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Nahost: Freigelassene Hamas-Geiseln berichten von Gefangenschaft


Geiseln und Angehörige berichten
"Man hat es mit Psychopathen zu tun"


Aktualisiert am 15.10.2025Lesedauer: 6 Min.
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Bar Kuperstein: Die freigelassene Geisel berichtet, vier Tage vor der Freilassung hätten die Hamas-Entführer angefangen, ihn zu füttern. (Quelle: IDF/AP/dpa)
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Mit Spannung verfolgte die Welt die Übergabe der lebenden Hamas-Geiseln. Was erlebten sie in der Gefangenschaft? Das sagen die Freigelassenen und ihre Angehörigen.

Die Szenen des Wiedersehens bewegen Menschen auf der ganzen Welt: Avinatan Or schließt seine Freundin Noa Argamani nach zwei Jahren Hamas-Gefangenschaft in die Arme. Bei dem Massaker am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Musikfestival waren die beiden brutal voneinander getrennt worden. Nun wurde der 32-Jährige als einer der letzten 20 lebenden Geiseln freigelassen. Dass Argamani überlebt hat und im Juni 2024 von der israelischen Armee befreit werden konnte, erfuhr Or erst bei seiner Freilassung.

Mit der Rückkehr der Geiseln kommen zunehmend mehr Details darüber ans Licht, wie es den Gefangenen unter der Gewalt der Hamas ergangen ist. Auch Argamani gab Einblicke und verfasste eine lange Nachricht auf der Plattform X.

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"Ich wurde mit Kindern, Frauen und älteren Menschen gefangen gehalten, während Avinatan allein festgehalten wurde. Ich wurde meist in Häusern festgehalten, während Avinatan nur in den Tunneln war. Die Hamas veröffentlichte Videos und Lebenszeichen von mir, während es keinerlei Informationen über Avinatan gab." Sie könne ihre Gefühle zu dem Moment des Wiedersehens nicht in Worte fassen.

Video | Paar nach Hamas-Geiselhaft wieder vereint
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Quelle: t-online

Beide hätten "unzählige Male dem Tod ins Auge geblickt", nun könnten sie "endlich gemeinsam mit der Heilung beginnen". Sie geht davon aus, dass die Genesung lange dauern werde. "Wir haben noch nicht verarbeitet, was hier in den vergangenen zwei Jahren passiert ist. Aber wir haben gewonnen."

Inzwischen veröffentlichte auch Or eine Videobotschaft auf Instagram. "Warte, ist das jetzt eine Aufnahme? Ich kenne diese Technologie nicht einmal – ich war zwei Jahre lang offline", scherzte er zu Beginn des Videoclips und fügte hinzu: "Meine lieben Freunde, ich freue mich so, euch zu sehen. Ich habe euch alle heute da unten durch den Van gesehen – es ist verrückt. Wir sehen uns bald wieder, glaube ich. Mir geht es gut, ich bin nur müde und erschöpft, aber wir werden bald alles nachholen." Israelische Medien berichten, Or habe bis zu 40 Prozent seines Körpergewichts verloren.

Terroristen ließen Geiseln hungern

Die Mutter der freigelassenen Geisel Maxim Herkin sagte dem Medium "Times of Israel", ihr Sohn sei sehr schwach. Auch er habe an Gewicht verloren – und ihr nichts von seiner Gefangenschaft erzählt: "Er spricht überhaupt nicht über das, was in diesen zwei Jahren passiert ist."

Der Großvater von Bar Kuperstein berichtet israelischen Medien zufolge, sein Enkel habe in der Gefangenschaft ein "hartes Leben" gehabt, er sei "blass, aber stark" gewesen. Kuperstein selbst erklärte am Dienstag bei einem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Herzog, seine Entführer hätten erst kurz vor seiner Freilassung damit begonnen, ihm etwas zu essen zu geben. "In den letzten vier Tagen" hätten sie damit angefangen, sagte er übereinstimmenden Medienberichten zufolge.

Die deutsch-israelischen Brüder Gali und Ziv Berman wurden während ihrer Gefangenschaft getrennt und völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Sie hätten berichtet, dass es Zeiten mit ausreichend Essen und dann wieder Monate des Hungers gegeben habe. Ohne voneinander zu wissen wurden die Brüder nicht weit entfernt voneinander festgehalten. Beide hätten gehört, wie die israelische Armee in ihrer Nähe operierte. Auf einer Pressekonferenz sagte die Tante der Brüder: "Sie sind wieder auf den Beinen und lächeln, und jetzt beginnt die Heilung."

Zwischen Folter und Menschlichkeit

Auch andere Freigelassene berichteten von Hunger, sowie von körperlicher und psychologischer Folter, von Einsamkeit, Verzweiflung und Angst in den dunklen Tunneln der Hamas. Aber auch von Augenblicken der menschlichen Begegnung mit ihren Wachen.

So habe Omri Miran gelegentlich für das leibliche Wohl seiner Entführer gesorgt. "Manchmal kochte er für seine Entführer, und sie waren begeistert von seiner Kochkunst", erzählte sein Bruder Nadav der Nachrichtenseite "ynet". "Er wusste genau, welches Datum, welcher Tag war und wie viele Tage er in Gefangenschaft war", fügte sein Bruder hinzu.

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Andere Familienmitglieder berichteten ebenfalls von Augenblicken menschlicher Koexistenz während der Gefangenschaft. Wenn Terroristen beispielsweise einen zusätzlichen Spieler für ein Kartenspiel brauchten, holten sie die Geiseln. Andere Wachen hätten auch Hebräisch mit den Geiseln gesprochen.

Auch der Deutsch-Israeli Alon Ohel befand sich bis zuletzt in der Gefangenschaft der Hamas. Israelischen Medienberichten zufolge habe er seiner Familie erzählt, dass er während der jüngsten Militäroffensive in Gaza-Stadt von seinen Hamas-Entführern in Kampfgebiete gebracht worden sei, um dort als menschlicher Schutzschild eingesetzt zu werden. Dem TV-Sender Channel 12 zufolge sei Ohel die meiste Zeit seines Aufenthalts in Gaza in einem einzigen Tunnel angekettet gewesen, bis er vor etwa 40 Tagen an einen anderen Ort im Zentrum Gazas gebracht wurde.

Einem Bericht des israelischen Mediums "Mako" zufolge besuchte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Dienstag das Beilinson-Krankenhaus, in dem mehrere freigelassene Geiseln untergebracht sind. Dabei habe er sich unter anderem mit Eitan Mor ausgetauscht.

Mor habe dabei erzählt, dass er während seiner Gefangenschaft Gespräche mit dem Chef des militärischen Flügels der Hamas, Izz al-Din al-Haddad, geführt habe. Dieser habe ihm gesagt: "Wenn es jemanden gibt, der zuerst geht, dann bist du das. Dein Vater geht sowieso nicht zu Protesten, also werden wir dich zuerst zurückbringen." Dennoch gehörte Mor zu jenen lebenden Geiseln, die zuletzt freigelassen wurden.

Wie die "Times of Israel" berichtet, ist Mors Vater Mitbegründer des Tikva-Forums. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Geisel-Familien, die sich gegen einen Deal mit der Hamas aussprachen. Stattdessen unterstützten sie das erklärte Ziel der israelischen Regierung, die Hamas militärisch zur Freilassung der Menschen zu zwingen.

"Er steht immer noch unter Schock"

Über den Zustand der freigelassenen Geisel Rom Braslavski sagt sein Onkel Ze'ev der "Jerusalem Post": "Er steht immer noch unter Schock." Wenn es keine Vereinbarung gegeben hätte, wäre er getötet worden. "Das verstehe ich, wenn ich ihn sehe und auch aus dem, was er mir erzählt", so der Onkel.

