24 Geiselleichen fehlen Hamas bricht Vereinbarung: So geht es weiter

Nur vier von 28 verstorbenen Geiseln hat die Hamas bisher an Israel übergeben. Dort droht man nun mit Konsequenzen. Was bedeutet das?
Die Freude in Israel war groß: Nachdem am Montag auch die letzten lebenden 20 Geiseln aus der Gefangenschaft der islamistischen Terrororganisation Hamas befreit wurden, befand sich das Land zunächst im kollektiven Freudentaumel. Doch mittlerweile weicht diese Freude in Teilen der Bevölkerung und der Regierung der Wut.
Denn ein weiterer wesentlicher Teil der Abmachung zwischen Israel und der Hamas wurde nicht eingehalten. Die Terrororganisation sollte innerhalb von 72 Stunden auch die 28 toten Geiseln übergeben. Bisher hat Israel allerdings erst vier Särge erhalten. Diese wurden bereits zum nationalen Institut für Gerichtsmedizin nach Tel Aviv gebracht.
Die Hamas erklärte den Vermittlern dazu: "Wir treffen auf Hindernisse, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, und geografische Zwänge, die dazu geführt haben, dass wir weniger tote Geiseln als erwartet übergeben haben." Offenbar hatte die Terrororganisation den Vermittlern bereits während der Verhandlungen mitgeteilt, dass sie nicht wisse, wo sich einige der Leichen befänden. Dennoch hatte Israel das Friedensabkommen unterzeichnet. Fast 2.000 palästinensische Gefangene wurden bereits aus israelischen Gefängnissen entlassen.
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Laut dem israelischen Portal "ynet" ging Israel zunächst davon aus, dass nur neun Leichen nicht übergeben werden könnten – später erhöhte sich die Zahl auf etwa 14. In Israel befürchtet man nun allerdings, dass die Hamas die Rückgabe gezielt verzögert, wie die Zeitung "Times of Israel" berichtet.
"Verstoß wird geahndet": Israel kündigt Konsequenzen an
Damit wird nun immer klarer, dass sich die Hamas trotz Zustimmung nicht an einen wesentlichen Teil des Friedensabkommens halten wird. Bedeutet das auch, dass der gerade erst begonnene Friedensprozess vor dem Scheitern steht?
Die Regierung in Jerusalem glaubt der Hamas offenbar nicht, wenn diese behauptet, nichts über den Verbleib der Toten zu wissen oder sie in dem schwer zerstörten Gazastreifen nicht bergen zu können. Israel geht laut israelischen Medien vielmehr davon aus, dass die Terrororganisation die Toten als Druckmittel für weitere Verhandlungen zurückhält.
Israels Verteidigungsminister Israel Katz kündigte bereits entsprechende Reaktionen an. "Die Ankündigung der Hamas, dass heute voraussichtlich vier Leichen zurückgebracht werden, stellt eine Nichteinhaltung ihrer Verpflichtungen dar", sagte er und fügte hinzu, dass "jede Verzögerung oder absichtliche Vermeidung als eklatanter Verstoß gegen die Vereinbarung angesehen und entsprechend geahndet wird".
Auch der Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte, Effie Defrin, betonte ein entsprechendes Vorgehen des Militärs. Er sagte, es werden auf allen Ebenen intensive Anstrengungen unternommen, um die Terrorgruppe zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu zwingen. "Wir vergessen sie keinen Augenblick", sagte Defrin. "Wir werden nicht ruhen, bis sie alle zu ihren Familien und in ein israelisches Grab zurückkehren."
Israel habe in dieser Frage "Fortschritte" spätestens bis zum Dienstagabend gefordert, schreibt die Zeitung "Times of Israel". Offizielle Angaben wurden dazu zunächst nicht bekannt.
Geiselfamilien fordern Reaktion
Wie genau Israel jetzt reagieren wird, ist bisher nicht klar. Doch der Druck auf die Regierung wächst, auch vonseiten der Geiselfamilien.
Die Organisation der Geiselangehörigen, das Hostage Families Forum, forderte eine sofortige Aussetzung des Abkommens zwischen Israel und der Hamas, bis alle verstorbenen Geiseln zurückgegeben worden seien. "Der Verstoß der Hamas gegen das Abkommen muss mit einer sehr ernsthaften Reaktion der Regierung und der Vermittler beantwortet werden", heißt es in einer Erklärung des Forums. Man habe die Nachricht mit "mit Erstaunen und Schock" zur Kenntnis genommen.
