumm". Aber er ist einer der gefährlichsten Männer der Welt.

Wie schätzen Sie Recep Tayyip Erdoğan ein, der zurzeit die Opposition in der Türkei besonders heftig attackiert?

Erdoğan galt anfangs ebenfalls als Hoffnungsträger, das sahen auch westliche Politiker so. Von deutschen Politikern wurde er geradezu umschmeichelt. Aber von der Hoffnung ist wenig geblieben, Erdoğan hat eine Verfassungsreform durchgeboxt, um seine Macht zu sichern, um sich seine Gegner vom Leib zu halten, und er hat Proteste gewaltsam unterdrückt. Kurzum, er regiert ziemlich selbstherrlich, autoritär, er spaltet das Land und er hat die einstmals durchaus säkulare Ordnung zugunsten einer zunehmenden Islamisierung gelöst.

Und wie in Ungarn unter Orbán grassiert unter Erdoğan die Korruption.

Da sind sie Brüder im Geiste, ja. Es war dieser Putschversuch 2016, der in Erdoğans Leben eine besondere Rolle spielt. Er konnte den Ausnahmezustand ausrufen, er hat politische Säuberungen vollzogen: Mehr als 100.000 Menschen wurden aus dem Staatsdienst entlassen, rund 10.000 hat Erdoğan inhaftieren lassen. Den Putschversuch hat er selbst einmal als Geschenk Gottes bezeichnet. Jetzt gilt auch in der Türkei: Wer nicht Erdoğans Freund ist, ist sein Feind. Er ist wirklich zum Despoten geworden.

Was erwarten Sie von den nächsten Wahlen in der Türkei?

Trotz mancher Manipulation beim Zuschnitt von Wahlkreisen erwarte ich in Ungarn nachvollziehbare Wahlen. Bei der Türkei habe ich keinerlei Erwartungen in der Hinsicht.

Schließlich haben Sie noch über eine Person in ihrem Buch geschrieben, die man nicht unbedingt erwartet hätte: König Rama X. von Thailand. Warum?

Ich habe früher öfters in Thailand Dreharbeiten durchgeführt, hielt auch gute Beziehungen zum königlichen Hof. Maha Vajiralongkorn Phra Vajiraklaochaoyuhua, der Thailand nun als Rama X. regiert, ist eine spannende Figur, gerade im Gegensatz zu seinem Vater Bhumibol, der als König des Volkes galt und diese Beziehung pflegte. Rama X. ist ganz anders.

Inwiefern?

Ein früherer deutscher Botschafter hat mir von seinem Antrittsbesuch bei Vajiralongkorn, als dieser noch Kronprinz war, berichtet: Ein Anruf spätabends, der Botschafter machte sich auf in den Palast. Der Prinz ließ ihn warten und warten, als der Botschafter endlich vorgelassen wurde, sah er den Prinzen, wie er seinen Lieblingshund streichelte. Der Hund trug übrigens die Uniform eines Generals der Luftwaffe. "Germany is nice", sagt der Kronprinz, dann durfte der deutsche Botschafter wieder gehen.

Puh.

Nicht wahr? Rama X. ist ganz anders als sein Vater, der die Liebe zu seinem Machtmittel gemacht hatte. Rama X. herrscht durch Angst. Er hatte eine harte Kindheit, erst verhätschelt von Höflingen im Palast, dann an die Kandare genommen auf einer Militärakademie in Australien. Da war er intellektuell nicht nur überfordert, sondern wurde wohl auch ziemlich gemobbt. Das hat ihn geprägt. Thailand ist zwar nominell eine Demokratie, aber in der Praxis ist das Wort des Königs das Nonplusultra.

Worauf müssen wir in den westlichen Demokratien besonders achten, um dem Abgleiten in eine Autokratie vorzubeugen?

Wir müssen die unabhängige Justiz und die freien Medien beschützen. Diese Institutionen bringen angehende Autokraten als erstes unter Kontrolle oder schalten sie aus. Dann haben sie es bedeutend leichter.

Sind Sie Optimist oder Pessimist, was die Zukunft der liberalen Demokratie angeht?

Ich bin zuversichtlich skeptisch. Das Modell der liberalen Demokratie befindet sich zwar in der Defensive, aber es ist nach wie vor wirklich strahlend und zukunftsweisend. Nehmen wir Deutschland: Wir müssen endlich die Probleme in den Griff kriegen. Dann sieht die Zukunft schon viel rosiger aus.

Auch angesichts der Bedrohung durch Russland?

Einen russischen Angriff auf die Nato halte ich derzeit für weniger wahrscheinlich, auch wegen der anlaufenden Abschreckungsmaßnahmen. Aber ein Angriff Chinas auf Taiwan? Das wäre schon eher denkbar. Hoffentlich kommt es nicht so weit. Dann werden die Dinge unberechenbar.

Herr Knopp, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Guido Knopp via Videokonferenz
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