Braslavski habe ihm erzählt, die Geiseln seien während ihrer Gefangenschaft beschossen worden. Nicht etwa von der Hamas, sondern offenbar durch Israels Militär, wie die folgende Schilderung nahelegt: Als Gaza bombardiert wurde, hätten sich sowohl Braslavski als auch seine Entführer in der Schusslinie befunden – Granaten und Bomben seien in ihrer Nähe explodiert.

Geiseln bekamen ausbleibende Fortschritte zu spüren

Als die Entführer gemerkt hätten, dass keine Einigung mit Israel in Sicht war, habe sich ihre Haltung gegenüber Braslavski verschlechtert. "Sie bekamen weniger zu essen, man ließ sie hungern. Ein Stück Brot am Morgen und einen Löffel Reis am Mittag – das war alles", sagte der Ze'ev dem Medium. Er berichtete auch von teils körperlichen Bestrafungen. "Kein Licht, kein Wasser, keine Duschen, ständiger psychischer Stress und Angst. Jedes Mal, wenn die Verhandlungen in eine Sackgasse gerieten, änderte sich die Haltung drastisch. Man hat es mit Psychopathen zu tun", betonte Braslavskis Onkel.

Während seiner gesamten Gefangenschaft habe Braslavski an seinem Glauben festgehalten und oft gebetet. Das habe ihm mentale Stärke verliehen. "Der Lebenswille, die innere Stärke und der Gedanke an uns haben ihn am Leben gehalten", sagte Ze'ev. Seiner Mutter habe die freigelassene Geisel gesagt: "Mach dir keine Sorgen, alles wird gut."

Braslavski sei während seiner Gefangenschaft nicht unterirdisch festgehalten worden. Er sei von Ort zu Ort gebracht worden – die Bedingungen seiner Gefangenschaft hätten sich damit oft geändert. Oft habe er an sich selbst geschrieben, aber seine Aufzeichnungen hätten ihm die Entführer weggenommen. "Von Zeit zu Zeit waren andere Geiseln bei ihm, wie Sasha Troufanov, aber die meiste Zeit war er allein", sagte der Onkel. Stattdessen habe er sich mit den Hamas-Mitgliedern unterhalten. Er spreche nun fließend Arabisch.

Dem Onkel zufolge bekam Braslavski auch zweimal Fernsehaufnahmen davon zu sehen, wie weltweit über den Krieg berichtet und für die Freilassung der Geiseln protestiert wurde. "Es gab ihm Kraft und Freude zu sehen, dass über ihn gesprochen wurde" und "dass die ganze Nation hinter ihm stand", so Ze'ev. Er habe nicht glauben können, "dass er so bekannt ist, dass ihn jeder kennt", gab der Onkel seinen Neffen wieder.

Zwischen Staub und Trümmern

Besonders brutal sollen die Entführer mit Matan Angrest umgegangen sein. Sein Bruder Ofir schildert laut hebräischer Nachrichtenseite "Walla", in der Gefangenschaft sei sein Zustand "sehr schlecht" gewesen. "Es gab Misshandlungen. Er hat viele Wunden, die ihm sowohl am 7. Oktober als auch in den vergangenen 700 Tagen zugefügt wurden." Seine Entführer hätten ihm zwei Wochen lang Hände und Füße gefesselt, sagte Angrests Bruder dem Medium. Zudem habe auch er in der Gefangenschaft fließend Arabisch gelernt.

Seine Mutter Anat Angrest sagte dem TV-Sender Channel 12, er habe "sehr schwere Folter" erlitten, weil er als Soldat entführt worden war. Er habe bisher nur wenig erzählt, sagte sie. Er erinnere sich an die schweren Bombardierungen durch die israelische Armee, an die Flugzeuge, die über ihren Köpfen flogen, an die Mauern, die neben ihnen einstürzten, und daran, dass er sich oft inmitten von Staub und Trümmern wiederfand und versuchte, zu überleben.

Dass die Geiseln nicht nur von einem schlimmen Umgang der Hamas-Terroristen mit ihnen, sondern auch von traumatisierenden Erfahrungen durch die Angriffe des israelischen Militärs im Gazastreifen berichten, dürfte Israels Regierung in Bedrängnis bringen.

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