Jael Adar, die Mutter der Geisel Tamir Adar, warf der Regierung "Verrat" an den Familien vor. Israel habe es in den indirekten Verhandlungen mit der Hamas versäumt, eine absolute Frist für die Rückgabe aller Toten zu setzen, wie die "Times of Israel" berichtete.
Doch eine Verletzung des Friedensabkommens von israelischer Seite scheint derzeit nicht bevorzustehen. Denn kommt es erneut zu einer militärischen Auseinandersetzung, wird es immer unwahrscheinlicher, dass Israel die verbleibenden Leichen im zerstörten Gazastreifen findet.
Die angekündigten Bemühungen konzentrieren sich vielmehr darauf, die Geiseln zu finden. Offenbar arbeiteten israelische Vermittler bereits intensiv daran, die Zahl der von der Hamas übergebenen Leichen zu erhöhen, berichtet der israelische Sender Kan.
So will Israel nun vorgehen
Das Abkommen sieht auch eine internationale Taskforce unter Beteiligung der USA, Ägyptens, der Türkei und Katars vor, um die sterblichen Überreste aller verstorbenen Geiseln zu finden. Und der Prozess wird voraussichtlich einige Zeit in Anspruch nehmen. So soll Israel zunächst die genauen Koordinaten mutmaßlicher Grabstätten bekannt geben, an denen dann Ausgrabungen organisiert werden.
Für andere Gebiete Gazas wurden Sperrmaßnahmen verhängt, um Wiederaufbauarbeiten bis zum Abschluss der Ausgrabungen zu verhindern. Befürchtet wird, dass dort sterbliche Überreste vergraben werden könnten. Allerdings können so wohl nicht alle Leichen lokalisiert werden. Israel wurde selbst von der hohen Zahl der verschwundenen Leichen überrascht.
Rückkehr der Geisel für Israelis von hoher Bedeutung
Die Rückholung getöteter Soldaten oder Zivilisten wird in Israel nicht nur als staatliche Pflicht verstanden, sondern als tief verankertes religiöses Gebot. Zentral ist dabei der jüdische Grundsatz "Kavod ha-met" – die "Ehre des Toten". Er verpflichtet dazu, Verstorbenen mit Würde zu begegnen, sie vor Entweihung zu schützen und möglichst schnell zu bestatten. Dieses Prinzip hat seine Wurzeln in der Tora und gilt im jüdischen Religionsrecht, der Halacha, als verbindliches Gebot, das aus dem Respekt vor dem Leben abgeleitet wird.
Besonders bedeutsam ist die Bestattung, weil sie als "chesed shel emet", ein "Akt wahrer Güte", verstanden wird. Diese letzte Ehre erfolgt ohne Aussicht auf Gegenleistung. Wer einen Toten bestattet, ehrt nach religiösem Verständnis nicht nur den Verstorbenen, sondern auch Gott, der jedem Menschen unverlierbare Würde verliehen habe.
Hamas geht brutal im Gazastreifen vor
Die Hamas lässt derweil keinen Zweifel, dass sie weiterkämpfen will und keineswegs bereit ist, ihre Waffen abzugeben. Seit Beginn des Waffenstillstands hat die Terrororganisation bereits mindestens 32 Menschen im Gazastreifen getötet. Offenbar hatten mehrere Clans die vergangenen zwei Jahre genutzt, um die Kontrolle über Teile von Gaza-Stadt zu übernehmen. Genau diese Gebiete will sich die Hamas jetzt zurückholen.
US-Präsident Donald Trump hatte bereits angedeutet, dass die Hamas einen vorübergehenden Polizeidienst ausüben solle. "Sie wollen die Probleme beenden und haben das offen geäußert. Wir haben ihnen für eine gewisse Zeit die Genehmigung erteilt", sagte er.
Die Hamas hatte zuvor jegliche Diskussion über ihr Waffenarsenal abgelehnt, aber erklärt, sie sei bereit, ihre Waffen einem zukünftigen palästinensischen Staat zu übergeben. Die Terrororganisation betonte zudem, sie strebe keine Rolle in der zukünftigen Regierung des Gazastreifens an. Dies müsse jedoch von den Palästinensern selbst und ohne ausländische Einflussnahme vereinbart werden.
- ynetnews.com: "Hamas violates deal: the 24 slain hostages still left behind in Gaza" (englisch)
- jpost.com: "Forensic teams examine four bodies said to be hostages, Hamas films street executions" (englisch)
- jpost.com: "Hamas carries out wave of Gaza killings, casting doubt on disarmament demand" (englisch)
- timesofisrael.com: "Israel receives 4 hostages’ bodies from Red Cross; demands Hamas hand over the other 24" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa








