Geburtstag im Kreml Alle feiern, nur der Diktator fehlt

Ein Geburtstag kann eine wunderbare Sache sein, außer wenn man Diktator und Kriegstreiber ist. Denn dann gehört ein Verwirrspiel einfach dazu, wie Wladimir Kaminer am Beispiel von Russlands Präsidenten demonstriert.
Auch ein Diktator feiert Geburtstag, natürlich. Bei Wladimir Putin war es am 7. Oktober wieder so weit, ich habe den Tag aus sicherer Entfernung – aus Berlin – beobachtet.
Am frühen Morgen landeten drei Flugzeuge der Gruppe "Flugsicherheit der Präsidentenadministration" am Flughafen Sankt Petersburg. Gleich danach wurde die halbe Stadt abgeriegelt, der Verkehr stockte, es entstanden riesige Staus in der Wiege der Oktober-Revolution. Die Einwohner posteten ihr Unbehagen diesmal nicht wie üblich laut in die sozialen Netzwerke, sie schienen geduldig und dem Schicksal ergeben.

Zur Person
Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch ist "Das geheime Leben der Deutschen", das am 27. August 2025 erschienen ist.
Bis zum letzten Tag war nämlich unklar geblieben, wo der Präsident seinen 73. Geburtstag feiern wollte. Der alte Spion, immer auf Sicherheit bedacht, ließ sich mit der Entscheidung Zeit. Selbst die engsten Freunde wussten nicht Bescheid: Bleibt er in seiner Residenz bei Moskau, fährt er wie früher in den Altai, will er im Wald Rehe jagen oder geht er am Baikalsee angeln? Für alle Fälle wurden Vorbereitungen an allen Orten durchgeführt, die infrage kämen.
Erst als sich die Riesenstaus in Sankt Petersburg bildeten, wurde allen klar: Der Präsident möchte in seiner Heimatstadt feiern. Am Vormittag des 7. Oktober nahm er noch ein paar Arbeitstermine wahr, telefonierte mit dem Kollegen aus Aserbaidschan, traf sich mit Generälen und schärfte ihnen ein: "Alle Ziele der speziellen Operation in der Ukraine müssen schnell und präzise erledigt werden."
In Abwesenheit beweihräuchert
Putin nahm ferner die Geburtstagsgrüße von seinen Kollegen aus Belarus, Kasachstan, Turkmenistan, Nordkorea, Nicaragua, Abchasien und Südossetien entgegen, von all den Regimen, die vom Kreml eine großzügige Unterstützung bekommen. Später besuchte er die Peter-und-Paul-Kathedrale (riesige Staus) und brachte Blumen ans Grab von Peter dem Großen. Danach verschwand Putin vom Radar der Öffentlichkeit. Das große Land feierte jedoch seinen Geburtstag ohne das Geburtstagskind weiter.
Die Abgeordneten der russischen Duma hatten dem feierlichen Anlass eine Sondersitzung gewidmet. "Wir haben ein großes, ein unverdientes Glück, dass unser Land von einem starken und klugen Präsidenten geführt wird. Er hat uns unser Russland zurückgebracht, unser großes Land steht auf. Wir gratulieren dem Präsidenten zu seinem Geburtstag, er ist Russland!", betonte der Parlamentsvorsitzende in seiner Rede, selbstverständlich in Abwesenheit des Präsidenten. Alle Abgeordneten hatten zur Erinnerung an dieses Datum ein wertvolles Geschenk erhalten – ein Foto des Präsidenten mit einem Zitat: "In allem, was ihr tut, denkt bitte stets an die Menschen, an Kinder und Familien."
Die Beamten in den Regionen hatten eine Anweisung aus dem Zentrum bekommen, wie man eine richtige Grußkarte an den Präsidenten schreibt. Die Anweisung sickerte ins Netz durch. Man sollte dafür ausschließlich zugelassene Fotos benutzen und "Beispiele der regionalen Verbesserung beim Heimatschutz und eine wirtschaftliche Kompetenz wie im Sport und in der Kulturarbeit anführen".
Die Jugendorganisation "Junge Garde" startete eine landesweite Aktion "Geburtstagsgrüße von Donezk bis Kamtschatka". Für die Teilnahme an der Aktion bekamen die Studenten 1.000 Rubel und wurden vom Unterricht freigestellt. Wie jedes Jahr wurden die Schulen an diesem Tag verpflichtet, eine Unterrichtsstunde "Unser Präsident" durchzuführen. Im Rahmen des Unterrichts wurden die Kinder "über die Biografie, die wichtigsten Lebensetappen sowie die Rolle des Präsidenten in der Geschichte Russlands und der Entwicklung der russischen Zivilisation, der Wichtigkeit des Patriotismus und der Heimatliebe" aufgeklärt.
Anleitung zum Freuen
In den Kindergärten wurden die Kleinkinder zudem animiert, Grußkarten für den Präsidenten zu malen und an den Kreml zu schicken. Gleichzeitig fand für die Kleinsten ein Gesangswettbewerb "Das beste Lied für den Präsidenten" statt. Unzählige Videos von singenden Kindern wurden ins Netz gestellt. Die Songtexte wurden, anders als die Motive für die Postkarten, vorausschauend von der Administration der Kindergärten verteilt und vor dem Geburtstag auswendig gelernt. "Unser Präsident kann alles, was er nicht kann, kann es nicht geben, er ist das Licht und solange er leuchtet, leuchtet Russland".
Besondere Aufmerksamkeit galten den Feiern in den annektierten Gebieten der Ukraine. Dort wurden dem Präsidenten unter anderem Sportveranstaltungen gewidmet und Judo-Kampfwettbewerbe durchgeführt. Die staatlich genehmigten Zeitungen und Zeitschriften versuchten einander mit Lobeshymnen und Würdigungen zu überbieten.
Das Geburtstagskind selbst gab sich an seinem Ehrentag bescheiden. Weder trat Putin im Fernsehen auf, noch gab er irgendein Interview. Auch seine Feier kam nirgendwo zum Vorschein. "An seinem Geburtstag möchte der Präsident die Zeit nur mit Menschen verbringen, die ihm lieb und teuer sind", erläuterte sein Pressesprecher knapp die Lage am Abend.
Möglicherweise saß Putin allein in einem bestens bewachten Raum, mit einem Glas seines Lieblingsgetränks, einem dickflüssigen Sauermilchprodukt mit einem geringen Gehalt an Kohlensäure, und dachte darüber nach, wie wenig der Mensch eigentlich braucht, um glücklich zu sein. Das ließe tief blicken.


